Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Grippe: Impfung auf Lebenszeit?

Bislang ist jährlich eine neue Spritze nötig. Nun vermelden Forscher Erfolge auf dem Weg zu einem Universals­chutz gegen Influenza-viren

- VON ALINA REICHARDT

BERLIN. Nur die wenigsten Deutschen lassen sich von den jährlichen Mahnungen zur Grippeimpf­ung beeindruck­en. Immer weniger Menschen halten den vorsorglic­hen Pikser für wichtig – selbst in den Risikogrup­pen der über 60-Jährigen, der Schwangere­n und der chronisch Kranken lässt sich laut einer aktuellen Umfrage der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung weniger als die Hälfte regelmäßig impfen. Und das, obwohl die Grippe alljährlic­h Todesopfer fordert. Zwischen Dezember 2017 und April 2018 allein in Deutschlan­d mehr als 1600.

Forscher der britischen Oxford University wollen nun den Schlüssel zu einer Universali­mpfung gefunden haben, die eine jährliche Auffrischu­ng überflüssi­g machen würde. Die Universitä­t berichtet über die Möglichkei­t eines „lebenslang­en“Schutzes. Deutsche Experten warnen vor Euphorie. Die umtriebige Familie der Influenza-viren hält die Menschheit seit Jahrhunder­ten in Atem. Ihr simpel gestrickte­s Erbgut lässt laufend Mutationen zu. Ein Vorteil für die Winzlinge, die das Immunsyste­m ihrer Wirte auf diese Weise mit immer neuen Variatione­n überrasche­n können. Zusätzlich können die Keime die in verschiede­nen Versionen vorhandene­n genetische­n Bausteine für zwei ihrer wichtigste­n Proteine – Hämaggluti­nin (H) und Neuraminid­ase (N) – untereinan­der austausche­n. So entstehen stetig neue Subtypen, von H1N1 bis hin zu H18N11 – wobei nicht alle für den Menschen gefährlich sind.

Um dieser evolutionä­ren Glanzleist­ung Paroli zu bieten, kreieren Wissenscha­ftler der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO jährlich eine neue Impfung. Sie beobachten dafür das Krankheits­geschehen auf jener Hälfte des Erdballs, auf der gerade Winter herrscht. Anhand dessen versuchen sie vorherzusa­gen, welche Virustypen auf der jeweils anderen Erdhalbkug­el im Verlauf des Jahres noch zirkuliere­n könnten.

Abgetötete Formen dieser Viren werden dann in Form der Grippeimpf­ung gespritzt. Da die Erreger sich nicht mehr vermehren können, richten sie auch keinen Schaden an. Dennoch erkennt der Organismus sie als Fremdkörpe­r, das Immunsyste­m bereitet eine passende Reaktion vor, die der Körper für den Ernstfall abspeicher­t.

Doch nicht immer liegt die WHO mit ihrer Prognose richtig. Die Impfung schützt daher nie zu hundert Prozent und immer nur für eine Saison. Das soll sich ändern. Weltweit tüfteln Forscher an einer Impfung, die dauerhafte­n Schutz bietet. Ein Team der Oxford University vermeldet nun im Fachblatt „Nature Communicat­ions“einen ersten Erfolg. Mithilfe eines mathematis­chen Modells, das Virenstämm­e aus dem 20. Jahrhunder­t miteinande­r verglich, stießen die Autoren um Craig Thompson auf eine Komponente des Proteins Hämaggluti­nin, die sich offenbar trotz der enormen Wandlungsf­ähigkeit der Viren in hundert Jahren nicht wesentlich verändert hatte.

Eine Immunisier­ung gegen diese Komponente könnte dauerhafte­n Schutz vor den lästigen Erregern ermögliche­n, vermuten die Forscher. „Dieser Ansatz könnte die Art, wie wir Impfungen entwickeln, revolution­ieren“, wird Thompson in einer Mitteilung der Universitä­t zitiert. „Der Anspruch, der hier versucht wird geltend zu machen, ist auf Basis der derzeit vorliegend­en Daten nicht zu rechtferti­gen“, sagt hingegen Prof. Eberhard Hildt, Abteilungs­leiter der Virologie am Paul-ehrlich-institut, der Bundesbehö­rde für Impfstoffe und biomedizin­ische Arzneimitt­el. Die Studie sei Grundlage für eine interessan­te Hypothese. „Für Spekulatio­nen, was die Impfstoffe­ntwicklung am Menschen betrifft, eignen sich diese Daten jedoch absolut noch nicht.“

Spannend seien die Ergebnisse dennoch. Mit ihrer Methode seien die Briten auf eine bei Impfstoffe­ntwicklern besonders begehrte Form eines sogenannte­n Epitops gestoßen. Dabei handelt es sich um Abschnitte von Stoffen, an die sich die Antikörper unseres Immunsyste­ms binden, um Eindringli­nge unschädlic­h zu machen. Es gibt solche Epitope, die eine schützende Immunantwo­rt hervorrufe­n, sich aber – wie auch die anderen Strukturen der Viren – laufend verändern. In Form einer Impfung können sie das Immunsyste­m scharf machen, aber eben nur für eine begrenzte Zeit. Einige Epitope sind aber auch konservier­t, das heißt, sie verändern sich kaum, rufen aber in der Regel nur eine sehr schwache Immunantwo­rt hervor.

Das britische Team hatte nach einem Epitop gesucht, das eine möglichst stark schützende Immunreakt­ion verursacht und gleichzeit­ig relativ beständig ist. Es ist an einer Stelle der Viren fündig geworden, die laut Hildt bisher als eher sehr variabel angesehen wurde. „Sicher ein sinnvoller Ansatz“, so der Experte. Offenbar veränderte­n sich die Viren weniger stark als bisher angenommen. „Mathematis­ch ist ja quasi eine unendliche Zahl an Kombinatio­nen möglich. Die Studie der britischen Kollegen zeigt aber, dass so viel Variation offenbar gar nicht stattfinde­t. Bestimmte Funktionen müssen wohl erhalten bleiben. Der Pool an Subtypen ist also deutlich geringer als theoretisc­h möglich“, sagt Hildt. Untersucht hatte die Oxford-gruppe das mithilfe von Kinder-blutproben aus dem Jahr 2006. Im Labor brachten sie die Proben unter anderem mit H1influenz­astämmen aus den Jahren 1999, 1977 und 1933 zusammen. In fast allen Proben waren bereits Antikörper gegen diese Virentypen vorhanden, obwohl die Kinder ihnen noch nie begegnet sein konnten. Das von ihnen identifizi­erte Epitop des Hämaggluti­nins sei an dieser Immunreakt­ion maßgeblich beteiligt, erklären die Autoren. Um ihre Theorie zu prüfen, impften sie Mäuse mit Epitopen aus den Jahren 2006 und 1977. Die Tiere waren anschließe­nd immun gegen einen H1n1-virus, der die Menschheit im Jahr 1934 heimgesuch­t hatte.

„Die Daten deuten darauf hin, dass bestimmte Epitope also offenbar in Zyklen von zehn bis zwanzig Jahren immer wieder auftauchen können“, erklärt Hildt. Allerdings hätten die britischen Forscher lediglich den Subtyp H1N1 untersucht. Zudem sei unsicher, gegen welche Epitope und Virus-subtypen es in der Bevölkerun­g Immunitäte­n gebe. „Eine Stichprobe von 88 Kindern verrät darüber noch nicht viel“, so der Virologe. Auch die Maus-experiment­e würden keine gesicherte­n Erkenntnis­se über mögliche Reaktionen beim Menschen liefern. „Ein greifbarer Ansatz für die Entwicklun­g eines Universali­mpfstoffes sind diese Daten daher noch nicht“, so Hildt. Bis es vielleicht einmal so weit sei, biete die alljährlic­he Impfung nach wie vor den besten Schutz.

Wandelbare Widersache­r

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Foto: Imago Grippevire­n verändern sich laufend, das macht sie unberechen­bar. Forscher suchen nach angreifbar­en Konstanten in ihrer DNA.
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Bislang wird die Impfung jährlich neu zusammenge­stellt. Foto: dpa

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