Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Es bleibt auch noch viel zu tun“
Bundesregierung legt Halbzeitbilanz und Arbeitsplan bis 2021 vor – Brinkhaus warnt bei der Grundrente: „Wir sind kein Spd-beglückungsverein“
Ist die Hälfte geschafft, wird gern ein Bergfest gefeiert. Man setzt sich bei einem guten Glas zusammen, blickt stolz auf das Erreichte zurück und zuversichtlich auf das, was in der Zukunft noch kommen mag. Bei CDU, CSU und SPD läuft es etwas anders ab. Die drei Partner machen das, was sie zumindest in den Augen vieler Kritiker offenkundig am besten können – sie streiten. An diesem Mittwoch wird im Bundeskabinett die mit Spannung erwartete Halbzeitbilanz der schwarz-roten Koalition beraten. Grundlage ist ein 83-seitiges Dokument, in der die Regierung unter Federführung des Kanzleramtes und des Spd-geführten Vizekanzleramtes aufgelistet hat, was bislang geschafft wurde und was bis 2021 noch kommen soll. Die Analyse liegt unserer Redaktion vor.
Regierung sorgt sich um Demokratie und Kompromisse
Die Bundesregierung sieht sich darin selbst zur Halbzeit auf Kurs. Das überrascht niemanden. Kein Minister, kein Staatssekretär möchte vorzeitig aus dem Amt scheiden. Das gilt übrigens auch für die Kanzlerin. Angela Merkel möchte im zweiten Halbjahr 2020 ihre lange Kanzlerschaft mit der deutschen Eu-ratspräsidentschaft krönen. So bekräftigt die Regierung in dem vorliegenden Papier trotz aller Differenzen den Willen und den Anspruch, bis 2021 zum Wohl des Landes zusammenzuarbeiten. „Zusammen mit den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben wir viel erreicht und umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel zu tun.“
Klar bekennt sich die Koalition zu einer starken EU. Viele globale Herausforderungen wie der Klimawandel, zunehmende Handelsstreitigkeiten, bewaffnete Konflikte und Terrorismus sowie Armut und weltweite Migration seien „nur europäisch und multilateral“zu bewältigen. Sorgen macht sich die Regierung, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt weiter bröckelt: „Wir leben in einer Zeit, in der die politischen und gesellschaftlichen Fliehkräfte zunehmen. Der Ausgleich unterschiedlicher Interessen und die in einer Demokratie unabdingbare Bereitschaft zum Kompromiss verlieren an Akzeptanz.“Ob sich diese Passage auch auf die Grundrente bezieht, wird in der Halbzeitbilanz offengelassen.
Denn zum kleinen Jubiläum redeten sich die Koalitionäre am Dienstag auf der Fraktionsebene des Reichstages erst einmal in Rage. Stein des Anstoßes war die Grundrente. In der SPD, die seit fünf Monaten eine neue Führung sucht und deren Mitglieder bis Ende November über eine Doppelspitze abstimmen, wächst eine Stimmung, die einen Fortbestand der Koalition von einer großen Lösung abhängig macht. Vor dieser Alles-oder-nichtsattitüde warnten Unionsspitzen den Koalitionspartner. „Wir sind hier kein Spd-beglückungsverein“, sagte Cdu/csu-fraktionschef Ralph Brinkhaus. Umgekehrt beäugen die Genossen kritisch die Lage in der CDU, wo Friedrich Merz in einem zweiten Anlauf Merkel und Annegret Kramp-karrenbauer absägen will.
Merkel argumentierte vor der Fraktion, wenn die Union Volkspartei bleiben wolle, sollte man nicht nur die Beispiele der Villenbesitzer anführen, sondern sich umschauen, wie es beim Bäcker, der Reinigungskraft oder in den Logistikunternehmen aussehe. Für die sei das kein Spaß. Diese Menschen sollten eben auch Wähler der Union sein, genauso wie Mittelständler und Unternehmer, sagte die Kanzlerin, die für ihr Statement langen Applaus bekam. Ohne eine überzeugende Grundrenten-lösung dürfte es für die Groko-befürworter in der SPD um Parteichef-bewerber Olaf Scholz schwer werden, dem Parteitag
Anfang Dezember in Berlin ein Ja für die Fortsetzung der Koalition abzuringen. Konkret bietet der Finanzminister in der vorliegenden Halbzeitbilanz mehr Unterstützung für überschuldete Kommunen an. „Der Bund ist bereit, zur Unterstützung hoch verschuldeter Kommunen, bei deren Zins- und Tilgungslasten dann einen Beitrag zu leisten, wenn andere Hilfe alleine nicht ausreichend ist und es einen nationalen politischen Konsens gibt, den betroffenen Kommunen einmalig gezielt zu helfen“, schreibt die Regierung. Derzeit ächzen die Kommunen unter einer Altschuldenlast von rund 50 Milliarden Euro. Bei den Arbeitgebern stößt die Bilanz auf Kritik: „Es ist tragisch, dass die große Koalition ihre große Mehrheit nicht für große Taten nutzt“, sagte Bda-hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. „Einem Unternehmen mit einer solchen Bilanz würde vermutlich jede Hausbank berechtigterweise schwerlich einen Kredit gewähren.“DGB-CHEF Reiner Hoffmann dagegen lobte die Regierungsarbeit: „Obwohl die Groko keine Liebesheirat war, können SPD und CDU eine ganz ordentliche Bilanz vorlegen, vor allem im Bereich Arbeit und Soziales“, sagte der oberste Gewerkschafter. Die Hängepartie bei der Grundrente müsse aber enden. „Da dürfen Steuergeschenke in Milliardenhöhe für die Reichen und die Wirtschaft nicht länger zur Bedingung gemacht werden.“Die große Frage vor den Parteitagen von CDU und SPD bleibt, ob die Halbzeitbilanz am Ende stark genug ist, um die Fliehkräfte in der Groko zu bändigen.