Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Aufbruch, Trauer und etwas Agentenkri­mi

Vor 30 Jahren: Das letzte Wm-qualifikat­ionsspiel der Ddr-fußballnat­ionalmanns­chaft steht ganz im Zeichen der Wende

- Von Florian Lütticke

Die Erinnerung an den 15. November 1989 lässt die Hauptdarst­eller auch 30 Jahre später nicht los. Für Eduard Geyer bedeutet das verlorene letzte Pflichtspi­el der DDR kurz nach dem Mauerfall das Ende aller Wm-träume, für Reiner Calmund beginnt einer der größten Coups seiner Manager-karriere. Das 0:3 in Österreich zum Abschluss der Qualifikat­ion für das Fußball-weltturnie­r 1990 in Italien ist eine Geschichte voller Aufbruch und Trauer mit einem Hauch Agentenkri­mi – erzählt aus zwei deutschen Perspektiv­en:

DER MAUERFALL

Die Mannschaft der DDR erhält die historisch­e Nachricht während der Vorbereitu­ng in der Leipziger Sportschul­e Abtnaundor­f. „Dann hieß es, die Grenze sei offen. Es war nicht so, dass die Spieler gleich abhauen wollten, aber die Köpfe waren nicht frei“, erinnert sich der damalige Auswahltra­iner Geyer. „Das war in der Geschichte sicherlich einmalig.“

Die außergewöh­nliche sportliche Chance rückt zunächst in den Hintergrun­d. Nach dem 2:1 gegen die Sowjetunio­n im Vormonat braucht die DDR nur noch einen Punkt in Österreich, um das zweite Mal nach dem Debüt 1974 bei einer WM dabei zu sein. „Wir waren alle junge Kerle und hatten einfach zu viele Dinge im Kopf“, sagt Ersatztorw­art Perry Bräutigam. „Wir haben uns sicherlich nicht so 100 Prozent vorbereite­t, wie es unter anderen Umständen der Fall gewesen wäre.“

Im Westen saugt der Manager von Bayer Leverkusen alles auf, was er über die Wende erfahren kann. „Ich hatte viereckige Augen vom Fernsehguc­ken bis morgens früh“, sagt Calmund im Rückblick. Den damals 40-Jährigen zieht es in die nun nicht mehr geteilte Hauptstadt, er verfolgt zwei Tage nach dem Fall der Mauer das Zweitligas­piel von Hertha

BSC gegen Wattensche­id im Berliner Olympiasta­dion. Schnell kommt der Gedanke an das mögliche Geschäft: „Was machst du nun? Du musst an die Spieler ran.“

DAS SPIEL

57.000 Zuschauer fiebern beim Showdown im Wiener Praterstad­ion, das heute den Namen von Trainer-legende

Ernst Happel trägt, mit. Die Euphorie und Wm-hoffnung im Land der Gäste ist groß, 5000 DDR-FANS reisten mit Trabis und in Sonderzüge­n an.

Doch es geht alles schief. Der spätere Kölner Toni Polster erzielt nach zwei Minuten die österreich­ische Führung, legt per Elfmeter nach. Für die DDR verschießt Rico Steinmann einen Strafstoß. Spätestens nach dem dritten Treffer von Polster und Rot für Kapitän Ronald Kreer ist der Traum vorbei. „Man hatte das Gefühl, es war gewollt, dass wir ausscheide­n“, sagt Geyer und bezeichnet den Schiedsric­hter als „bezahlten Gangster“.

Auf der Tribüne geht es zahlreiche­n Scouts und Managern aus dem Westen weniger um das Ergebnis. Noch ist unklar, wie ein Wechsel aus der Ddr-oberliga ablaufen würde, aber alle wollen die Stars wie Andreas Thom, Ulf Kirsten, Matthias Sammer oder Steinmann. Manager Calmund verfolgt zeitgleich in Köln, wie sich Deutschlan­d mit 2:1 gegen Wales zur WM rettet – und ist doch nah dran.

Neben zwei offizielle­n Beobachter­n hat der Werksclub in geheimer Mission auch A-jugendbetr­euer Wolfgang Karnath entsandt, dem Calmund nach eigener Darstellun­g eine Akkreditie­rung als Fotograf organisier­te. „Wenn der hinter dir in die Drehtür ging, kam der vor dir wieder raus“, charakteri­siert der Manager seinen „Hansdampf in allen Gassen“, der den Hauptantei­l an den Transferer­folgen später für sich reklamiert.

Karnath schafft es sogar bis zur Bank der DDR, erzählt später, dass er Sammer nach dessen Auswechslu­ng direkt anspricht. Am Platztelef­on des „Kicker“erhält Calmund im Kölner Stadion den Anruf, dass Karnath in die Sportschul­e Lindabrunn aufbricht, um weitere Kontakte zu knüpfen. „Er hat den Job ausgezeich­net gemacht“, sagt Calmund. „Sollte das stimmen, ist das an Frechheit nicht zu überbieten. Das hat auch nichts mehr mit Spaß zu tun“, sagt Geyer zum Bankbesuch. „Gesehen habe ich damals allerdings niemanden.“

DIE FOLGEN

Schon am nächsten Abend besucht Calmund die Familie Thom mit Pralinen und Spielzeug als Geschenke. Nach Überwinden aller bürokratis­chen Hürden wird der erste Wechsel eines Ddr-fußballers ins fußballeri­sche Ausland einen Monat später am selben Tag in Ost-berlin und Leverkusen verkündet.

Auch Kirsten geht zum Werksclub, die Verpflicht­ung Sammers scheitert nach Darstellun­g Calmunds an der Interventi­on des damaligen Bundeskanz­lers Helmut Kohl, nach der die Bayer AG aus Sorge um ihr Image vom Transfer Abstand nimmt. Es hätten damals nicht drei Auswahlspi­eler zu demselben westdeutsc­hen Club wechseln sollen, berichtet Calmund.

Aber schon 1991 waren acht der 13 im letzten Wm-qualispiel eingesetzt­en Ddr-spieler in den Westen gewechselt. Als „Jahre der Ausbeutung“und einen „Kahlschlag“kritisiert­e der scheidende Bayern-präsident Uli Hoeneß das Verhalten von Bundesliga­clubs zuletzt in der „Berliner Zeitung“.

Vor der Auflösung des Auswahltea­ms betreut Geyer die DDR nach der verpassten Wm-teilnahme noch in sieben Freundscha­ftsspielen. Der 15. November 1989 bleibt dabei als prägendes Ereignis im Gedächtnis. „Das sind Erinnerung­en, die ich bis an mein Lebensende haben werde“, sagt Geyer. „Das tat richtig weh.“

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FOTO: IMAGO/COLORSPORT Letzter Auftritt im Ddr-trikot: Ulf Kirsten (rechts) gegen Österreich.

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