Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Wie entgeltfrei ist entgeltfrei?
Mit dem neuen Sportförderg es etz sollen Vereine kommunale Turnhallen und Anlagen kostenfrei nutzen dürfen. Ungeklärte Frage der Nebenkosten lässt Konflikt aufziehen
ERFURT. Für Margit und Jürgen Ströer war es eine der besten Nachrichten, die sie aus dem Thüringer Landtag seit Langem gehört haben. So gut klang sie, dass sie diese Nachricht im ersten Moment eigentlich gar nicht so richtig glauben konnten. Und schon gar nicht das, was diese Nachricht für die persönlich bedeuten soll. Beziehungsweise: könnte. Denn auch wenn es im formalen Bürokraten deutsch nach einer langweiligen Angelegenheit klingt, dass der Thüringer Landtag in seiner Plenarsitzung vom November ein neues Thüringer Sportförd er gesetz verabschiedet hat; und dieses Regelwerk nun am 1. Januar 2019 in kraft getreten ist: für die Ströers ist dieses Gesetz ein Geschenk. Beziehungsweise: könnte es sein. Für sie und ihren Sportverein. Denn damit geht ein Streit zu Ende, den Ströers seit Jahren führen. Teilweise erbittert. Für ihren Sportverein und dessen Mitglieder. Beziehungsweise: Er könnte zu Ende gehen. Es ist vor allem ein Paragraf in diesem neuen Sportförd er gesetz, der die Ströerssof roh macht: der Paragraf 15; und innerhalb dessen der Absatz zwei, der mit diesen Worten beginnt: „Die Nutzung der Sport- und Spielanlagen öffentlicher Träger für den Übungs-, Lehr- und Wettkampfbetrieb anerkannter Sportorganisationen, Schulen und Hochschulen ist unentgeltlich zu gewähren, wenn diese ihren Sitz im Wirkungskreis des öffentlichen Trägers haben.“Was auch langweilig klingt, aber für Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Sportvereine in Thüringen eine echte Erleichterung bedeutet. Beziehungsweise: bedeuten soll. Denn nichts anderes ist mit dieser Textstelle im Gesetz gemeint, als dass anerkannte Sportvereine – was auf die meisten derartigen Organisationen im Freistaat zutrifft – zum Beispiel Turnhallen und Sportplätze, die im Eigentum von Thüringer Städten und Gemeinden sind, für ihr reguläres Training nutzen dürfen, ohne dass die Kommunen für diese Nutzung von ihnen Geld verlangen dürfen; was in einigen, wenn auch längst nicht allen Städten und Gemeinden tatsächlich geschieht. Ab dem 1. Januar 2020, so steht es in den Übergangsbestimmungen des Gesetzes, ist diese unentgeltliche Nutzung überall in Thüringen zu gewähren. Zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 31. Dezember 2019 gibt es für die Städte und Gemeinden bei der Erhebung solcher Entgelte noch ein Schlupfloch. Denn das Gesetz regelt, dass in dieser Zeit die Nutzung von kommunalen Sportanlagen durch die Vereine, „in der Regel“kostenfrei sein soll – was im Juristendeutsch meint, dass in diesem Jahr noch Ausnahmen von diesem Grundsatz zulässig sind. Für Ströers und ihren Sportverein verheißt diese Regelung mindestens mittelfristig einen deutlichen finanziellen Vorteil. Denn seit Jahren zahlt ihr Verein – die Burg-sport-gemeinschaft (BSG) Niederroßla – Geld, weil die Vereinsmitglieder in einer Turnhalle Sport treiben, die der Kommune gehört. Und seit Jahren wehren sie und die anderen Vereinsmitglieder sich dagegen, das Geld zahlen zu müssen. Bislang allerdings ziemlich erfolglos. Jürgen Ströer ist der Vorsitzende des Vereins, seine Frau Übungsleiterin, die einzige im Verein. Die Zahlen, die die beiden vorlegen, machen dabei unmissverständlich klar, wie groß die Belastung für die BSG Niederroßla ist, die dem Verein durch diese Zahlungen an die Kommune entstehen. So habe der Verein im Jahr 2018 Gesamtausgaben von etwa 575 Euro geplant, sagt Jürgen Ströer. An die Kommune gingen von diesem Betrag wegen der Nutzung der Halle fast 350 Euro. Dass die Zahlungen an die Kommune – die Gemeinde Ilmtal-weinstraße, gelegen nahe Apolda – einen so großen Anteil an den Gesamtausgaben der BSG haben, liegt freilich einerseits an dem niedrigen Budget, das der Verein im Jahr überhaupt zur Verfügung hat. Er ist nicht groß. Nur etwa 20 Mitglieder treiben dort das, was Jürgen Ströer „Seniorensport“nennt und bei dem seine Frau klarstellt, dass es sich dabei um Pilates handelt. Andererseits sind die Beiträge der Vereinsmitglieder – am Einkommen eines Durchschnittsverdieners ge messen – ziemlich klein. Der Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft in der BSG lag 2018 bei 27 Euro. Aber: „Viele der Frauen, die bei uns Mitglied sind, haben nur kleine Renten“, sagt Jürgen Ströer. Für sie seien schon 27 Euro eine ziemliche Menge Geld. Weshalb es umso schmerzhafter sei, dass der Verein seinen jährlichen Mitgliedsbeitrag in den vergangenen Jahren schon habe deutlich anheben müssen – wegen der zu leistenden Zahlungen an die Kommune. 2016 beispielsweise habe der Jahresbeitrag für eine Bsg-mitgliedschaft noch bei 15 Euro gelegen. Und so hoffen die Ströers und die anderen Bsg-mitglieder nun darauf, dass also mit dem neuen Thüringer Sportfördergesetz spätestens 2020 endlich Schluss ist mit den Zahlungen des Vereins an die Kommune im Zusammenhang mit der Nutzung der Halle, eben weil der Paragraf 15, Absatz zwei, Satz eins so lautet wie er lautet. Doch ob sich diese Hoffnung erfüllt, ob das Gesetz für die Ströers, ihre BSG und Vereine wie diesen mehr als eine Verheißung ist, ob der erbitterte Streit um solche Zahlungen damit nun wirklich bald zu Ende sein wird, ist derzeit einigermaßen ungewiss. Bizzarerweise auch wegen des Paragrafen 15, Absatz zwei, Satz eins. Denn wie so oft im Leben lässt die juristische Auslegung der dort niedergeschriebenen Worte einigen Interpretationsspielraum – und es ist abzusehen, dass längst nicht alle Kommunen diesen Wortlaut so auslegen wollen, wie sich der Gesetzgeber das gedacht hat. Im Fall von Niederroßla nämlich sind die Zahlungen, die die BSG an die Kommune leistet formal schon heute keine Nutzungsentgelte, auch wenn es den Vereinsmitgliedern unformal freilich völlig egal ist, warum sie Geld an die Gemeinde überweisen. Im Nutzungsvertrag zwischen der Gemeinde Ilmtalweinstraße und der BSG heißt es immerhin ausdrücklich: „Die Turnhalle wird unentgeltlich zur Verfügung gestellt.“Doch dort ist eben auch geregelt, dass die Reinigungskosten für die Turnhalle auf alle Nutzer der Räumlichkeiten umgelegt werden. Und wenngleich Margit und Jürgen Ströer lange darüber reden und schimpfen können, dass ihr Verein die Halle zwar nur zwei Stunden wöchentlich nutzt, aber trotzdem den gleichen Anteil an den Reinigungskosten zahlen muss wie Vereine, die sehr viel mehr Wochenstunden in der Halle verbringen, so ist der entscheidende Punkt für die Zukunft der Kosten doch ein anderer. Nämlich: Wenn das neue Sportfördergesetz regelt, dass Sportvereine kommunale Turnhallen für ihr Training kostenfrei nutzen dürfen, bedeutet das dann auch, dass ihnen keine Nebenkosten und Ähnliches dafür in Rechnung gestellt werden dürfen? Für die sportpolitische Sprecherin der Spd-landtagsfraktion, Birgit Pelke, ist die Sache klar: „Entgeltfrei bedeutet entgeltfrei“, sagt sie. Die Absicht des Gesetzgebers bei der Verabschiedung des Gesetzes sei eindeutig gewesen, Vereine von allen Zahlungen zu befreien, die sie in der Vergangenheit an Kommunen möglicherweise hätten leisten müssen – egal, ob es sich dabei um Nutzungsentgelte, Reinigungsgebühren oder etwa Anteile an Strom- und Hausmeisterkosten handele. Wie wolle man zum Beispiel auch genau herausrechnen, was ein Verein und was ein Schulträger dafür zahlen müsse, wenn ein Hausmeister in einer gemeinsam genutzten Turnhalle eine kaputte Glühbirne wechsele, fragt sie. Immerhin würden sowohl Schulklassen als auch der Sportverein von diesem Licht profitieren. Zudem gebe Rot-rot-grün den Kommunen doch mit dem neuen Gesetz fünf Millionen Euro jährlich aus dem Landeshaushalt, damit diese die ausbleibenden Zahlungen der Sportvereine kompensieren könnten. Pelkes Worte in dieser Sache haben durchaus großes Gewicht. Sie war eine der treibenden Kräfte in der Novellierung des Sportgesetzes, sodass Ströers sich nur allzu gerne auf ihre Sicht der Dinge stützen würden. Immerhin würde das bedeuten, dass die BSG spätestens ab 2020 – und eigentlich wohl auch schon in diesem Jahr – nicht mehr einen großen Teil ihres Vereinsvermögens an die Kommune überweisen müssten. Bei den Vertretern der Kommunen jedoch teilt man Pelkes Sicht der Dinge nicht uneingeschränkt; um nicht zu sagen: kaum. Der Geschäftsführer des Thüringer Gemeinde- und Städtebunds, Ralf Rusch, beispielsweise sagt, es werde in diesem Jahr noch sehr viele Diskussionen darüber geben, welche Kosten im Zusammenhang mit der Nutzung von kommunalen Sportstätten die Vereine laut des Gesetzes nicht mehr tragen müssten – und welche Zahlungen durch sie weiterhin zu leisten seien. „Ich habe das Gefühl, dass Rot-rot-grün die Tragweite dieses Gesetzes noch nicht ganz klar ist“, sagt er. Was sei, fragt Rusch, zum Beispiel in Turnhallen, in denen münzbetriebene Duschautomaten hängen? Müssten Kommunen Vereinsmitgliedern in solchen Anlagen nun Duschmarken kostenlos zur Verfügung stellen, weil in Turnhallen ohne Duschautomaten Vereinsmitglieder das Wasser einfach so aufdrehen, also kostenfrei nutzen könnten. „Da haben wir noch viele spannende Fragen im Einzelfall vor uns“, sagt Rusch. Ob Sportvereine an Reinigungskosten für Turnhallen zu beteiligen seien, werde sich – egal, wie Pelke das sieht – nur im Einzelfall klären lassen. So weit, so unklar, weil so wenig Einigkeit zur aktuellen Rechtslage also. Auch jetzt, da das neue Thüringer Sportfördergesetz gilt – und da Jürgen Ströer für die BSG bereits einen weiteren Brief der Gemeinde Ilmtalweinstraße erhalten hat, indem ihm mitgeteilt wird, wie viel Geld sein Verein 2019 an die Kommune für die Reinigung der Halle zu zahlen habe. Womit freilich die Frage beantwortet wäre, die die Kommune auf Anfrage unserer Zeitung unbeantwortet gelassen hatte: „Werden diese Reinigungsentgelte ab Januar 2019 hinfällig werden, weil ab dann das neue Sportfördergesetz gilt?“Im Fall von Niederroßla: Nein. Und weil auch Rot-rot-grün nicht zuletzt wegen der BSG Niederroßla nicht verborgen geblieben ist, dass es in den Kommunen noch immer deutliche Widerstände gegen die Grundidee des Bündnisses hinter dem neuen Thüringer Sportfördergesetz gibt, fürchten einige Parlamentarier von Linken, SPD und Grünen nicht nur, dass sich nun der Ärger zu wiederholen droht, den es zuletzt im Zusammenhang mit der Einführung eines für Eltern beitragsfreien Kitajahrs in Thüringen gab: Dass nämlich einzelne Kommunen und mehrere freie Kita-träger die vom Gesetzgeber gewollte Entlastung der Familien nicht so umgesetzt haben, wie sich die rot-rot-grüne Mehrheit das gedacht hat – und Eltern wegen der Entlastung bei den Kita-gebühren, dann auf einmal bei den Verpflegungskosten draufzahlen sollten. Diese Parlamentarier – zu denen auch Pelke gehört – sind vor allem fest entschlossen, eine Wiederholung dieses Konflikts zu verhindern. Eine in den nächsten Wochen zu erarbeiteten Rechtsverordnung zum Gesetz, sagt Pelke, werde dafür sorgen, „dass entgeltfrei auch wirklich entgeltfrei heißt“. Mögliche Interpretationsspielräume, die der Gesetzestext vielleicht lasse, sollten damit beseitigt werden. Für den Fall Niederroßla ebenso wie für alle anderen vergleichbaren Fälle in Thüringer Kommunen.