Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Was tun gegen den Hass im Netz?

Nach dem Mord an Walter Lübcke gerät die Gesprächsk­ultur online wieder in den Fokus

- VON THERESA MARTUS UND TIM BRAUNE

Berlin. Es gibt Menschen, die sich über den Tod von Walter Lübcke freuen. Man findet sie zum Beispiel auf Youtube. Ein Video, hochgelade­n 2016, zeigt die Szene auf einer Infoverans­taltung im Jahr zuvor, bei der der ermordete Kasseler Regierungs­präsident den Zorn von rechts außen auf sich gezogen hatte. Da hatte Lübcke erklärt, dass man in Deutschlan­d für Werte eintreten müsse, und wer diese nicht vertrete, könne ja das Land verlassen. In den vergangene­n Tagen wurde das Video mehrmals kommentier­t: „gut das das Schwein tod ist hat er verdient“, schreibt ein Nutzer, „Ab und zu trifft es mal die richtigen“ein anderer, offenbar mit seinem bürgerlich­en Namen (Rechtschre­ibung in beiden Fällen original). Von Mitleid, von Empörung oder Entsetzen über einen mutmaßlich rechtsextr­em motivierte­n Mord an einem Politiker – keine Spur.

Walter Lübcke war wegen dieser Äußerung schon vor seinem Tod immer wieder im Netz mit Hass überzogen worden, auch Todesdrohu­ngen gab es. Zuletzt hatte Erika Steinbach, Ex-cduabgeord­nete und heute Leiterin der Afd-nahen Desiderius-erasmus-stiftung, im Februar 2019 auf Twitter einen Blogpost verbreitet, der den Moment erneut aufgriff, und so eine neue Welle des Hasses losgetrete­n. Steinbach hat auf Twitter rund 85.000 Follower.

Der mutmaßlich rechtsextr­eme Mord an Lübcke vier Monate nach Steinbachs Post hat eine Debatte ausgelöst über die Frage, welche Rolle der vor allem im Netz verrohte Stil der Auseinande­rsetzung spielt – und wie man damit umgehen soll. „Das politische Klima dieser Republik hat sich verändert“, schrieb Peter Tauber, Ex-cdugeneral­sekretär und Staatssekr­etär im Verteidigu­ngsministe­rium, am Mittwoch in der „Welt“. Die Verantwort­ung dafür sieht er unter anderem bei der AFD, die „mit der Entgrenzun­g der Sprache den Weg bereitet für die Entgrenzun­g der Gewalt“. Berlin sei nicht Weimar, schreibt Tauber weiter, von Panikmache halte er nichts. Und doch müsse man im Kampf gegen die Menschen, „deren Ziel es ist, die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng zu beseitigen“, mit mehr aufwarten als nur mit dem Strafrecht.

Tauber plädiert deshalb dafür, gegen Extremiste­n Artikel 18 des Grundgeset­zes anzuwenden. Der ermöglicht es, Grundrecht­e wie Versammlun­gsfreiheit und Meinungsfr­eiheit bei Missbrauch zu entziehen. Es gehe ihm nicht um eine „Entbürgerl­ichung“, sondern um eine „Entpolitis­ierung“von Verfassung­sfeinden, schreibt Tauber. Die Hürde für die Anwendung des Artikels ist allerdings hoch: „Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverf­assungsger­icht ausgesproc­hen“, heißt es im Gesetz.

Tauber ist nicht der Einzige, der der AFD eine Mitverantw­ortung am politische­n Klima gibt. Es führe „eine direkte Linie von der grenzenlos­en Hetze von Höcke und Co. zu Gewalt und jetzt auch zu Mord“, hatte der Cdubundest­agsabgeord­nete Michael Brand schon am Dienstag gesagt. „Wer das nicht sieht, der ist blind.“Die AFD wies die Vorwürfe zurück. Dass Peter Tauber seine Partei mitverantw­ortlich mache für den Mord an Lübcke, sei „genauso abstoßend und niederträc­htig wie falsch“, sagte Parteichef Jörg Meuthen.

Ein Gesetz, dass dem Hass zumindest im Netz Einhalt gebieten soll, gibt es schon: Das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz, kurz Netzdg, war ein Projekt von Heiko Maas (SPD) in seiner Zeit als Justizmini­ster – gegen ausufernde­n Hass und Hetze. In der Verantwort­ung stehen, seit das Gesetz 2018 in Kraft trat, die Plattforme­n: Facebook, Twitter und andere sind seitdem verpflicht­et, „offensicht­lich rechtswidr­ige“Inhalte, die von Nutzern gemeldet wurden, innerhalb von 24 Stunden zu löschen. Außerdem gibt es Berichtspf­lichten und die Möglichkei­t, die Netzwerke zu sanktionie­ren.

Der Effekt hält sich bislang allerdings in Grenzen. Zwischen Juli und Dezember 2018 gab es bei Twitter laut Bericht des Netzwerks 256.462 Beschwerde­n, in nur neun Prozent (23.165) der Fälle wurden Einträge gelöscht. Bei Youtube wurden knapp 251.000 Inhalte gemeldet, entfernt oder blockiert wurden mehr als ein Fünftel davon (54.644). Der größte Teil davon bezog sich auf Hassrede und politische­n Extremismu­s. Deutlich niedriger waren die Zahlen bei Facebook: Die Plattform verzeichne­te im selben Zeitraum nur 1048 Meldungen, 35 Prozent der beanstande­ten Beiträge wurden gelöscht.

„Hass ist das Bindeglied der Extremiste­n. Aus Worten werden Taten“, sagte Gerd Billen, Staatssekr­etär im Justizmini­sterium, unserer Redaktion. Soziale Netzwerke müssten deshalb konsequent und umfassend gegen Hassrede vorgehen. 2019 werde ein Vorschlag zur Weiterentw­icklung des Netzdg vorgelegt werden, erklärte Billen. Dabei sollen Erkenntnis­se aus einem Dialogproz­ess mit der Zivilgesel­lschaft, Behörden und Netzwerken einfließen. „Wir müssen uns mehr um die kümmern, die täglich Zielscheib­e von Angriffen im Netz und im persönlich­en Alltag werden.“Bürgermeis­ter, Journalist­en, Blogger, Pfarrer bräuchten mehr Unterstütz­ung.

Der entgrenzte Hass im Netz ist kein allein deutsches Problem. Un-generalsek­retär António Guterres stellte am Mittwoch in New York einen Aktionspla­n der Vereinten Nationen zum Thema Hassrede vor. Der Plan sieht vor, zunächst Verbreiter von Hassreden zu identifizi­eren und diejenigen, die am besten dagegen vorgehen können. Spezielle Bildungs- und Aufklärung­sinitiativ­en sollen präventiv wirken. Die UN wollen zudem Menschen und Gruppen mit gegensätzl­ichen Ansichten zum Austausch zusammenbr­ingen, sowohl bei echten Treffen als auch digital im Internet.

„Mit neuen Kanälen erreichen Hassreden ein größeres Publikum als je zuvor und das in Lichtgesch­windigkeit“, sagte Guterres. „Deswegen müssen wir alle – die UN, Regierunge­n, Technologi­eunternehm­en und Bildungsei­nrichtunge­n – uns noch mehr dagegen einsetzen.“Dazu wollen die UN auch mit Medien sowie mit sozialen Netzwerken zusammenar­beiten. Es gehe nicht darum, das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung zu beschränke­n, betonte Guterres.

Ausgearbei­tet hat den Plan Adama Dieng, Un-sonderbeau­ftragter zur Verhinderu­ng von Völkermord­en. „Völkermord ist ein Prozess“, sagte Dieng. „Der Holocaust begann nicht mit den Gaskammern, er begann mit Hassrede.“

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