Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Gesundheit­s-apps auf Rezept

Die große Koalition ermöglicht die Verschreib­ung von digitalen Anwendunge­n – die Opposition sorgt sich um Datensiche­rheit

- Von Philipp Neumann

Auf vielen Handys sind sie installier­t: Applikatio­nen, die Gesundheit­sdaten sammeln und verarbeite­n. Das kann die Strecke sein, die beim Joggen gelaufen wird oder die Blutzucker­werte von Diabetiker­n. Auch den Rhythmus, in dem Medikament­e eingenomme­n werden müssen, können Gesundheit­sapps vorgeben und überwachen.

Eine Kontrolle, welche dieser Anwendunge­n nützlich sind, findet bisher nicht statt. Ärzte konnten die Hilfsmitte­l bisher nicht verordnen. Das soll ab Januar 2020 anders werden: Mit den Stimmen der großen Koalition hat der Bundestag am Freitag das „Digitale-versorgung­gesetz“beschlosse­n. Es soll Patienten und Ärzten auch helfen, Videosprec­hstunden durchzufüh­ren.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) sagte, das Gesetz sei eine Weltneuhei­t: „Wir werden das erste Land auf der Welt sein, das die Wildwest-situation bei den Apps beendet“, sagte er. Es werde eine Orientieru­ng geben, welche Apps eine Nutzen haben und welche nicht.

Dem Gesetz zufolge soll das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BFARM) die Apps auf Datensiche­rheit, Datenschut­z und Funktional­ität prüfen. Dann könne die jeweilige App ein Jahr lang vorläufig von den gesetzlich­en Kassen erstattet werden. In dieser Zeit muss der Hersteller nachweisen, dass die App die Versorgung der Patienten verbessert. Spahn sagte, man betrete damit Neuland: „Es wird nicht beim ersten Mal alles perfekt sein. Aber vielleicht sollten wir anfangen, digitale Innovation­en möglich zu machen.“Der Minister versichert­e, die Gesundheit­sdaten der Patienten würden „auf dem höchsten Niveau“geschützt.

Zweifel an der Datensiche­rheit meldeten alle Opposition­sparteien an. „Das Gesetz wird fatale Folgen haben. Am Ende werden die Versichert­en teuer dafür bezahlen“, warnte der Linke-politiker Achim Kessler. Spahn treibe die Kommerzial­isierung des Gesundheit­swesens voran. Auch Christine Aschenberg-dugnus (FDP) sagte: „Der Datenschut­z wird nicht hinreichen­d beachtet.“Es sei falsch, dass die Daten nicht verschlüss­elt würden. Afd-politiker Uwe Witt kritisiert­e, dass viele ältere Menschen kein Smartphone besäßen oder Apps nicht bedienen könnten.

Vor dem Bundestags­beschluss hatte Ärztepräsi­dent Klaus Reinhardt ein behutsames Vorgehen bei digitalen Angeboten für Patienten angemahnt. „Es haben nicht alle Menschen in dieser Gesellscha­ft die gleiche Vertrauthe­it mit neuen

Technologi­en, zum Beispiel auch wegen ihres Alters“, sagte er. „Wenn wir zu stark und zu schnell auf digitale Unterstütz­ung abstellen, darf man die Menschen nicht vergessen, die damit vielleicht nicht umgehen können.“Sonst drohe eine Art „Zweiklasse­nversorgun­g“.

Entlastung für Angehörige:

Am späten Donnerstag­abend hat der Bundestag auch ein Gesetz beschlosse­n, auf das Angehörige von pflegebedü­rftigen Menschen lange gewartet haben: Wenn Angehörige in einem Heim versorgt werden und die Kosten dafür selbst nicht mehr bezahlen können, dann sollen Eltern und Kinder nicht mehr zum Unterhalt herangezog­en werden, wenn sie weniger als 100.000 Euro brutto pro Jahr verdienen. Das bedeutet, dass auf das Einkommen der Kinder von pflegebedü­rftigen Eltern, die die sogenannte Hilfe zur Pflege erhalten, erst ab einer Höhe ab 100.000 Euro zurückgegr­iffen werden kann. Umgekehrt soll dies für Eltern gelten, deren volljährig­e und pflegebedü­rftige Kinder in einem Heim leben. Wie viele Angehörige profitiere­n, ist laut Bundesregi­erung unklar. Die jährlichen Kosten, die Ländern und Kommunen entstehen, werden auf 300 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.

Steuer für Hygienepro­dukte:

Auf öffentlich­en Druck senkt die Regierung die Mehrwertst­euer auf Hygienepro­dukte für Frauen wie Tampons von 19 auf sieben Prozent.

„Wir sollten anfangen, digitale Innovation­en möglich zu machen,“

Jens Spahn (CDU),

Bundesgesu­ndheitsmin­ister

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FOTO: IMAGO STOCK Ab dem nächsten Jahr sollen Ärzte Anwendunge­n fürs Handy verschreib­en und leichter Videosprec­hstunden anbieten können

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