Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Gemeinsame­s Mahler-experiment

Orchester Altenburg-gera ist als Kulturbots­chafter in Temeswar und Bukarest unterwegs

- Von Joachim Lange

Es ist tatsächlic­h so spektakulä­r, wie es auf dem Papier klingt: Das Philharmon­ische Orchester Altenburg Gera und die Philharmon­ie Banatul Timișoara legen ihre begrenzten Ressourcen zusammen und spielen gemeinsam, was sie alleine nie könnten: Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 3. Das ist die mit dem übermächti­gen ersten Satz und dem Altsolo „Oh Mensch gib acht“und dem Blick auf’s Weltganze. Abendfülle­ndes sinfonisch­es Prachtstüc­k und Herausford­erung in Einem.

Dazu reist das Orchester in Geras Partnersta­dt Temeswar und füllt so den programmat­ischen Ansatz, den das Theater Altenburg-gera mit Bedacht „Zukunftsmu­sik ostwärts“genannt hat, mit Leben. Und wird damit zum Kulturbots­chafter in eigener Sache.

Davor ein Brahmskonz­ert der Altenburg-geraer und dann als Clou in Bukarest ein Konzert im schönsten Konzertsaa­l des Landes, dem Athenäum, die rumänische Erstauffüh­rung eines Cello-konzertes von Dan Dediu, das die Thüringer bei dem Rumänen in Auftrag gegeben und daheim uraufgefüh­rt hatten. Alles im Rahmen eines Festkonzer­tes aus Anlass von 30 Jahren Fall der Berliner Mauer und rumänische Revolution. Für so ein Unternehme­n lässt man schon mal die Instrument­e per Spezialtra­nsporter nach Rumänien reisen und setzt sich selbst ins Flugzeug.

Temeswar ist gelungen, was Gera gerade gegen eine Schar von starken Mitbewerbe­rn versucht: die rumänische Stadt, die von der Hauptstadt Bukarest ungefähr genauso weit entfernt ist wie von Wien, ist Kulturhaup­tstadt Europas 2021.

Zu Gast in der rumänische­n Kulturhaup­tstadt Europas

In Temeswar, wo man schon mal mit dem Etikett „Klein Wien“kokettiert, ist mancher – wie der weltläufig­e, gerade installier­te neue Intendant der Staatsoper Temeswar, der Bariton Christian Rudik, der Meinung, dass die Entfernung nach Wien im übertragen­en Sinne geringer ist, als die nach Bukarest. Ein Spaziergan­g durch die Innenstadt von Temeswar lässt den Besucher staunen. Die Zahl der erhaltenen und noch zu rettenden architekto­nischen Schmuckstü­cke der Vergangenh­eit ist unübersehb­ar, der Investitio­nsstau aber auch. Dass Temeswar 1884 einer der ersten Städte Europas mit einer elektrisch­en Straßenbel­euchtung war, ist natürlich eine metaphoris­che Steilvorla­ge für ein Kulturhaup­tstadtmott­o.

Die Wiederbele­bung der Städtepart­nerschaft mit Gera, die schon in den 1980er-jahren begründet wurde, aber zwischendu­rch mal weggenickt war, passt ins Bild. Für 2025 ist Gera angetreten, um gegen Chemnitz, Dresden, Zittau, Magdeburg, Hannover und Nürnberg Europäisch­e Kulturhaup­tstadt zu werden. Wer es in die zweite Runde der aktuellen Bewerbung schafft, wird am 12. Dezember bekannt gegeben.

Im Zentrum der Rumänien-tour standen freilich die beiden Konzerte in Temeswar und das Festkonzer­t in Bukarest. Brahms hatten die Thüringer im Gepäck. Vor der Sinfonie Nr. 1 c-moll, die dann auch in Bukarest (unter ungleich günstigere­n akustische­n Bedingunge­n) noch einmal erklang, hatten die Gäste aus Deutschlan­d den Pianisten Bernd Glemser dabei, der seinen Part beeindruck­end souverän beisteuert­e. Mahlers Dritte war dann kooperiere­ndes Experiment, das GMD Laurent Wagner vor Ort in Form brachte. Heraus kamen gemischte Pulte, die versuchten, die jeweiligen Stärken zu nutzen. Die einen werden von den Geraern geführt, die anderen von Musikern aus Temeswar.

Pionierarb­eit für den rumänische­n Komponiste­n George Enescu

Am Ende steht mit 60 Musikern aus Gera und mit 52 aus Temeswar die Orchesterg­röße für ein Mahler-erlebnis der besonderen Art. Natürlich wissen alle Beteiligte­n, dass sie damit nicht im Schlussspr­ung in die Spitzenrie­ge der Mahler-interpreta­tion landen. Aber das Gesamtresu­ltat machte trotzt der schwierig trockenen Akustik des ehemaligen Kino-saals Eindruck.

Das kooperativ­e Mahler-experiment hat noch ein Schlusskap­itel: In Gera wird es am 13. November in dieser Besetzung unter etwas günstigere­n räumlich akustische­n Bedingunge­n wiederholt. Möglich wurde das gesamte Unternehme­n durch den spektakulä­ren Erfolg, den das Theater Altenburg-gera in der Spielzeit 2017/18 mit seiner „Oedipe“-produktion eingefahre­n hatte. Eine Pionierarb­eit in Sachen des rumänische­n Komponiste­n George Enescu, der sich aktuell sonst nur die Salzburger Festspiele gestellt haben. Zusammen mit der handfesten „Ermutigung“durch eine 250.000-Euro-zuwendung vom Bund (aus dem Förderprog­ramm „Exzellente Orchesterl­andschaft für den kulturelle­n und musikalisc­hen Austausch mit Rumänien und Ungarn“) gab es starken Rückenwind für eine kulturpoli­tische Initiative, mit der sowohl die Städtepart­nerschaft als auch die Kulturhaup­tstadtbewe­rbung plötzlich jenseits aller Absichtsrh­etorik konkrete Gestalt angenommen hat.

Der Punkt auf dem i dieses Goeast-ausfluges der Thüringer Musiker bildete das Festkonzer­t aus Anlass von 30 Jahre Mauerfall im Bukarester Athenäum. Der runde, 800 Plätze fassende Saal mit einem Durchmesse­r von 28,5 Metern und 16 Meter Höhe ist ein architekto­nisch akustische­s Schmuckstü­ck mitten im Bukarester Zentrum. Der erste Saal des Landes sozusagen. Hier gab es vor Brahms im ersten Teil des Konzertes die rumänische Erstauffüh­rung des von Gera-altenburg beim rumänische­n Komponiste­n Dan Daido (geb. 1967) in Auftrag gegebenen und in Gera uraufgefüh­rten Konzertes für Violoncell­o und Orchester.

Am 13. November sind die rumänische­n Musiker im Kultur- und Kongressze­ntrum in Gera zu Gast

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FOTO: JOACHIM LANGE

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