Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Zauberhaftes Unstruttal
Es gibt Menschen, denen Wandern nicht viel gibt. Wie mich. Touren ins Grüne, wenn sie sich nicht vermeiden lassen, arbeite ich eher stramm ab, als sie zu genießen. Und nur selten lösen sie bei mir dieses befreiende Gefühl im Kopf aus, von dem viele schwärmen. Aber diese Wanderung ist anders.
Zum einen ist sie mehr ein ausgedehnter Spaziergang. Zum zweiten erlaubt sie ein wirklich beeindruckendes Erlebnis von Natur. Und obwohl sie fast eben, auf gut ausgebautem Weg ohne Hindernisse durch das Tal der Unstrut führt, ist sie abwechslungsund lehrreich und weckte in mir, dem überzeugten Städter, die sonst meist schlummernde Begeisterung an der Natur.
Das mag auch daran liegen, dass mir mit Stefan Feldhoff ein naturkundiger Begleiter zur Seite stand. Er hat mit seiner Frau Anne Christine Martin in Merxleben eine neue Heimat gefunden. Beide schreiben Reise-, Wander- und Naturführer, in denen sie ein besonders Augenmerk auf die Pflanzen am Wegesrand legen, gerade auf die, die nicht so berühmt sind.
Treffpunkt ist am Nägelstedter Sportplatz. Da lässt sich der Unstrut-pegel besichtigen, bei dem es neben dem aktuellen Wasserstand des Flusses auch Informationen gibt zu zurückliegenden Hochwasser-ereignissen. Die 1,5 Kilometer des kombinierten Rad- und Wanderwegs bis zum eigentlichen Startpunkt, dem „Grill zum Unstruttal“, sind nicht besonders reizvoll, aber nach und nach beginnt entlang des Flussufers die üppiger werdende Vegetation, einen in Besitz zu nehmen.
Schnell noch, vor der Brücke zum Grill, ein Abstecher zur nahen
Lohmühle, wo man ein Mühlrad bei der Arbeit sehen kann. Dann geht es los ins rund 200 Hektar große Gebiet, das seit 1996 unter Naturschutz steht. Sofort ist jedes Zivilisations-geräusch verschwunden.
Erst kurz vor Großvargula macht sich wieder die nahe Landstraße nach Gräfentonna bemerkbar. Ansonsten nur Vogelgezwitscher und, zumindest auf dem ersten Teilstück, das konstante Plätschern des Bachs. Später entfernt sich der Weg etwas von der Unstrut.
Die führt an diesem Tag nach üppigem Regen viel Wasser. Weil es tags recht heiß wird und weite Teile der Strecke nicht beschattet sind, sind wir früh losgegangen. Die hoch bewachsenen Wiesen links und rechts des Weges sind nass, was uns nicht davon
abhält, sie ab und zu zu betreten, zum Beispiel um näher an den Fluss zu kommen, oder Libellen zu beobachten, die es hier in großer Zahl gibt.
Da die Unstrut hier unreguliert schlängeln darf, mäandert auch der Weg. Und nach fast jeder Biegung ändert sich der Ausblick auf die Landschaft, die weitgehend sich selbst überlassen ist. Erst sind die Nord-hänge mit Obstbäumen bewachsen. Manche sind abgestorben und bilden bizarre Skulpturen.
Dann werden die Hänge kahler, haben aber Terrassen, was von früherem Weinanbau her rührt – wie er heute wieder kurz vor Großvargula betrieben wird. Eine Schafherde, natürliche Rasemäher, liegt gemütlich in einem Zaun-geviert. Immer wieder sieht man Kopfweiden. Dann kommt eine größere Gruppe dieses Baums, der früher das Material für Körbe lieferte. Und wieder leichte Magie: Die Bäume wirken ein bisschen wie Waldgeister mit wirrer Frisur. Kurz vor Ende des Naturschutzgebiets beginnt dann ein Stück mit dichtem Auwald – ganz anders als die vorhergehende Strecke.
Die ganze Zeit begegnet uns nur ein einziger Radfahrer. Der frühe Morgen ist also keine schlechte Zeit für diesen Weg. Sitz- und Rastgelegenheiten gibt es unterwegs nur wenige, aber am Endpunkt, kurz bevor uns mit Großvargula wieder die Zivilisation erreicht, steht eine schöne Sitzgruppe direkt am Fluss, mit Blick auf eine Insel. Und einer Informationstafel.
Von denen gibt es unterwegs mehrere, so dass man viel erfährt über die Landschaft und die Pflanzen- und Tierwelt in diesem Paradies. Wer Freude an blühender Natur hat, findet hier das ganze Jahr Farbtupfer, nicht nur im sehr zeitigen Frühjahr, wenn im Tal die Adonisröschen ihren mittlerweile recht berühmten gelben Teppich ausbreiten. Aber am Fluss hat sich auch der Riesenbärenklau teils sehr dicht ausgebreitet
Auch eine aufgelassene Lehmgrube und ein Steinbruch ziehen unterwegs die Blicke auf sich – geisterhafte Reste früherer Zivilisation. Die hat einen in Großvargula, das man durch ein Neubaugebiet betritt, bald wieder. Aber ein leichtes Glücksgefühl bleibt noch länger.
In unserer Wanderserie veröffentlichen wir jede Woche eine Wanderroute aus der Region. Alle bisherigen Folgen gibt es auch unter www.tlz.de/wanderserie.