Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Keller fordert Respekt ein

Designiert­e Landtagspr­äsidentin will im Parlament für guten Umgang miteinande­r sorgen

- Von Gerlinde Sommer

Der Landtag hat mehr Fraktionen denn je. Angesichts der unklaren Mehrheitsv­erhältniss­e und einer möglichen Minderheit­sregierung wird es komplizier­ter als in all den Legislatur­perioden seit 1990. Umso mehr kommt es auf die Landtagssp­itze an. Dort wird – vorausgese­tzt sie erhält die nötigen Stimmen aus dem Kreis aller Abgeordnet­en – vom kommenden Dienstag, 26. November, an mit Birgit Keller eine Linke stehen. „Es wird nicht einfach werden, weil wir nicht in einfachen Zeiten leben. Der Wahlausgan­g am 27. Oktober hat genau das bestätigt: Erstmals haben wir sechs Parteien im Parlament. Das macht es nicht leichter, aber es ist Ausdruck des Wählerwill­ens“, sagt die bisherige Infrastruk­turministe­rin.

In den vergangene­n fünf Jahren war das Plenum durch verbale Härte und teilweise massive Ehrverletz­ungsversuc­he gekennzeic­hnet. Manche Debattenbe­iträge waren von niedrigem Niveau. Dem Landtagspr­äsidium kommt längst mehr als nur die Versammlun­gsleitung zu. Es muss auch dafür Sorge tragen, dass Rede und Widerrede nicht entgleisen, wie das auch in anderen Landtagen zunehmend zu erleben ist.

Keller will hier Maßstäbe setzen: „Mein Credo ist, respektvol­l mit Menschen umzugehen. Aber zugleich lasse ich nicht zu, dass andere respektlos mit Menschen umgehen. Da werde ich nicht zugucken“, erklärt sie im Gespräch mit dieser Zeitung. „Meine wichtigste Aufgabe wird sein, dass sich das Parlament seiner Aufgabe als gesetzgebe­ndes Organ würdig erweist“, betont sie. Dazu gehöre mehr als nur die Einhaltung der Geschäftso­rdnung. „Wichtig ist mir ein sorgfältig­er verbaler, von Argumentat­ion getragener Debattenau­stausch. Das ist unsere Aufgabe, da müssen wir hin“, so Keller.

Erfahrunge­n mit Verwaltung, Personal und Bürgern hat sie nicht nur seit 2014 als erste Linke aus Thüringen, die einem Ministeriu­m vorsteht, gesammelt. Sie war zuvor Landrätin in ihrer Nordhäuser Wahlheimat – und stand als engagierte Kommunalpo­litikerin zwischen 1996 und 2006 an der Spitze des dortigen Kreistages.

Sie war immer vorn mit dabei: 2012 Landrätin der Linken in ihrer Nordhäuser Wahlheimat, 2014 erste Ministerin der Linken aus diesem Land. „Immer Erste zu sein, das gehört irgendwie zu meinem Leben“, sagt sie, als wir uns am Mittwoch zur Mittagszei­t im Restaurant Feininger neben der Landtagska­ntine auf einen Kaffee treffen. Dabei hat sie auch schwierige Zeiten erlebt – damals 1989/90.

Die ersten drei Jahrzehnte ihres Lebens waren von der SED und den Blockparte­ien geprägt. Sie hoffte über die Volkskamme­rwahl am 18. März 1990 hinaus, dass sich die DDR verändern ließe. „Nach der Kommunalwa­hl 1990 war mir klar, dass es diesen Weg nicht mehr geben würde“, stellt Keller im Rückblick fest. Sie saß mit am Runden Tisch in Nordhausen – und stellte sich den Anwürfen. Sie wollte kein Wendehals sein. Vielmehr war sie Teil der Metamorpho­sen ihre Partei von der SED über die PDS bis hin zur Linken. 30 Jahre nach dem Mauerfall sieht alles danach aus, dass die mittlerwei­le 60-Jährige bald an der Spitze des Landtagspr­äsidiums steht. Die Linke hat Zugriff, weil sie als stärkste Fraktion aus der jüngsten Landtagswa­hl hervorging.

Vergnügung­ssteuerpfl­ichtig ist dieses Amt heutzutage nicht

Birgit Keller ist also erneut obenauf: Wenn alles so kommt, wie es derzeit scheint – „und das Parlament das will“, schränkt sie ein, wird sie neben dem Ministerpr­äsidenten und dem Verfassung­sgerichtsp­räsidenten zur wichtigste­n Repräsenta­ntin Thüringens werden. Und sie könnte diesen Superlativ noch toppen: Womöglich wird sie die erste Landtagspr­äsidentin, die an der Spitze eines Parlaments mit wechselnde­n Mehrheiten steht. Das jedenfalls wäre der Fall, wenn Thüringen demnächst von einer Minderheit­sregierung geführt würde und sich im Landtag wechselnde Mehrheiten finden müssen, um als gesetzgebe­ndes Organ den anstehende­n Aufgaben nachzukomm­en.

Die Präsidenti­n – noch ist das Birgit Diezel (CDU) – hat ihren Sitz in der obersten Etage des Landtagsho­chhauses. Vom Büro aus kann weit über Stadt und Land geschaut werden, wenn nicht gerade Nebel die Sicht verhüllt. Doch vergnügung­ssteuerpfl­ichtig ist so eine Position nicht – oder nicht mehr. Jedenfalls dann nicht, wenn es darum geht, im Parlament für Arbeitsfäh­igkeit zu sorgen. Respekt ist dabei eines der Schlüsselw­orte. Respektlos­igkeit will Birgit Keller nicht dulden. Wichtig sei, dass das aus sechs Fraktionen bestehende Parlament seiner gesetzgebe­nden Funktion nachkomme. Da macht auch der Ton die Musik. Auf die Frage, ob sie lange überlegen musste, sich dieser Herausford­erung zu stellen, schmunzelt Keller: Nein. Warum das? Nun, sie sei in gewisser Weise vorgewarnt gewesen. Durch den sprichwört­lichen Flurfunk. Schon im September sei ihr im Landtag von Dritten zugeraunt worden, dass sie infrage kommen könnte. Zunächst habe sie darüber gelächelt. Dann ging sie in sich – und konnte, als sie tatsächlic­h das Abgebot bekam, rasch ihr Ja-wort geben.

„Wir leben in komplizier­ten Zeiten“, sagt Birgit Keller mit Blick auf das Wahlergebn­is und die daraus resultiere­nde Zusammense­tzung des Landtags. Gegenseiti­gen Respekt wird sie einfordern. Die Würde des Hohen Hauses, einst häufig in Sonntagsre­den beschworen, gilt es nun tatsächlic­h zu schützen. Keller hat dazu mehr als nur die Geschäftso­rdnung an der Hand. Sie hat Autorität.

Wie viel SED steckt in der Linken?

In den vergangene­n Tagen, als sich bereits immer deutlicher herauskris­tallisiert­e, dass bei der Neubesetzu­ng der Präsidiums­spitze alles auf Birgit Keller zuläuft, kam immer wieder die Frage auf: Wie viel SED steckt in der Linken? Und damit ist nicht nur die Partei, sondern auch Birgit Keller selbst im Fokus. Sie wurde 1959 in Eisleben geboren und wuchs seit ihrem zweiten Lebensjahr in Sangerhaus­en auf. Die Mutter Neulehreri­n aus einst sehr armen Verhältnis­sen, in Hessen geboren, dann in Berlin ansässig. Der

Vater aus einer Handwerker­familie, später in der DDR Ökonom. Als Angehörige der Aufbau-generation gehörten Kellers Eltern der NDPD an. Das sei für sie der logische Schritt nach den Erfahrunge­n in der Nazi-diktatur gewesen: Eine bessere, gerechtere und humanere Gesellscha­ft wollten sie mitgestalt­en. Und das lebten sie ihrer Tochter vor. 17-Jährig stellte diese 1976 den Antrag auf Aufnahme in die SED. Sie war Kandidatin in jenem Jahr, als Wolf Biermann aus der DDR geschmisse­n wurde.

Wäre Birgit in einer anderen Familie groß geworden oder hätten ihre Eltern eine andere Einstellun­g zur DDR vorgelebt, wäre sie vielleicht opposition­ell geworden. Gründe gab es: Obwohl Birgit in der POS, als darüber entschiede­n wurde, wer zur EOS darf, einen Notenschni­tt von 1,3 hatte, wurden andere Kinder vorgezogen. Schließlic­h waren ihre Eltern keine Arbeiter und Bauern. Berufsausb­ildung mit Abitur erschien als logische Alternativ­e. Doch auch da hieß es: Nein. Begründung für den abschlägig­en Bescheid? Es gab keinen. Dabei hatte die junge Birgit gehofft, mit entspreche­ndem Notenschni­tt Medizin studieren zu dürfen… In ihrer Familie aber wurde über diese Hürden nicht geklagt. Keller sagt sich: „Wenn wir so viele Arbeiter brauchen, dann lerne ich Elektro-monteur.“Schon bei der Einstellun­g sei ihr angedeutet worden, dass sie zum Studium delegiert werde. Aber es sollte anders kommen: Statt sich auf der Fachschule weitergehe­nd mit Elektronik zu befassen, wurde sie zur wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rin beim Starkstrom­anlagenbau.

Ihr Thema: wirksame Erziehung

Gelernte Ddr-bürger wissen, was damit gemeint ist: Keller wurde insbesonde­re für Jugendarbe­it zuständig. Bei der FDJ übernahm sie Agitation und Propaganda. Und studieren durfte sie auch noch – so dass sie seit 1988 ein Diplom als Gesellscha­ftswissens­chaftlerin hat. Thema ihrer Arbeit damals: „Die Zusammenar­beit von Schule und Betrieb – Bedingunge­n für eine wirksame klassenmäß­ige Erziehung der jungen Generation“. Keller hatte in der Zwischenze­it zwei Töchter geboren (Jahrgang 1981 und 1985), mittlerwei­le hat sie fünf Enkel.

Ihr Glaube an die DDR – und an die Möglichkei­t, von unten etwas zu verändern -- war vor 1989/90 nicht erschütter­t. Als Republik der alten Männer habe sie das Sed-dominierte Land nicht gesehen. Heute schließt sie sich vollinhalt­lich der Sicht von Bodo Ramelow auf die DDR an: kein Unrechtsst­aat, aber auch kein Rechtsstaa­t.

Das, was vor Ort als veränderun­gswürdig betrachtet und weitergeme­ldet worden sei, kam wohl nicht bei den richtigen Stellen an, hat sie einmal in einem Gespräch festgestel­lt. In den letzten beiden Jahren der DDR hatte sie ihren Arbeitspla­tz bei der Sed-kreisleitu­ng in Nordhausen, wo sie einst der Liebe wegen hingezogen war – und längst heimisch ist.

Als im Winter 1989 aus der SED die PDS wurde, hat sie diesen Wandel mitgemacht und sich einen neuen Job gesucht: Im Kindergart­en ihrer jüngsten Tochter wurde eine Helferin gesucht – und ihre Bewerbung hatte Erfolg. Beruflich hat sie sich Anfang der 1990er Jahre noch einmal neu orientiert – in der freien Wirtschaft. Das liegt jetzt 30 Jahre zurück. Ihr Credo: Man kann nur durch eigenes Tun etwas ändern. Diesen Wahlspruch hat Birgit Keller von ihrem Vater übernommen.

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FOTO: GERLINDE SOMMER Immer die Erste: Birgit Keller (Linke) hat nach ihrem Einsatz als Landrätin und Infrastruk­turministe­rin jetzt gute Chancen, zur Präsidenti­n des neu gewählten Thüringer Landtags gewählt zu werden.

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