Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Türkei schiebt deutsche Is-mitglieder ab

Von den Islamisten, die den Niedergang des Pseudo-kalifats überlebt haben, kommen jetzt einige zurück

- Von Miguel Sanches Christian Unger

Der Ernstfall ist eingetrete­n: Die Türkei öffnet ihre Gefängniss­e und schiebt „Extremiste­n“in andere Staaten ab, nach Deutschlan­d zunächst drei Männer, fünf Frauen und zwei Kinder. Die erste Aktion wurde schon für Montag in Aussicht gestellt, fand nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums aber nicht statt. Offiziell angekündig­t wurden Abschiebun­gen nun für Donnerstag (sieben) und für Freitag (zwei).

Die Betroffene­n sind allesamt im türkischen Gewahrsam – unter ihnen ist nach Informatio­nen unserer Redaktion auch ein Ehepaar mit fünf Kindern. Das Paar soll aus einer Stadt in Niedersach­sen stammen und erst vor knapp einem Jahr aus Deutschlan­d in die Türkei gereist sein. Unklar ist, ob sie einen Bezug zum „Islamische­n Staat“haben.

Generell gilt: Weil sie Deutsche sind, dürfen sie einreisen

Am Freitag werden zudem zwei Frauen erwartet, eine davon mutmaßlich frühere Is-anhängerin und ebenfalls aus Niedersach­sen. Insgesamt knapp 20 Deutsche sollen in der Türkei in Abschiebeh­aft sitzen und in den kommenden Wochen nach Deutschlan­d ausreisen. Bei einer Frau aus Hamburg müssen die Behörden nach Informatio­nen unserer Redaktion noch die Identität ihrer drei Kinder überprüfen. Sobald alle Daten den deutschen Behörden bekannt sind, sollen sie kontrollie­rt mit dem Flugzeug einreisen. Die Bundespoli­zei hat die Personen auf dem Radarschir­m: Sie checkt, ob sie zur Fahndung ausgeschri­eben sind, ob Haftbefehl­e vorliegen. In diesem Fall können sie sofort bei Ankunft festgenomm­en werden.

Generell gilt: Weil sie Deutsche sind, dürfen sie einreisen. Wie man mit ihnen weiter verfährt, hängt davon ab, was gegen sie vorliegt, insbesonde­re, ob sie einen Bezug zum Terrornetz­werk IS haben. Von den 84 Deutschen, die zuletzt in kurdischer Haft in Nordsyrien waren, gilt den Sicherheit­sbehörden etwa ein Drittel als „islamistis­che Gefährder“, also als Personen, denen sie schwere Verbrechen bis hin zu Anschlägen zutrauen. Ohnehin halten die Sicherheit­sbehörden die Risiken für hoch, die von den früheren Is-kämpfern ausgehen. Gegen 28 deutsche Männer, die einst in Richtung Is-gebiet ausgereist waren und in Syrien inhaftiert wurden, liegt laut deutschen Behörden inzwischen ein Haftbefehl vor, ebenso gegen acht Frauen. Kehrt ein mutmaßlich­er Dschihadis­t regulär mit einem Flugzeug zurück, kann er gleich am Flughafen festgenomm­en werden. Wenn gerichtsfe­ste Beweise fehlen, die Behörden aber von „Gefährdern“ausgehen, werden sie überwacht..

Doch das ist aufwendig. Zwischen 20 und 30 speziell ausgebilde­te Beamte braucht die Polizei oder der Verfassung­sschutz, um einen Dschihadis­ten 24 Stunden und sieben Tage die Woche auf dem Schirm zu haben. Daneben prüft die Justiz, ob die türkischen Gefängniss­trafen auch in Deutschlan­d vollstreck­t werden. Das ist bei jedem Einzelfall anders. Nicht allen mutmaßlich­en Is-anhängern, die künftig aus der Türkei nach Deutschlan­d kommen, werden deutsche Staatsanwä­lte den Prozess machen können. Denn oftmals ist die Beweislage gegen die mutmaßlich­en Is-anhänger dünn. Wenig oder keine Fotos und Videos belegen die Mitgliedsc­haft in der Terrororga­nisation oder sogar die Teilnahme an Morden oder Folter, die es unter der Is-herrschaft gegeben hatte.

Die Türkei kritisiert, viele europäisch­e Länder entzögen sich ihrer Verantwort­ung, indem sie Is-kämpfern die Staatsange­hörigkeit entzögen, um sie nicht zurücknehm­en zu müssen. Die Türkei sei „kein Hotel für ausländisc­he Is-terroriste­n“.

Und im Prinzip argumentie­rt die Bundesregi­erung nicht anders: Wenn es eine Chance gibt, „islamistis­che Gefährder“aus Deutschlan­d abzuschieb­en – dann versuchen die Behörden genau das.

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FOTO: IVOR PRICKETT/NYT Mutmaßlich­e Is-angehörige in einem Gefängnis kurdischer Milizen in Nordsyrien. Auch in der Türkei sind viele von ihnen inhaftiert.

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