Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Ehemaliger Rissgutachter wirft dem Land Fälschung von Wolfsprotokollen vor
Dokumente belegen Eingriff. Landesamt für Umwelt weist Uwe Müllers Vorwürfe zurück: Keine nachträglichen Änderungen
Der ehemalige Rissgutachter Uwe Müller wirft dem Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) Urkundenfälschung vor. „Rissprotokolle, die ich ausgestellt habe und die Dokumente darstellen, wurden im Nachhinein verändert. Das ist in meinen Augen Urkundenfälschung“, sagte Müller unserer Zeitung.
Das Landesamt, das dem Umweltministerium von Anja Siegesmund (Grüne) unterstellt ist, weist das zurück: „Ausgestellte Rissprotokolle, die mit der Unterschrift des Rissgutachters abgeschlossen sind, wurden und werden nicht nachträglich geändert.“
Zwei Protokolle, die vorliegen – es soll mehr geben –, belegen indes eindeutig, dass eine Referentin des Landesamts im Nachhinein in Müllers Protokolle eingegriffen hat.
Fall 1: Am 3. August wird Müller morgens nach Gossel im nördlichen Ilm-kreis gerufen. Er stellt fest: Ein Wolf, es war die Ohrdrufer Wölfin, hat zum wiederholten Mal den 1,20 Meter hohen Stromzaun mit Flatterband überwunden, mit dem Schäfer Christian Schneider seine Herde schützen wollte. Zwei Schafe und eine Ziege wurden gerissen.
Wurde „optimaler Wolfsschutz“im Nachhinein aberkannt?
Im Schadensprotokoll kreuzt Müller „optimaler Wolfsschutz“an und notiert handschriftlich: „+90 cm Zaun 50 cm davor“. Im Klartext: Der Schäfer hatte nicht nur den empfohlenen 1,20 Meter hohen Stromzaun aufgebaut, sondern zusätzlich, 50 Zentimeter davor, einen zweiten, 90 Zentimeter hohen Zaun. So erläuterte Müller seine handschriftliche Ergänzung auch gegenüber unserer Zeitung.
Eine Mitarbeiterin des Umweltlandesamts nahm sich Müllers Protokoll später am Schreibtisch vor, und zwar am 26. September. Drei Wochen zuvor hatte Müller beim Landesamt gekündigt. „Ich habe mich in der DDR von den Kommunisten nicht verbiegen lassen und ich lasse mich auch jetzt nicht von den Grünen verbiegen“, sagte er zur Begründung. Die Referentin strich den von Müller attestierten optimalen Wolfsschutz und kreuzte statt dessen „optimaler Wolfsschutz lag nicht vor“an.
Fall 2: Am 9. August fährt Müller erneut zu einem Riss nach Gossel. Er notiert: „optimaler Wolfsschutz“. Am 8. Oktober änderte die Behörden-mitarbeiterin erneut Müllers Feststellung und vermerkte: „Optimaler Wolfsschutz lag nicht vor“.
Zufällig kam die Sache ans Licht. „Ich hätte es nicht bemerkt, wenn der betroffene Schäfer mir die nachträglich geänderten Protokolle nicht gezeigt hätte“, sagt Müller. Er hat inzwischen auch den Bauernverband informiert.
Mögliches Motiv: GW267F soll kein Problemwolf werden
Unklar ist, ob der Eingriff ins Protokoll auf höheren Wunsch ausgeführt wurde. Falls ja: Wer hat das angewiesen?
Auf detaillierte Fragen dazu – auch nach der Rolle des Umweltministeriums
– reagierte das TLUBN in Abstimmung mit dem Ministerium mit zwei Worten: „Antwort entfällt“. Denn es habe keine nachträgliche Änderung von Rissprotokollen gegeben, so das Amt.
Das Motiv für die Änderungen ist kaum im Finanziellen zu finden. Dem Landesamt zufolge werden Schäfer für die vom Wolf gerissenen Tiere in der Regel auch dann entschädigt, wenn das Testat „optimaler Wolfsschutz lag nicht vor“lautet.
Beim Landesverband Thüringer Schafzüchter hat man eine ganz andere Vermutung: Je häufiger die Ohrdrufer Wölfin GW267F trotz Optimalschutz Weidetiere reißt, desto problematischer erscheint sie. Da ein „Problemwolf“im Extremfall legal getötet werden darf, mag es für den Wolf lebensrettend sein, wenn auf sein Risskonto möglichst wenige Fälle bei Optimalschutz gehen.
Eine Abfrage beim Ministerium ergab: Zwischen 30. Juni und 12. September wurden der Ohrdrufer Wölfin 23 Risse genetisch zugewiesen. Dabei überwand sie 15 Mal 1,20 Meter hohe Optimalzäune. Trotzdem vermerkte das Umwelrlandesamt in 11 von diesen 15 Fällen: „optimaler Wolfsschutz lag nicht vor“. Der Zaun sei nach dem Wolfsangriff verändert worden.