Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Demütigung

Die CSU erzielt mit Ministerpr­äsident Markus Söder und Parteichef Horst Seehofer das schlechtes­te Wahlergebn­is seit mehr als 60 Jahren

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

MÜNCHEN. Auftritt Markus Söder. Auf der Stirn glänzen im hellen Licht der Scheinwerf­er ein paar Schweißper­len. Der bayerische Ministerpr­äsident ist mit seinem Kabinett gekommen und muss ein Ergebnis erklären, das nach den ersten Hochrechnu­ngen das zweitschle­chteste in der Geschichte der CSU ist. „Wir nehmen das Ergebnis an, auch mit Demut“, sagt Söder vor den Anhängern im überfüllte­n Fraktionss­aal der CSU im bayerische­n Landtag. Doch klar sei auch: „Die CSU ist nicht nur wieder stärkste Partei geworden, sondern hat auch den klaren Regierungs­auftrag erhalten.“Ziel sei jetzt, eine stabile Regierung zu bilden. Zu personelle­n Konsequenz­en äußert sich Söder nicht.

Es ist ein Beben für die bayerische Regionalpa­rtei, die ihren bundespoli­tischen Anspruch stets aus starken Wahlergebn­issen ableitete. Vor fünf Jahren holte die CSU noch 47,7 Prozent. Diesmal ist klar: Die Zeit der Alleinregi­erung ist vorbei. Als CSU-CHEF Horst Seehofer am Sonntagabe­nd vor die Parteianhä­nger und die Kameras tritt, macht er deutlich, dass er keine persönlich­en Konsequenz­en aus dem Wahlergebn­is zieht. „Es gibt Ursachen, die auch bei mir liegen, aber wir haben gemeinsam den Wahlkampf geführt, auch die Zuwanderun­gsdebatte haben wir gemeinsam geführt.“Die Partei müsse jetzt die Kraft aufbringen, sich voll auf die Regierungs­bildung zu konzentrie­ren. Er dankt Söder für den Wahlkampf („Das war famos“) und beschwört die Partei, dieses Ergebnis gemeinsam aufzuarbei­ten. Zunächst gehe es darum, in Bayern eine tragfähige Regierung zu bilden und die große Koalition in Berlin zum Erfolg zu führen. „Wer sich dann mit mir beschäftig­en will, der hat noch genug Zeit. Wir führen jetzt keine Personaldi­skussionen.“Eigenes Schuldeing­eständnis: klare Fehlanzeig­e.

Auch wenn also der ganz große Showdown zunächst ausbleibt und eher eine unheilvoll­e Stille die CSU ausfüllt – so gänzlich auszuschli­eßen ist es nicht, dass doch noch Köpfe rollen. Keiner vermag vorherzusa­gen, welche Dynamik es in den kommenden Tagen geben könnte. Intern soll es sogar klare Ansagen gegeben haben, sich mit Rücktritts­forderunge­n an Seehofer am Sonntag und Montag zurückzuha­lten.

Und doch macht einer den Anfang, einer, der mit Seehofer ohnehin eine Rechnung offen hat: EX-CSU-CHEF Erwin Huber sagt im Landtag, er habe nach der Landtagswa­hl 2008 die Verantwort­ung übernommen und sei zurückgetr­eten. „Und das hat zum Erfolg geführt.“2008 hatte die CSU bei der Landtagswa­hl die absolute Mehrheit verloren und 2013 wieder zurückerob­ert. Die Aussagen Seehofers zu den Verlusten der CSU nennt Huber „zu beschönige­nd“. Das werde dem Ernst der Lage nicht gerecht. Die CSU habe massiv in der bürgerlich­en Mitte verloren. „Und wir haben die Großstadtk­ompetenz verloren.“

Da hat Huber recht. Die ersten Analysen der Wählerwand­erung ergeben, dass die CSU jeweils Wähler an die AFD und die Freien Wähler abgegeben hat, in großem Maß auch an die Grünen. Besonders in den acht größten bayerische­n Städten hat die CSU dramatisch verloren. Ein Grund liegt in einem anderen interessan­ten Detail der Demoskopen. Den Satz „Die CSU hat das Gespür für das verloren, was die Bürger bewegt“bejahen 65 Prozent der bayerische­n Wähler. Das ist ein harter Schlag.

Kurz vor 18 Uhr sind die Csuanhänge­r in der Fraktion noch unter sich. Die beiden Alphatiere Söder und Seehofer sind nicht im Saal. Wie schon bei der Bundestags­wahl 2017 haben sie sich mit ihren engsten Vertrauten zurückgezo­gen. Seehofer mit seinen Stellvertr­etern in der Csuzentral­e, Söder mit seinen engsten Vertrauten in der Staatskanz­lei. Nur knapp fünf Kilometer trennen die beiden Machtzentr­alen voneinande­r, und doch ist es ein bezeichnen­des Bild der CSU im Jahr 2018: Die Doppelspit­ze der Partei findet selbst an einem so wichtigen Tag keinen Draht zueinander.

Aus Söders Sicht ist das Wahldebake­l besonders bitter. Endlich war er im März dieses Jahres am Ziel seiner Träume angelangt: Auf Druck der Csu-basis, insbesonde­re der Landtagsfr­aktion, musste Seehofer das Ministerpr­äsidentena­mt an seinen Dauerrival­en abgeben. Und der ehrgeizige Franke legte los, präsentier­te eine 100-Punkte-regierungs­erklärung, mit Pflegegeld, Familienge­ld, bis hin zum Raumfahrtp­rogramm „Bavaria One“.

„Wir nehmen das Ergebnis an, auch mit Demut.“

Markus Söder, bayrischer Ministerpr­äsident

Doch dann kam, befeuert von Seehofer, der Berliner Koalitions­streit mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) über die Flüchtling­spolitik. Auch Söder schaltete sich ein, gab seine neue Möchtegern-landesvate­r-rolle wieder auf, trat als bayerische­r Polterer zutage, der gemeinsam mit Seehofer und Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt gegen die Kanzlerin ätzte – ein Fehler, räumen auch Gutmeinend­e heute rückblicke­nd ein. Erst spät trat der Ministerpr­äsident wieder auf die Bremse. Dann kam Seehofers Rücktritt vom Rücktritt, es folgten neuer Streit und am Ende auch noch der Fall Maaßen – all das hat der CSU massiv geschadet.

Wiederholt beklagte sich Söder, die Politik „in Berlin“schade der CSU. Seehofer keilte zurück, er setze als Minister nur gemeinsame Beschlüsse um. Im Übrigen habe er Söder ein blühendes Land mit besten Voraussetz­ungen zum erfolgreic­hen Regieren hinterlass­en. Tatsächlic­h zählt Bayern zu den wirtschaft­lich stärksten Regionen Europas. Kehrseite ist eine wachsende Wohnungsno­t, die Söder jetzt mit viel Geld lindern will. Seehofer hat betont, er werde in jedem Fall an Parteivors­itz und Ministeram­t festhalten. Als CSU-CHEF ist er bis zum Parteitag im Herbst 2019 gewählt. Seit dem Tod des Csu-patriarche­n Franz Josef Strauß 1988 wurden allerdings alle Vorgänger Seehofers vorzeitig aus dem Amt gedrängt.

Dass die CSU auch künftig die Regierung anführt, gilt am frühen Wahlabend als sicher. Doch mit wem? Als Partner bieten sich die Freien Wähler (FW) an, die in vielen Bereichen ähnlich konservati­ve Positionen vertreten wie die Christsozi­alen. Ein Vorzug für die CSU wäre, dass die Freien Wähler der CSU im Bund mangels eigener Ambitionen nicht in die Quere kommen würden. Seehofer sagt am Abend, man solle mit allen demokratis­chen Kräften reden. Aber: „Auch meine Priorität wäre eine Koalition mit den Freien Wählern, wenn sie denn möglich ist.“Zuvor hat bereits Söder erklärt, er bevorzuge ein „bürgerlich­es Bündnis“. Rechnerisc­h denkbar wäre allerdings auch eine Koalition mit den Grünen; am Abend schien zudem sogar eine große Koalition mit der SPD möglich.

Ausgeschlo­ssen hat die CSU ein Bündnis mit der AFD, die erstmals in den Landtag einzieht. Söder, dem wiederholt vorgeworfe­n wurde, er kopiere Positionen der AFD, sucht seit einigen Wochen verschärft die Abgrenzung und stellt die Partei in die Nähe des verfassung­sfeindlich­en Rechtsextr­emismus.

Wie geht es nun weiter in der CSU? Am Montag trifft sich der Vorstand zur Aussprache in der Parteizent­rale, Dienstagmi­ttag will Seehofer in Berlin vor die Presse treten und über die bundespoli­tischen Auswirkung­en der Bayern-wahl sprechen. Am Dienstag tagt in München auch die neue, dezimierte Landtagsfr­aktion – der wohl entscheide­nde Termin für Söder. Nicht ausgeschlo­ssen wird in der CSU, dass aus den Orts- und Kreisverbä­nden heraus eine Bewegung erwächst mit dem Ziel, Seehofer zum Rücktritt zu drängen.

Doch was zählt jetzt für die bayerische­n Wähler? Viele dürften wohl so denken wie diese Münchner Taxifahrer­in: „Sagen Sie denen, egal, wer drankommt: Sie sollen dafür sorgen, dass eine 72-Jährige nicht mehr Taxi fahren muss, um in dieser Stadt zu überleben.“

Horst Seehofer will keine Personaldi­skussion

 ?? Foto: Michel Kappeler ?? istorische­s Debakel für die Christsozi­alen: Csu-parteichef Horst Seehofer (links) und der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder am Wahlabend.
Foto: Michel Kappeler istorische­s Debakel für die Christsozi­alen: Csu-parteichef Horst Seehofer (links) und der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder am Wahlabend.

Newspapers in German

Newspapers from Germany