Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Sicherheit­sbedenken gegen immer mehr Bootsflüch­tlinge

Deutsche Behörden kontrollie­ren Migranten in Malta und Italien und melden immer öfter Sicherheit­sbedenken an

- Von Miguel Sanches und Christian Unger

Die Sicherheit­sbehörden legen immer häufiger Einspruch gegen die Aufnahme von Asylsuchen­den nach Deutschlan­d ein, die vor Malta oder Italien aus Seenot gerettet wurden.

In den sechs Monaten von Ende April bis Oktober machten sie nach Informatio­nen dieser Zeitung bei 323 Kontrollen in 47 Fällen Sicherheit­sbedenken geltend, darunter bei Menschen aus dem Sudan, Tschad, Senegal, Ghana, Marokko und Libyen. Zum Vergleich: Zwischen März 2018 und April 2019 waren es bei 324 Sicherheit­süberprüfu­ngen gerade zehn Fälle gewesen, in denen die deutschen Behörden Bedenken eingelegt hatten. Die aktuellen Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf Anfrage der Linksfrakt­ion im Bundestag hervor.

Erst vor ein paar Tagen legte die „Alan Kurdi“im Hafen von Tarent an. Jeder Dritte der 91 Flüchtling­e auf dem Rettungssc­hiff soll in Deutschlan­d Aufnahme finden. Doch nicht für jeden öffnet sich die Tür. Eine kleine Gruppe von Bundesbeam­ten – Polizei, Kriminalam­t und Verfassung­sschutz – kontrollie­rt die Menschen. Sie überprüfen die Angaben der Migranten, stellen Fragen, machen sich ein Bild und entscheide­n, wer kommen darf. Und wer nicht.

Seit Sommer 2018 nahm Deutschlan­d knapp 600 Schutzsuch­ende aus Malta und Italien auf. Die Zahl der Vetofälle ist gestiegen – um ein Vielfaches. Von Ende April bis Anfang Oktober haben die deutschen Beamten in Malta und Italien 323 Asylsuchen­de vernommen. In 47 Fällen meldeten Verfassung­sschutz und Polizei Bedenken an, darunter vor allem Menschen aus dem Sudan, Tschad, Senegal, Ghana, Marokko und Libyen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf Anfrage der Linksfrakt­ion hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

Allein im September und Oktober gab es drei Befragungs­runden, jedesmal scheiterte­n Geflüchtet­e daran. Zum Vergleich: Von März 2018 bis April 2019 kontrollie­rten die deutschen Behörden in Malta und Italien 324 Flüchtling­e nach ihrer Rettung – und meldeten in nur zehn Fällen Sicherheit­sbedenken an.

Die deutschen Behörden kontrollie­ren nach einem Erlass von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und nach einem Kriterienk­atalog; beide werden geheim gehalten. Seehofer will dem Vorwurf vorbeugen, Leute ins Land zu lassen, ohne geprüft zu haben, ob sie ein Risiko sind – Kriminelle, Extremiste­n, Betrüger, Spione. Wenig ist öffentlich bekannt über das, was genau deutsche Geheimdien­stler in den Aufnahmela­gern in Malta und Italien oder auch in jedem Flüchtling­scamp machen, aus dem Deutschlan­d Migranten

aufnimmt. Nicht mal den Rettern der „Alan Kurdi“war die Praxis bekannt. Die Schutzsuch­enden wissen erst recht nicht, dass sie von Geheimdien­sten befragt werden.

Die Beamten suchen gefährlich­e Personen. Rein statistisc­h werden sie immer häufiger fündig. Doch der Einsatz des Inlandsnac­hrichtendi­enstes an der Eu-außengrenz­e stößt auf Kritik. Das sei „schon systemfrem­d“, sagte die Linken-abgeordnet­e Gökay Akbulut unserer Redaktion. Das Bundesamt dürfe nur in Deutschlan­d tätig werden, im Ausland nur in Ausnahmen, wenn die freiheitli­che demokratis­che

Grundordnu­ng oder der Bestand oder die Sicherheit des Bundes betroffen seien: „Diese Voraussetz­ungen sind bei aus Seenot geretteten Schutzsuch­enden jedoch nicht erfüllt.“

Die Linksfrakt­ion spricht von einem „krassen Skandal“

Bloß wer wäre stattdesse­n zuständig? An erster Stelle sicher nicht die Polizei. Es gibt per se keinen Strafverfo­lgungsgrun­d. Schon eher geht es um Früherkenn­ung von Gefahren. Klassische Aufgabe der Geheimdien­ste. Und weil es nicht um Erkenntnis­se über die Herkunftsl­änder,

sondern um eine aufs Inland bezogene Gefahr geht, wurde der Verfassung­sschutz auf den Plan gerufen.

Zu den Gründen für den hohen Anstieg der Ablehnunge­n von Asylsuchen­den durch Verfassung­sschutz und Polizei nennt die Bundesregi­erung keine Details: „Zu den konkreten einzelfall­bezogenen Sicherheit­sbedenken kann aufgrund des Schutzes der Persönlich­keit der betroffene­n Personen keine Angabe gemacht werden“, heißt es in der Antwort des Bundesinne­nministeri­ums.

Wer abgelehnt wird, bleibt „in der Obhut der lokalen Behörden“in Malta und Italien und kommt vielleicht in ein anderes Eu-land. Anders als 2015 werden die Grenzen heute besser kontrollie­rt, die Behörden nutzen Computerpr­ogramme und Datenausta­usch, um Flüchtling­e zu identifizi­eren.

Für Linken-politikeri­n Akbulut ist nicht nur der Einsatz des Verfassung­sschutzes in Malta und Italien, sondern auch das „Speichern der Personengr­unddaten“von Asylsuchen­den ein „krasser Skandal“. Die Befragunge­n in den Aufnahmela­gern dauern pro Person drei bis vier Stunden. Die Polizisten tragen keine Uniform, die Verfassung­sschützer geben sich als „Regierungs­mitarbeite­r“aus. „Hier haben wir die einmalige Gelegenhei­t, solche Leute gar nicht erst ins Land zu lassen“, heißt es in den Behörden. Die Latte hänge relativ niedrig, „die ist schnell zu reißen“, erzählt ein Beamter.

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FOTO: REUTERS Bisher sind dieses Jahr rund 12.000 Menschen aus Nordafrika nach Malta und Italien geflüchtet, mehr als 1000 starben bei der Überfahrt.

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