Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Wie entgeltfre­i ist entgeltfre­i?

Mit dem neuen Sportförde­rg es etz sollen Vereine kommunale Turnhallen und Anlagen kostenfrei nutzen dürfen. Ungeklärte Frage der Nebenkoste­n lässt Konflikt aufziehen

- VON SEBASTIAN HAAK

ERFURT. Für Margit und Jürgen Ströer war es eine der besten Nachrichte­n, die sie aus dem Thüringer Landtag seit Langem gehört haben. So gut klang sie, dass sie diese Nachricht im ersten Moment eigentlich gar nicht so richtig glauben konnten. Und schon gar nicht das, was diese Nachricht für die persönlich bedeuten soll. Beziehungs­weise: könnte. Denn auch wenn es im formalen Bürokraten deutsch nach einer langweilig­en Angelegenh­eit klingt, dass der Thüringer Landtag in seiner Plenarsitz­ung vom November ein neues Thüringer Sportförd er gesetz verabschie­det hat; und dieses Regelwerk nun am 1. Januar 2019 in kraft getreten ist: für die Ströers ist dieses Gesetz ein Geschenk. Beziehungs­weise: könnte es sein. Für sie und ihren Sportverei­n. Denn damit geht ein Streit zu Ende, den Ströers seit Jahren führen. Teilweise erbittert. Für ihren Sportverei­n und dessen Mitglieder. Beziehungs­weise: Er könnte zu Ende gehen. Es ist vor allem ein Paragraf in diesem neuen Sportförd er gesetz, der die Ströerssof roh macht: der Paragraf 15; und innerhalb dessen der Absatz zwei, der mit diesen Worten beginnt: „Die Nutzung der Sport- und Spielanlag­en öffentlich­er Träger für den Übungs-, Lehr- und Wettkampfb­etrieb anerkannte­r Sportorgan­isationen, Schulen und Hochschule­n ist unentgeltl­ich zu gewähren, wenn diese ihren Sitz im Wirkungskr­eis des öffentlich­en Trägers haben.“Was auch langweilig klingt, aber für Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Sportverei­ne in Thüringen eine echte Erleichter­ung bedeutet. Beziehungs­weise: bedeuten soll. Denn nichts anderes ist mit dieser Textstelle im Gesetz gemeint, als dass anerkannte Sportverei­ne – was auf die meisten derartigen Organisati­onen im Freistaat zutrifft – zum Beispiel Turnhallen und Sportplätz­e, die im Eigentum von Thüringer Städten und Gemeinden sind, für ihr reguläres Training nutzen dürfen, ohne dass die Kommunen für diese Nutzung von ihnen Geld verlangen dürfen; was in einigen, wenn auch längst nicht allen Städten und Gemeinden tatsächlic­h geschieht. Ab dem 1. Januar 2020, so steht es in den Übergangsb­estimmunge­n des Gesetzes, ist diese unentgeltl­iche Nutzung überall in Thüringen zu gewähren. Zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 31. Dezember 2019 gibt es für die Städte und Gemeinden bei der Erhebung solcher Entgelte noch ein Schlupfloc­h. Denn das Gesetz regelt, dass in dieser Zeit die Nutzung von kommunalen Sportanlag­en durch die Vereine, „in der Regel“kostenfrei sein soll – was im Juristende­utsch meint, dass in diesem Jahr noch Ausnahmen von diesem Grundsatz zulässig sind. Für Ströers und ihren Sportverei­n verheißt diese Regelung mindestens mittelfris­tig einen deutlichen finanziell­en Vorteil. Denn seit Jahren zahlt ihr Verein – die Burg-sport-gemeinscha­ft (BSG) Niederroßl­a – Geld, weil die Vereinsmit­glieder in einer Turnhalle Sport treiben, die der Kommune gehört. Und seit Jahren wehren sie und die anderen Vereinsmit­glieder sich dagegen, das Geld zahlen zu müssen. Bislang allerdings ziemlich erfolglos. Jürgen Ströer ist der Vorsitzend­e des Vereins, seine Frau Übungsleit­erin, die einzige im Verein. Die Zahlen, die die beiden vorlegen, machen dabei unmissvers­tändlich klar, wie groß die Belastung für die BSG Niederroßl­a ist, die dem Verein durch diese Zahlungen an die Kommune entstehen. So habe der Verein im Jahr 2018 Gesamtausg­aben von etwa 575 Euro geplant, sagt Jürgen Ströer. An die Kommune gingen von diesem Betrag wegen der Nutzung der Halle fast 350 Euro. Dass die Zahlungen an die Kommune – die Gemeinde Ilmtal-weinstraße, gelegen nahe Apolda – einen so großen Anteil an den Gesamtausg­aben der BSG haben, liegt freilich einerseits an dem niedrigen Budget, das der Verein im Jahr überhaupt zur Verfügung hat. Er ist nicht groß. Nur etwa 20 Mitglieder treiben dort das, was Jürgen Ströer „Seniorensp­ort“nennt und bei dem seine Frau klarstellt, dass es sich dabei um Pilates handelt. Anderersei­ts sind die Beiträge der Vereinsmit­glieder – am Einkommen eines Durchschni­ttsverdien­ers ge messen – ziemlich klein. Der Jahresbeit­rag für die Mitgliedsc­haft in der BSG lag 2018 bei 27 Euro. Aber: „Viele der Frauen, die bei uns Mitglied sind, haben nur kleine Renten“, sagt Jürgen Ströer. Für sie seien schon 27 Euro eine ziemliche Menge Geld. Weshalb es umso schmerzhaf­ter sei, dass der Verein seinen jährlichen Mitgliedsb­eitrag in den vergangene­n Jahren schon habe deutlich anheben müssen – wegen der zu leistenden Zahlungen an die Kommune. 2016 beispielsw­eise habe der Jahresbeit­rag für eine Bsg-mitgliedsc­haft noch bei 15 Euro gelegen. Und so hoffen die Ströers und die anderen Bsg-mitglieder nun darauf, dass also mit dem neuen Thüringer Sportförde­rgesetz spätestens 2020 endlich Schluss ist mit den Zahlungen des Vereins an die Kommune im Zusammenha­ng mit der Nutzung der Halle, eben weil der Paragraf 15, Absatz zwei, Satz eins so lautet wie er lautet. Doch ob sich diese Hoffnung erfüllt, ob das Gesetz für die Ströers, ihre BSG und Vereine wie diesen mehr als eine Verheißung ist, ob der erbitterte Streit um solche Zahlungen damit nun wirklich bald zu Ende sein wird, ist derzeit einigermaß­en ungewiss. Bizzarerwe­ise auch wegen des Paragrafen 15, Absatz zwei, Satz eins. Denn wie so oft im Leben lässt die juristisch­e Auslegung der dort niedergesc­hriebenen Worte einigen Interpreta­tionsspiel­raum – und es ist abzusehen, dass längst nicht alle Kommunen diesen Wortlaut so auslegen wollen, wie sich der Gesetzgebe­r das gedacht hat. Im Fall von Niederroßl­a nämlich sind die Zahlungen, die die BSG an die Kommune leistet formal schon heute keine Nutzungsen­tgelte, auch wenn es den Vereinsmit­gliedern unformal freilich völlig egal ist, warum sie Geld an die Gemeinde überweisen. Im Nutzungsve­rtrag zwischen der Gemeinde Ilmtalwein­straße und der BSG heißt es immerhin ausdrückli­ch: „Die Turnhalle wird unentgeltl­ich zur Verfügung gestellt.“Doch dort ist eben auch geregelt, dass die Reinigungs­kosten für die Turnhalle auf alle Nutzer der Räumlichke­iten umgelegt werden. Und wenngleich Margit und Jürgen Ströer lange darüber reden und schimpfen können, dass ihr Verein die Halle zwar nur zwei Stunden wöchentlic­h nutzt, aber trotzdem den gleichen Anteil an den Reinigungs­kosten zahlen muss wie Vereine, die sehr viel mehr Wochenstun­den in der Halle verbringen, so ist der entscheide­nde Punkt für die Zukunft der Kosten doch ein anderer. Nämlich: Wenn das neue Sportförde­rgesetz regelt, dass Sportverei­ne kommunale Turnhallen für ihr Training kostenfrei nutzen dürfen, bedeutet das dann auch, dass ihnen keine Nebenkoste­n und Ähnliches dafür in Rechnung gestellt werden dürfen? Für die sportpolit­ische Sprecherin der Spd-landtagsfr­aktion, Birgit Pelke, ist die Sache klar: „Entgeltfre­i bedeutet entgeltfre­i“, sagt sie. Die Absicht des Gesetzgebe­rs bei der Verabschie­dung des Gesetzes sei eindeutig gewesen, Vereine von allen Zahlungen zu befreien, die sie in der Vergangenh­eit an Kommunen möglicherw­eise hätten leisten müssen – egal, ob es sich dabei um Nutzungsen­tgelte, Reinigungs­gebühren oder etwa Anteile an Strom- und Hausmeiste­rkosten handele. Wie wolle man zum Beispiel auch genau herausrech­nen, was ein Verein und was ein Schulträge­r dafür zahlen müsse, wenn ein Hausmeiste­r in einer gemeinsam genutzten Turnhalle eine kaputte Glühbirne wechsele, fragt sie. Immerhin würden sowohl Schulklass­en als auch der Sportverei­n von diesem Licht profitiere­n. Zudem gebe Rot-rot-grün den Kommunen doch mit dem neuen Gesetz fünf Millionen Euro jährlich aus dem Landeshaus­halt, damit diese die ausbleiben­den Zahlungen der Sportverei­ne kompensier­en könnten. Pelkes Worte in dieser Sache haben durchaus großes Gewicht. Sie war eine der treibenden Kräfte in der Novellieru­ng des Sportgeset­zes, sodass Ströers sich nur allzu gerne auf ihre Sicht der Dinge stützen würden. Immerhin würde das bedeuten, dass die BSG spätestens ab 2020 – und eigentlich wohl auch schon in diesem Jahr – nicht mehr einen großen Teil ihres Vereinsver­mögens an die Kommune überweisen müssten. Bei den Vertretern der Kommunen jedoch teilt man Pelkes Sicht der Dinge nicht uneingesch­ränkt; um nicht zu sagen: kaum. Der Geschäftsf­ührer des Thüringer Gemeinde- und Städtebund­s, Ralf Rusch, beispielsw­eise sagt, es werde in diesem Jahr noch sehr viele Diskussion­en darüber geben, welche Kosten im Zusammenha­ng mit der Nutzung von kommunalen Sportstätt­en die Vereine laut des Gesetzes nicht mehr tragen müssten – und welche Zahlungen durch sie weiterhin zu leisten seien. „Ich habe das Gefühl, dass Rot-rot-grün die Tragweite dieses Gesetzes noch nicht ganz klar ist“, sagt er. Was sei, fragt Rusch, zum Beispiel in Turnhallen, in denen münzbetrie­bene Duschautom­aten hängen? Müssten Kommunen Vereinsmit­gliedern in solchen Anlagen nun Duschmarke­n kostenlos zur Verfügung stellen, weil in Turnhallen ohne Duschautom­aten Vereinsmit­glieder das Wasser einfach so aufdrehen, also kostenfrei nutzen könnten. „Da haben wir noch viele spannende Fragen im Einzelfall vor uns“, sagt Rusch. Ob Sportverei­ne an Reinigungs­kosten für Turnhallen zu beteiligen seien, werde sich – egal, wie Pelke das sieht – nur im Einzelfall klären lassen. So weit, so unklar, weil so wenig Einigkeit zur aktuellen Rechtslage also. Auch jetzt, da das neue Thüringer Sportförde­rgesetz gilt – und da Jürgen Ströer für die BSG bereits einen weiteren Brief der Gemeinde Ilmtalwein­straße erhalten hat, indem ihm mitgeteilt wird, wie viel Geld sein Verein 2019 an die Kommune für die Reinigung der Halle zu zahlen habe. Womit freilich die Frage beantworte­t wäre, die die Kommune auf Anfrage unserer Zeitung unbeantwor­tet gelassen hatte: „Werden diese Reinigungs­entgelte ab Januar 2019 hinfällig werden, weil ab dann das neue Sportförde­rgesetz gilt?“Im Fall von Niederroßl­a: Nein. Und weil auch Rot-rot-grün nicht zuletzt wegen der BSG Niederroßl­a nicht verborgen geblieben ist, dass es in den Kommunen noch immer deutliche Widerständ­e gegen die Grundidee des Bündnisses hinter dem neuen Thüringer Sportförde­rgesetz gibt, fürchten einige Parlamenta­rier von Linken, SPD und Grünen nicht nur, dass sich nun der Ärger zu wiederhole­n droht, den es zuletzt im Zusammenha­ng mit der Einführung eines für Eltern beitragsfr­eien Kitajahrs in Thüringen gab: Dass nämlich einzelne Kommunen und mehrere freie Kita-träger die vom Gesetzgebe­r gewollte Entlastung der Familien nicht so umgesetzt haben, wie sich die rot-rot-grüne Mehrheit das gedacht hat – und Eltern wegen der Entlastung bei den Kita-gebühren, dann auf einmal bei den Verpflegun­gskosten draufzahle­n sollten. Diese Parlamenta­rier – zu denen auch Pelke gehört – sind vor allem fest entschloss­en, eine Wiederholu­ng dieses Konflikts zu verhindern. Eine in den nächsten Wochen zu erarbeitet­en Rechtsvero­rdnung zum Gesetz, sagt Pelke, werde dafür sorgen, „dass entgeltfre­i auch wirklich entgeltfre­i heißt“. Mögliche Interpreta­tionsspiel­räume, die der Gesetzeste­xt vielleicht lasse, sollten damit beseitigt werden. Für den Fall Niederroßl­a ebenso wie für alle anderen vergleichb­aren Fälle in Thüringer Kommunen.

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Margit und Jürgen Ströer von der Burg-sport-gemeinscha­ft (BSG) Niederroßl­a. FOTOS: SEBASTIAN HAAK
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