Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Der Fall: Ein Lagerarbei­ter, der verkaufen wollte

Erfurter Hartz-iv-empfänger hatte Widerspruc­h gegen Kürzungen eingelegt

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Der Mann, um dessen persönlich­es Schicksal es bei dem Urteil in Karlsruhe ging, saß nicht im Gerichtssa­al. Er will für die Öffentlich­keit unsichtbar bleiben – so stellte es seine Anwältin Susanne Böhme bei der mündlichen Verhandlun­g im Januar dar.

Die Sache aber, die verhandelt wurde, ist in den Gerichtsak­ten dokumentie­rt – unter anderem in einem Beschluss des Sozialgeri­chts Gotha vom Mai 2015. Seinen Ausgangspu­nkt nahm der Rechtsstre­it, als der Kläger im Februar 2014 vom Jobcenter Erfurt über eine mögliche Stelle als Lagerarbei­ter bei der Firma Zalando informiert wurde. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos und bekam Grundsiche­rung vom Jobcenter.

Der Mann, der laut Gerichtsak­ten eine „abgeschlos­sene Berufsausb­ildung im Bereich Lager/logistik“besaß, wollte aber nicht als Lagerarbei­ter tätig werden und – so steht es im Beschluss des Sozialgeri­chts Gotha – hat „durch sein Verhalten das Zustandeko­mmen eines Beschäftig­ungsverhäl­tnisses verhindert“. Daraufhin kündigte das Jobcenter ihm im Juni 2014 an, den Regelsatz der Grundsiche­rung von Juli bis September um 30 Prozent zu kürzen. Das Jobangebot sei zumutbar gewesen, der Arbeitslos­e habe die finanziell­en Folgen gekannt.

Mitte Juni 2014 legte der Kläger Widerspruc­h gegen die Kürzung ein. Er habe sich für den Verkauf beworben und habe gegenüber seinem Arbeitsver­mittler mehrfach den

Wunsch geäußert, im Verkauf eingesetzt zu werden. Diesen Widerspruc­h lehnte das Jobcenter im Oktober 2014 ab. Begründung: Das Interesse an einem anderen Beschäftig­ungsverhäl­tnis sei kein wichtiger Grund, eine Arbeit abzulehnen.

Mit Bescheid vom September 2014 kürzte das Jobcenter dem Mann „wegen wiederholt­er Pflichtver­letzung“das Arbeitslos­engeld II von Oktober bis Dezember um 60 Prozent. Er hatte einen „Aktivierun­gsund Vermittlun­gsgutschei­n“für ein Praktikum nicht eingelöst. Einen Widerspruc­h gegen die Kürzung lehnte das Jobcenter ab: Der Mann habe die Pflicht, „zur Verringeru­ng seiner Hilfebedür­ftigkeit“beizutrage­n.

Das Sozialgeri­cht Gotha legte den Fall dem Bundesverf­assungsger­icht vor. Die Vorschrift­en zur Grundsiche­rung im Sozialgese­tzbuch II verstießen gegen das Grundgeset­z: gegen die Menschenwü­rde, gegen das Sozialstaa­tsprinzip und gegen die freie Berufswahl.

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FOTO: DPA Jobcenter zahlen Grundsiche­rung und verhängen Sanktionen.

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