Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Jenseits von Las Vegas
Im Hubschrauber über dem Grand Canyon, im Schlauchboot auf dem Colorado River, im Buggy durch die Wüste: Der Us-bundesstaat Nevada ist wie gemacht für Adrenalin-junkies
Die Propeller schwingen immer schneller. Die Sitze vibrieren und der Helikopter schwebt in kaum zwei Meter Höhe über die Startbahn. Nach kurzer Beschleunigung hebt er ab wie ein Gummiball und verursacht ein Kribbeln im Bauch. Vor einem erstreckt sich die atemberaubende Wüstenlandschaft von Nevada.
Der Lake Mead, der mit einer Größe von 640 Quadratkilometern der größte und wichtigste Stausee der USA ist, schlängelt sich durch die steilen Felswände. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen und kämpft sich an die Spitze des Himmels. Als der Helikopter nach rund 20 Minuten den Eingang zum westlichen Teil des Grand Canyons erreicht, läuft auf den Kopfhörern, die jeder Fluggast trägt, „Beautiful Day“von U2. Ja, es ist wirklich ein wunderschöner Tag – und vor allem ein unvergessliches Erlebnis, bei dem nicht selten Freudentränen vergossen werden.
Mit dem Helikopterflug, der in Boulder City startet, lässt man die surreale Parallelwelt des 30 Kilometer entfernten Las Vegas hinter sich. In der Casinostadt scheint nichts unmöglich. Am bekannten „Strip“, einem fast sieben Kilometer langer Abschnitt des Las Vegas Boulevards, reiht sich ein Luxushotel an das andere. Jedes von ihnen ist so groß, dass man sich in ihm verlaufen könnte.
Und in jedem befinden sich Spielautomaten so weit das Auge reicht. Schon frühmorgens schmeißen die Leute Münzen in einarmige Banditen und zocken. Hin und wieder begegnen einem betrunkene Frauen im Brautkleid mit verschmiertem Make-up. Ja, Las Vegas erfüllt so ziemlich jedes Klischee.
Einige Hotels der Wüstenstadt, die sich erst 1905 offiziell gründete, stehen unter bestimmten Mottos. So besteht das „Luxor“aus einer 107 Meter hohen Pyramide und einer Sphinx und ist im Stil des alten Ägyptens gebaut. Nicht weit von hier ragt vor dem „Paris Las Vegas“eine Kopie des Eiffelturms in den Himmel und im „Venetian“wurden die Kanäle von Venedig nachempfunden.
Bei einem Nachtspaziergang über den Las Vegas Strip glitzert und funkelt es überall. Halb nackte Frauen in Kostümen ziehen an einem vorbei, sie werben genauso für die berühmten Shows wie die überdimensional großen Plakate an den Gebäuden. Immer wieder wächst das Gefühl in einem, in einer anderen Welt gelandet zu sein. Doch eine Reise nach Las Vegas muss nicht wie ein Junggesellenabschied im Film „Hangover“ablaufen – sie bietet so viel mehr. Zum Beispiel eine atemberaubende Natur.
„Wie lange fliegst du schon?“, fragt ein Gast Michelle, die gerade den Helikopter über den Hoover Dam steuert. Mehrere Hundert Meter über der Erde duzt man sich. „Heute ist mein erster Tag“, scherzt die 33-Jährige. Seit fünf Jahren ist die gebürtige Texanerin Pilotin. Dreimal täglich fliegt sie mit Touristen zum Grand Canyon.
An den faszinierenden 180-Grad-ausblick aus der Rundumverglasung hat sich Michelle längst gewöhnt. „Die Landschaft verändert sich nicht, deswegen ist es nicht mehr so besonders wie am Anfang für mich“, sagt sie. Am besten gefalle ihr das Starten und Landen. Da spüre man den Unterschied zu einem Flugzeug am meisten.
Im Nordosten von Las Vegas liegt die kleine Gemeinde Goodsprings. Nicht einmal 300 Menschen leben hier. Ein beliebter Treffpunkt der Einheimischen ist der Pioneer Saloon. Die Kneipe sieht aus wie in einem amerikanischen Western-film: Männer trinken Whiskey und tragen Cowboyhüte. Frauen servieren die Drinks in kurzen Röcken und Cowboystiefeln. Wenige Touristen verirren sich hierher.
Dabei starten nicht weit vom Saloon entfernt die „Vegas Off Road Tours“. Mit einem 130 km/h schnellen Buggy braust man für 450 Dollar rund zweieinhalb Stunden durch die Wüste – genau das Richtige für Adrenalinjunkies. Sand wirbelt auf. Fahrer und Beifahrer tragen eine Brille sowie ein Tuch als Schutz vor Mund und Nase. Die Wege sind hügelig, das Fahrzeug hüpft auf und ab. Wer Glück hat, begegnet mitten in der Wüste sogar wilden Pferden – ein magisches Erlebnis. „Wir wollen nicht nur mit den Autos Spaß haben. Es geht auch darum, die Natur kennenzulernen“, sagt Craig. Der Guide donnert mit seinen Fahrgästen bis zur kalifornischen Grenze durch die Dünen. Dann geht es zurück zum Pioneer Saloon – bei Burger und Chips klingt das
Abenteuer aus. Zweifelsohne: Diese Tour zeigt einem, wie schön die Wüstenlandschaft trotz weniger Farbtupfer sein kann.
Wer in Las Vegas wohnt, aber die Natur außerhalb der Metropole während der Ausflüge erlebt, bewegt sich ständig zwischen zwei Welten. Nicht nur mit dem Helikopter oder dem Buggy kann man die Landschaft in Nevada prima erkunden, sondern auch mit dem Boot. Bei einer Rafting-tour durch den Black Canyon fährt man mit einem motorbetriebenen Schlauchboot drei Stunden über den Colorado River. Der Fluss trennt die Usamerikanischen Bundesstaaten Nevada und Arizona voneinander. Los geht die Tour am Fuße des Hoover Dams.
Der Damm staut den Colorado River zum Lake Mead, der wiederum fast zwei Millionen Haushalte in der Umgebung mit Strom versorgt. Die Mauer ist rund 220 Meter hoch. Wer an ihr hochschaut, fühlt sich winzig klein. Ähnlich ergeht es einem, wenn man mit dem Boot zwischen den steilen Felswänden des Black Canyons entlangfährt.
„Haltet die Augen nach Tieren auf“, brüllt Jeff, der den Motor weiter beschleunigt und kaum noch zu verstehen ist. Wasser spritzt ins Gesicht, das Schlauchboot hüpft über die Wellen. „Wenn ihr nass werdet, hat euch der Fluss einen Kuss gegeben“, scherzt der Guide.
Jeff hält immer wieder an interessanten Stellen an. An einem Ufer gibt es ein Picknick. Dann steuert er das Boot in eine kleine Höhle, bis zu einer Wasserquelle. Aufgeregt zeigt er seinen Passagieren die verschiedenen Vogelarten, die durch den Black Canyon fliegen oder in den Felsen brüten. Besonders stolz ist der Us-amerikaner darauf, dass er ein paar Tiernamen auf Deutsch kennt – wie Steinbock oder Haubentaucher. „Gut, oder?“, fragt er mit einem triumphierenden Grinsen.
Bis auf wenige Kajak-fahrer begegnen einem kaum Menschen während der Rafting-tour. Dasselbe gilt für den Mountainbikeausflug durch den Bootleg Canyon Park. Auch hier kann man nahezu ungestört die Berge mit dem Rad erklimmen. Außerhalb von Las Vegas hat man als Tourist selten das Gefühl, Teil der Massenabfertigung zu sein – ganz im Gegenteil zum Stadtinneren. Am berühmten Ortsschild mit dem Schriftzug „Welcome to Fabulous Las Vegas“steht man fast eine halbe Stunde an, um ein Foto von sich und dem Leuchtzeichen zu schießen, so lang ist die Schlange.
Häufig wird behauptet, eine Reise nach Las Vegas lohne sich – aber nur einmal, für ein paar Tage. Das stimmt definitiv nicht. Wer noch so viel mehr als Spielautomaten und schlechte Elvis-imitatoren entdecken möchte, sollte Zeit einplanen. In der wunderschönen Landschaft, der Parallelwelt zu Nevadas bekanntester Wüstenstadt, kann frei nach U2 jeder Tag zum „Beautiful Day“werden.
Auf dem Colorado River sind kaum Menschen unterwegs
Von Annabell Behrmann