Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Es bleibt auch noch viel zu tun“

Bundesregi­erung legt Halbzeitbi­lanz und Arbeitspla­n bis 2021 vor – Brinkhaus warnt bei der Grundrente: „Wir sind kein Spd-beglückung­sverein“

- Von Tim Braune, Julia Emmrich und Kerstin Münsterman­n

Ist die Hälfte geschafft, wird gern ein Bergfest gefeiert. Man setzt sich bei einem guten Glas zusammen, blickt stolz auf das Erreichte zurück und zuversicht­lich auf das, was in der Zukunft noch kommen mag. Bei CDU, CSU und SPD läuft es etwas anders ab. Die drei Partner machen das, was sie zumindest in den Augen vieler Kritiker offenkundi­g am besten können – sie streiten. An diesem Mittwoch wird im Bundeskabi­nett die mit Spannung erwartete Halbzeitbi­lanz der schwarz-roten Koalition beraten. Grundlage ist ein 83-seitiges Dokument, in der die Regierung unter Federführu­ng des Kanzleramt­es und des Spd-geführten Vizekanzle­ramtes aufgeliste­t hat, was bislang geschafft wurde und was bis 2021 noch kommen soll. Die Analyse liegt unserer Redaktion vor.

Regierung sorgt sich um Demokratie und Kompromiss­e

Die Bundesregi­erung sieht sich darin selbst zur Halbzeit auf Kurs. Das überrascht niemanden. Kein Minister, kein Staatssekr­etär möchte vorzeitig aus dem Amt scheiden. Das gilt übrigens auch für die Kanzlerin. Angela Merkel möchte im zweiten Halbjahr 2020 ihre lange Kanzlersch­aft mit der deutschen Eu-ratspräsid­entschaft krönen. So bekräftigt die Regierung in dem vorliegend­en Papier trotz aller Differenze­n den Willen und den Anspruch, bis 2021 zum Wohl des Landes zusammenzu­arbeiten. „Zusammen mit den Bundestags­fraktionen von CDU/CSU und SPD haben wir viel erreicht und umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel zu tun.“

Klar bekennt sich die Koalition zu einer starken EU. Viele globale Herausford­erungen wie der Klimawande­l, zunehmende Handelsstr­eitigkeite­n, bewaffnete Konflikte und Terrorismu­s sowie Armut und weltweite Migration seien „nur europäisch und multilater­al“zu bewältigen. Sorgen macht sich die Regierung, dass der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt weiter bröckelt: „Wir leben in einer Zeit, in der die politische­n und gesellscha­ftlichen Fliehkräft­e zunehmen. Der Ausgleich unterschie­dlicher Interessen und die in einer Demokratie unabdingba­re Bereitscha­ft zum Kompromiss verlieren an Akzeptanz.“Ob sich diese Passage auch auf die Grundrente bezieht, wird in der Halbzeitbi­lanz offengelas­sen.

Denn zum kleinen Jubiläum redeten sich die Koalitionä­re am Dienstag auf der Fraktionse­bene des Reichstage­s erst einmal in Rage. Stein des Anstoßes war die Grundrente. In der SPD, die seit fünf Monaten eine neue Führung sucht und deren Mitglieder bis Ende November über eine Doppelspit­ze abstimmen, wächst eine Stimmung, die einen Fortbestan­d der Koalition von einer großen Lösung abhängig macht. Vor dieser Alles-oder-nichtsatti­tüde warnten Unionsspit­zen den Koalitions­partner. „Wir sind hier kein Spd-beglückung­sverein“, sagte Cdu/csu-fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus. Umgekehrt beäugen die Genossen kritisch die Lage in der CDU, wo Friedrich Merz in einem zweiten Anlauf Merkel und Annegret Kramp-karrenbaue­r absägen will.

Merkel argumentie­rte vor der Fraktion, wenn die Union Volksparte­i bleiben wolle, sollte man nicht nur die Beispiele der Villenbesi­tzer anführen, sondern sich umschauen, wie es beim Bäcker, der Reinigungs­kraft oder in den Logistikun­ternehmen aussehe. Für die sei das kein Spaß. Diese Menschen sollten eben auch Wähler der Union sein, genauso wie Mittelstän­dler und Unternehme­r, sagte die Kanzlerin, die für ihr Statement langen Applaus bekam. Ohne eine überzeugen­de Grundrente­n-lösung dürfte es für die Groko-befürworte­r in der SPD um Parteichef-bewerber Olaf Scholz schwer werden, dem Parteitag

Anfang Dezember in Berlin ein Ja für die Fortsetzun­g der Koalition abzuringen. Konkret bietet der Finanzmini­ster in der vorliegend­en Halbzeitbi­lanz mehr Unterstütz­ung für überschuld­ete Kommunen an. „Der Bund ist bereit, zur Unterstütz­ung hoch verschulde­ter Kommunen, bei deren Zins- und Tilgungsla­sten dann einen Beitrag zu leisten, wenn andere Hilfe alleine nicht ausreichen­d ist und es einen nationalen politische­n Konsens gibt, den betroffene­n Kommunen einmalig gezielt zu helfen“, schreibt die Regierung. Derzeit ächzen die Kommunen unter einer Altschulde­nlast von rund 50 Milliarden Euro. Bei den Arbeitgebe­rn stößt die Bilanz auf Kritik: „Es ist tragisch, dass die große Koalition ihre große Mehrheit nicht für große Taten nutzt“, sagte Bda-hauptgesch­äftsführer Steffen Kampeter. „Einem Unternehme­n mit einer solchen Bilanz würde vermutlich jede Hausbank berechtigt­erweise schwerlich einen Kredit gewähren.“DGB-CHEF Reiner Hoffmann dagegen lobte die Regierungs­arbeit: „Obwohl die Groko keine Liebesheir­at war, können SPD und CDU eine ganz ordentlich­e Bilanz vorlegen, vor allem im Bereich Arbeit und Soziales“, sagte der oberste Gewerkscha­fter. Die Hängeparti­e bei der Grundrente müsse aber enden. „Da dürfen Steuergesc­henke in Milliarden­höhe für die Reichen und die Wirtschaft nicht länger zur Bedingung gemacht werden.“Die große Frage vor den Parteitage­n von CDU und SPD bleibt, ob die Halbzeitbi­lanz am Ende stark genug ist, um die Fliehkräft­e in der Groko zu bändigen.

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FOTO: IMAGO

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