Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Leben mit der Angst
Anfeindungen und Gewaltfantasien gehören für viele Amts- und Mandatsträger zum Alltag
Es begann mit E-mails. Als sich im Oktober 2015 ein Video im Internet verbreitet, das den Kasseler Regierungspräsidenten auf einer Informationsveranstaltung zeigt, rollt schnell eine Welle von Beschimpfungen, Beleidigungen und Androhungen von Gewalt gegen den Cdupolitiker. Lübcke hatte Kritikern der Flüchtlingspolitik zugerufen: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen.“Rund vier Jahre später ist Walter Lübcke tot, mutmaßlich ermordet von dem Rechtsextremen Stephan E. Drohungen und auch gewalttätige Angriffe sind eine Erfahrung, die viele Politiker in Deutschland machen. Henriette Reker, Oberbürgermeisterin von Köln, wurde 2015 niedergestochen, sie überlebte das Attentat nur knapp. Reker war als Beigeordnete für Soziales unter anderem für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig gewesen. Der Cdu-spitzenkandidat Mike Mohring erhielt im thüringischen Landtagswahlkampf Drohungen, die direkt Bezug auf den Angriff auf Reker nahmen. Die Absender der Emails unterzeichneten als „Staatsstreichorchester“– ein Name, unter dem seit Monaten Drohmails an Politiker und Vertreter gesellschaftlicher Organisationen geschickt werden. Die Zahl der Nachrichten geht in die Hunderte, die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermittelt. Auch die Spitzenkandidaten von Grünen und AFD waren Morddrofahrungen 2015 wurde Henriette Reker in Köln niedergestochen. FOTO: DPA hungen ausgesetzt, ebenso Grünenbundeschef Robert Habeck. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt schon seit Längerem, dass auch Kommunalpolitiker sich immer häufiger Hass und Drohungen ausgesetzt sehen. Eine Umfrage unter 1000 Bürgermeistern aus dem Juni ergab, dass rund jede zweite Kommune bereits Ermit Bedrohungen, Beschimpfungen oder Einschüchterungsversuchen gemacht hat. Als Teil eines Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus, das am Mittwoch im Kabinett verabschiedet wurde, will die Regierung nun den Paragrafen 188 des Strafgesetzbuchs so anpassen, dass unter seinen Schutz nicht nur wie bisher Bundes- und Landespolitiker, sondern auch Kommunalpolitiker fallen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) zeigt sich besorgt über das Klima. Der Hass, der in den bedrohlichen Mails zum Ausdruck komme, sei „nicht selten“die Vorstufe von Gewalt, sagte er kürzlich. So wie im Fall Lübcke. tma