Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Chefin von Arbeitern auf vier Hufen
Mit ihrer Schaf- und Ziegenherde beweidet Sandra Lippert aus Thangelstedt Kulturlandschaften und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz
THANGELSTEDT. Sandra Lippert aus Thangelstedt im Weimarer Land könnte ein leichteres Leben haben, ein viel geregelteres. Mit pünktlichem Feierabend, freien Wochenenden und bezahltem Urlaub. Doch statt weiter in ihrem erlernten Beruf als pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte oder überhaupt in einem Bürojob zu arbeiten, was sie etliche Jahre getan hat, hat sich die 41-Jährige vor zwei Jahren für eine hauptberufliche Existenz als Landwirtin entschieden. Mithin für ein Leben in und mit der Natur, aber auch mit all den Unwägbarkeiten, die ein Dasein als Selbstständige mit sich bringt. „Es macht mir überhaupt nichts aus, 50 oder 60 Stunden in der Woche körperlich schwer zu arbeiten“, sagt Sandra Lippert. „Vorausgesetzt, es macht Spaß und meine Arbeit wird geschätzt.“Und genau diese beiden Bedingungen sieht die Mutter einer 19-jährigen Tochter jetzt erfüllt. Ganz abgesehen davon, dass sie am liebsten an der frischen Luft ist. Blauäugig ins Abenteuer gestürzt hat sie sich keineswegs: Sandra Lippert stammt aus dem kleinen Ort Grabe nahe Mühlhausen, sie ist auf dem Dorf aufgewachsen und zieht das Leben auf dem Land dem in der Stadt jederzeit vor. Nicht zuletzt, weil es Kindern die Möglichkeit bietet, viel draußen zu spielen und Tiere entweder selbst oder zumindest in der Nähe zu haben. Deshalb ist ihre Familie 2008 nach einigen Jahren in Weimar auch ins südliche Weimarer Land umgezogen und hat dort einen kleinen Hof gekauft, den sie Stück für Stück und mit Sinn für die historische Bausubstanz herrichtet. „Eines Tages hat mein Mann dann ein paar Ziegen angeschleppt, die geschlachtet werden sollten. Damit fing es an“, erzählt Sandra Lippert – langes dunkelblondes Haar, hellwacher Blick, freundliches, zupackendes Wesen – lachend. Weil sie Ziegen mag, ihr die neugierigen und intelligenten Tiere sehr sympathisch sind, hat sie sich schließlich einige Burenziegen zugelegt. Eine eher ruhige Fleischziegenrasse, bei der die weiblichen Tiere nicht gemolken werden müssen, die aber gute Kletterer und damit prädestiniert für den Einsatz in der Landschaftspflege sind. Mit der Zeit kamen noch einige Nolana-schafe hinzu, bis Sandra Lippert eine hübsche kleine Herde beisammen hatte, um mit ihr eine ökologische und zugleich kostengünstige Alternative zu maschinellen Pflegemaßnahmen auf Standorten anbieten zu können, die sich zum Beispiel wegen extrem steiler Lagen nur schwer bewirtschaften lassen. Seither war Sandra Lippert zunächst Landwirtin im Nebenerwerb und mit ihren vierbeinigen Landschaftspflegern vor allem dort im Einsatz, wo die Kulturlandschaft rasch zuzuwachsen und damit gefährdeten Arten wie Orchideen Licht, Luft und Nährstoffe streitig zu machen drohte. Die gemischte Herde sei dabei von großem Vorteil: „Die Schafe fressen, was die Ziegen nicht anrühren, und umgekehrt“, erklärt Sandra Lippert. Ziegen hätten eine gespaltene Oberlippe, die ihnen auch das Fressen von Pflanzen mit Stacheln oder Dornen wie Schwarzdorn oder Rosen ermöglicht – und weil sich die Feinschmecker auch auf ihre Hinterläufe stellen, wenn sie einen Leckerbissen entdecken, könnten sie Pflanzen in bis zu zwei Metern Höhe verbeißen. Zudem machen sie mit ihren schmalen Hufen anders als Maschinen nicht alles platt, der Boden bleibt heil. Sandra Lipperts Herde, die inzwischen etwa 25 Ziegen und 20 Schafe umfasst und sich stetig vergrößert, war in den vergangenen Jahren unter anderem auf Renaturierungsflächen eines Baustoffwerks in Bad Berka und auf dem Flächennaturdenkmal Kuhschellenhang bei Thangelstedt zu finden. Erstmals haben ihre Tiere aber auch Flächen des Agrarunternehmens Tannroda entbuscht, wie es in der Fachsprache heißt, und bei einem Pilotprojekt auf der Waldweide des Eichberges im Landkreis Saalfeld-rudolstadt, wo verschiedene Orchideen wachsen, Buschwerk und Gestrüpp vorgeknöpft.
Das Zäunestecken ist eine Heidenarbeit
Nicht zuletzt waren sie auf dem Gelände des Solarparks im nahegelegenen Rittersdorf eingesetzt, wo sie vor allem dem Orientalischen Zackenschötchen den Garaus machten, einer invasiven Art, die leicht mit dem Raps verwechselt wird und viele heimische Pflanzen bedroht. Sobald sie einen konkreten Auftrag hat, lädt Sandra Lippert ihre Tiere und das Zaunmaterial auf den Anhänger, baut vor Ort den Zaun auf und entlässt die Tiere auf die Koppel. Eine Heidenarbeit, ganz besonders auf unwegsamen Gelände und steinigen Böden. „Doch das gehört dazu“, sagt die Thangelstedterin. Anschließend muss sie täglich nach den Tieren schauen, den Wasservorrat auffüllen und den Zaun kontrollieren. Denn ab und zu passiert es schon, dass beispielsweise Muffelwild in der Brunftzeit durch die Koppel fegt, den Zaun zerstört und ihre Herde die vorgegebene Fläche verlässt. „Zum Glück“, sagt Sandra Lippert, „reagieren die Tiere sehr gut auf Zuruf und folgen dann meinem Pickup.“Im Herbst kommen die Tiere in den Stall, wobei die Kapazitäten auf dem eigenen Hof längst erschöpft sind. Derzeit ist Sandra Lippert auf der Suche nach einem neuen Winterquartier für ihre Tiere. Die Nachfrage nach dieser Dienstleistung wächst stetig, zumal sich Sandra Lippert in zehn Jahren einen guten Ruf erarbeitet hat. Im vergangenen Jahr hat sie ihren Tierbestand deshalb noch um Rotes Höhenvieh, eine robuste und vom Aussterben bedrohte Hausrindrasse, erweitert, nachdem sie nahe dem Blankenhainer Ortsteil Rettwitz eine 12 Hektar große Fläche entdeckt hatte. Früheres Ackerland, das mit Hilfe von Fördermitteln in Grünland umgewandelt worden war, nun aber mehr und mehr zu verbuschen drohte. Seitdem diese Fläche der Thüringer Fernwasserversorgung gehört, pflegt Sandra Lippert sie mit ihren extensiv gehaltenen Rindern. Inzwischen stehen sechs Rinder auf der Koppel und fressen sich durch „viel, viel altes Gras“. Im Sommer wurde das erste Kälbchen geboren. Doch auch wenn die „Landschaftspflege mit Biss“gut läuft: Auf nur eine Karte will Sandra Lippert nicht setzen, zumal auch das Fleisch der Ziegen und Schafe und das Wild, das ihr Mann Mirko als Jäger erlegt, vermarktet sein wollen. Mitte Dezember hat Sandra Lippert deshalb auch noch einen Hofladen eröffnet. Mit allem, was vorgeschrieben ist – und mit einem kleinen, aber feinen Angebot regionaler Erzeugnisse: Neben Kartoffeln aus Milbitz bei Teichel verkauft sie etwa die Produkte eines Thangelstedter Imkers, Rohrzucker aus Langenwetzendorf bei Zeulenroda, Frischkäse aus Ifta bei Eisenach, handgearbeitete Einkaufsnetze einer Nachbarin und auch selbstgebackene Brote. Den Steinbackofen haben die Lipperts schon vor Jahren an exakt der Stelle errichtet, an der auch früher ein solcher Ofen auf ihrem Hof stand. Inzwischen schiebt Sandra Lippert jeweils donnerstags so viele Laibe Brot ins Rohr, wie ihre Kunden vorbestellt haben. „Bei mir gibt es zwei Sorten Brot: ein dunkles und ein weißes – mehr nicht“, sagt sie ziemlich bestimmt. Zugunsten der Qualität will sie die Auswahl lieber klein halten und zum Backen nichts als Biomehl und in Zukunft auch selbst hergestellten Sauerteig verwenden.
Über dem Hofladen eine Kreativwerkstatt
Direkt über dem kleinen Hofladen, in dem alles Frische und Sauberkeit atmet, hat sie auch ihre eigene Kreativwerkstatt: Dort stellt Sandra Lippert aus Naturmaterialien und auf Kundenwunsch Dekoratives her, zum Beispiel Türkränze für die Adventszeit. Wann sie das alles auch noch erledigt? Die 41-Jährige schmunzelt: „Naja, in der Adventszeit mitunter bis nachts um drei.“Denn dann sei die Nachfrage besonders groß. Dass sie die fertigen Arbeiten vorm Versenden umweltfreundlich mit Füllmaterial aus Erbsen- und Maisstärke verpackt, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Trotzdem sieht die Thangelstedterin noch nicht alle ihre Träume erfüllt. Eines Tages will sie auf ihrem Hof auch selbst schlachten und Wurst herstellen können. Die Räumlichkeiten dafür sind vorhanden, es fehlt aber noch an der Ausstattung, die sehr kostspielig ist. Sandra Lippert weiß, dass es nicht einfach wird, dafür Fördermittel zu bekommen, aber sie will zumindest den Versuch starten. Denn wenn Tiere schon geschlachtet werden, dann sollte das möglichst hofnah und damit stressfrei erfolgen. „Das schlägt sich auch in der Qualität des Fleisches nieder“, ist sie überzeugt. Außerdem plant sie, zusammen mit Partnerbetrieben, von denen sie zum Teil auch Erzeugnisse in ihrem Hofladen verkauft, eine Erzeugergemeinschaft zu gründen. Ganz besonders gut unterstützt fühlt sie sich bei all ihren Vorhaben vom Thüringer Landfrauenverband, in dem sie ebenso wie im Landschaftspflegeverband Thüringen und im Landesverband der Ziegenzüchter Mitglied ist. Christine Schwarzbach, die die Geschäftsstelle des Landfrauenverbands in Erfurt leitet, habe ihr schon viel Hilfe zuteilwerden lassen und ihr immer wieder Mut gemacht. Denn auch wenn Sandra Lippert eine Stehauffrau ist, die Arbeit an sieben Tagen die Woche nicht scheut und sich so schnell nicht von ihren Zielen abbringen lässt: Ein bisschen Zuspruch und konkrete Anleitung kann auch sie ab und an gut gebrauchen. Hofladen: Blankenhain, Ortsteil Thangelstedt, Dorfstraße . Freitag bis Uhr, Samstag bis Uhr. Telefon () Mehr unter www. landschaftspflege-mit-biss.de