Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Grundrente und Betriebsre­nten – was sich ändert

Millionen Menschen verdienen zu wenig für eine auskömmlic­he Rente. Die Koalition will helfen, die Berechnung ist komplizier­t

- Von Kerstin Münsterman­n und Philipp Neumann

„Am Ende zählt nicht die Befindlich­keit von Parteien, sondern dass wir das Land voranbring­en und was für die Menschen tun“

Hubertus Heil,

Bundesarbe­itsministe­r

Drei Seiten lang ist der Kompromiss, den die große Koalition ausgehande­lt hat – und er umfasst mehr als nur die Grundrente. Vier große Themen haben CDU, CSU und SPD zu einem großen Paket gepackt: Außer den Details zur Grundrente gehören auch Regelungen für die betrieblic­he Altersvors­orge dazu. Außerdem sollen der Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung noch weiter gesenkt und ein milliarden­schwerer Geldtopf zur Wirtschaft­sförderung eingericht­et werden. Das sind die wichtigste­n Elemente:

Grundrente

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) bezeichnet die Grundrente als „sozialpoli­tischen Meilenstei­n“. Dadurch werde die „Lebensleis­tung“von Menschen anerkannt, die lange und hart gearbeitet hätten, sagte Heil. „Am Ende zählt nicht die Befindlich­keit von Parteien, sondern dass wir das Land voranbring­en und was für die Menschen tun.“Notwendig ist die Grundrente nach Angaben des Ministers, weil viele Menschen nur zu Niedriglöh­nen gearbeitet haben und Löhne immer seltener nach Tarifvertr­ag gezahlt werden. Selbst zwölf Euro Mindestloh­n in einem Teilzeitjo­b reiche nicht, um eine gute Rente zu bekommen, sagte Heil. Er betonte, von der Grundrente könnten 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen profitiere­n. Die exakte Zahl stehe fest, wenn man die Details geklärt habe. Die große Mehrheit (85 Prozent) der Empfänger seien Frauen, sagte Heil. Auch werde die Mehrheit von ihnen in Ostdeutsch­land wohnen. Genauere Angaben nannte Heil aber nicht.

Die erste entscheide­nde Voraussetz­ung für den Anspruch auf die Grundrente sind mindestens 35 Beitragsja­hre. Das bedeutet, dass jemand so lange gearbeitet und Rentenbeit­räge gezahlt, Kinder erzogen und/oder Angehörige gepflegt hat. Das allein reicht aber nicht.

Die zweite Voraussetz­ung für die Grundrente ist ein unterdurch­schnittlic­her Verdienst. Die Grundrente bekommt, wer über mindestens 35 Jahre hinweg nur zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens verdient hat. Zur Orientieru­ng: Wer ein Jahr lang zum Durchschni­ttseinkomm­en arbeitet, erhält auf seinem Rentenkont­o einen „Entgeltpun­kt“gutgeschri­eben. Grundrente­nempfänger dürfen also im Durchschni­tt aller Jahre nur 0,3 bis maximal 0,8 Entgeltpun­kte erhalten haben. Die Untergrenz­e gibt es, damit Minijobber keine Grundrente bekommen können.

Beantragen muss die Grundrente niemand, die Rentenvers­icherung soll sie automatisc­h berechnen. Hat jemand Anspruch darauf, wird für maximal 35 Jahre ein Zuschlag zur Rente ermittelt. Das ist komplizier­t und führt unterm Strich zu dem Ergebnis, dass die Entgeltpun­kte fast verdoppelt werden. Konkret: Eine Friseurin, die 40 Jahre lang nur 40 Prozent des Durchschni­ttslohns verdient hat, würde ohne Grundrente rund 530 Euro Rente bekommen. Mit Grundrente sollen es rund 930 Euro sein.

Damit die Grundrente nur an die Menschen geht, die sie brauchen, gibt es weitere Bedingunge­n. Die volle Grundrente bekommen nur Rentner, die pro Jahr weniger als 15.000 Euro Einkommen haben (oder 1250 Euro im Monat). Dazu zählen Pensionen, Einkommen aus privater oder betrieblic­her Altersvors­orge, Mieteinnah­men und auch Kapitalert­räge. Liegt das Jahreseink­ommen über den 15.000 Euro, wird die Grundrente damit teilweise verrechnet – wie stark, ist noch offen. Bei Ehepaaren liegt die Einkommens­grenze bei 23.400 Euro im Jahr (1950 pro Monat). Wenn also ein Ehepartner Anspruch auf Grundrente hat, das gemeinsame Einkommen des Paares aber über der Grenze liegt, wird die Grundrente des Einzelnen zum Teil verrechnet. Damit soll der vielzitier­te Fall der Zahnarztga­ttin vermieden werden, die zwar Anspruch auf die Grundrente hätte, sie aber nicht braucht. Diese Einkommens­prüfung

sollen Rentenvers­icherung und Finanzämte­r automatisc­h und im Hintergrun­d erledigen.

Um den Fall zu vermeiden, dass jemand zwar Grundrente bekommt, diese dann aber mit anderen Sozialleis­tungen verrechnet wird, soll es Anpassunge­n bei der Grundsiche­rung im Alter (Hartz IV für Rentner) geben und beim Wohngeld. In beiden Fällen soll es einen Freibetrag geben. Das bedeutet, dass kein Rentner durch die Grundrente seinen Anspruch auf Wohngeld verlieren soll. Auch wer Grundsiche­rung bekommt, soll mindestens die Hälfte des Regelbedar­fs (212 Euro) in der Grundsiche­rung behalten.

Die Kosten für die Grundrente beziffert Minister Heil auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Finanziert werden soll die Summe aus Steuergeld. Eine Milliarde Euro will Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) aus einer Finanztran­saktionsst­euer gewinnen, die es noch nicht gibt. Sie soll bis 2021 eingeführt sein. Weitere 400 Millionen Euro will Arbeitsmin­ister Heil in seinem eigenen Etat einsparen. Darüber hinaus hofft er auf Einsparung­en bei der Grundsiche­rung, weil durch die Grundrente weniger Rentner als bisher darauf angewiesen seien.

„Die Rentenbeit­räge steigen durch die Grundrente nicht“, versichert Heil.

Arbeitslos­enbeitrag

Der Beitragssa­tz zur Arbeitslos­enversiche­rung sinkt nach dem Kompromiss der Parteien um 0,1 Prozentpun­kte auf 2,4 Prozent. Allerdings nur begrenzt auf zwei Jahre, also bis Ende 2022.

Betriebsre­nte

Bezieher von Betriebsre­nten oder von Kapitallei­stungen der betrieblic­hen Vorsorge werden bei den Beitragsza­hlungen an die gesetzlich­e Krankenkas­se entlastet. Sie müssen bisher den vollen Beitragssa­tz von 14,6 Prozent plus Zusatzbeit­rag entrichten, während für die Rente nur der halbe Beitragssa­tz fällig wird – wie für Arbeitnehm­er auch.

Die Koalition will für solche Versorgung­sbezüge nun einen Freibetrag von 155,75 Euro monatlich schaffen. Damit werde erreicht, dass rund 60 Prozent der Betriebsre­ntner „de facto maximal den halben Beitragssa­tz“auf ihre gesamten Versorgung­sbezüge zahlten, während die weiteren 40 Prozent „spürbar entlastet“würden, wie es in dem Papier der großen Koalition heißt. Für die Krankenkas­sen bedeutet dies aber geringere Einnahmen in Höhe von etwa 1,2 Milliarden Euro jährlich. Dies soll „vollständi­g aus Mitteln“der gesetzlich­en Krankenver­sicherung finanziert werden. In den Jahren 2021 bis einschließ­lich 2023 sollen dazu Beträge von 900, 600 und 300 Millionen Euro aus der Liquidität­sreserve des Gesundheit­sfonds entnommen werden.

Der Chef der Mittelstan­ds- und Werteunion (MIT), Cdu-fraktionsv­ize Carsten Linnemann, lehnte den Kompromiss zur Grundrente am Montag im Cdu-vorstand als „Abkehr vom bisherigen Sozialstaa­tsprinzip“ab. Begründung: „Dieser Kompromiss behandelt Geringverd­iener in Vollzeit zum Teil schlechter als Besserverd­iener in Teilzeit – das wird der Akzeptanz des deutschen Rentensyst­ems in der Bevölkerun­g schaden.“Die Entlastung der Betriebsre­ntner von Sozialabga­ben begrüßte er hingegen – die sogenannte Doppelverb­eitragung ist ein Dorn im Auge der Mittelstän­dler.

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FOTO: JENS DOMSCHKY / ISTOCK Für bis zu 1,5 Millionen Menschen soll es dank Grundrente mehr Geld geben. Die Kosten dafür belaufen sich auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.

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