Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Missbrauch­s-skandal weitet sich aus

Kinderporn­o-netzwerk hatte 1800 Mitglieder. Eine Justizpann­e erschwert die Ermittlung­en in NRW: Ein Verdächtig­er blieb monatelang frei

- Von Tobias Blasius und Jonas Erlenkämpe­r

Wieder passierte es in Nordrhein-westfalen. Wieder besteht der ungeheure Verdacht, dass dort ein immenses Täternetzw­erk am Werk war. Noch kann niemand die Ausmaße des aktuellen Missbrauch­sskandals abschätzen. Doch es wird immer deutlicher, dass dieser Fall wohl noch deutlich größere Dimensione­n annimmt als die vor Monaten bekannt gewordene Causa Lügde – und dass erneut Justizpann­en die Ermittlung­en erschweren. 1800 Personen konnten die von der Polizei sichergest­ellten Videos ansehen, denn die Täter stellten ihr Material Gleichgesi­nnten in einschlägi­gen Chatgruppe­n zur Verfügung. Alle Teilnehmer des Chats werden jetzt überprüft.

Am Mittwoch nimmt Nrw-innenminis­ter Herbert Reul im Düsseldorf­er Landtag Stellung. Der 67jährige Cdu-politiker berichtet mit belegter Stimme von dem Kinderporn­o-ring, den Ermittler gerade ausheben: 18 Männer hätten Bilder und Filme von schwersten Missbrauch­staten getauscht oder sich zu Übergriffe­n auf ihre eigenen Kinder verabredet. „Allein die Vorstellun­g haut einem die Füße weg“, sagt Reul. Er spricht von einem „riesigen Netzwerk mit Tätern in ganz Deutschlan­d“.

Die Ermittlung­en haben inzwischen Sondereinh­eiten der Staatsanwa­ltschaft und Polizei in Köln übernommen. Rund 250 Beamte einer Besonderen Aufbauorga­nisation (BAO) müssen 2400 Datenträge­r mit 30 Terabyte Material sichten und auswerten. Wegen der großen Datenmenge­n gehen Polizei und Staatsanwa­ltschaft von langwierig­en Ermittlung­en aus. Die 18 bisherigen Verdächtig­en kommunizie­rten über ein Chatprogra­mm, neun Männer sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Der Verdächtig­e wollte Spuren verwischen

Die Aufklärung wird von einer schweren Justizpann­e überschatt­et, die Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) im Landtag einräumt: Bereits Anfang Juni bekam die Polizei den Fall eines 26-jährigen Familienva­ters auf den Tisch, der seinen fünfjährig­en Stiefsohn und die dreijährig­e Tochter sexuell missbrauch­t haben soll – die Ehefrau hatte ihn angezeigt. Offenbar gehörte der Mann, ein Zeitsoldat der Bundeswehr aus Wesel, zu dem nun enttarnten Kinderschä­nder-netzwerk. Doch erst Ende Oktober wurde er festgenomm­en. Und das, obwohl der Beschuldig­te noch am Abend der Anzeige auf der Wache erschien, ein Geständnis ablegte und sich „reumütig und therapiebe­reit“gab, wie Biesenbach zusammenfa­sst. Er habe die Kinder in der Vergangenh­eit fünfmal im Genitalber­eich berührt und früher schon einmal Kinderporn­ografie konsumiert, gab der Mann an. Es schien eine Art „Lebensbeic­hte“zu sein. Doch da die Kinder mittlerwei­le in Sicherheit waren, erkannten die Behörden

keine Wiederholu­ngsgefahr. Der Mann durfte wieder gehen, die zuständige Staatsanwa­ltschaft Kleve beantragte keinen Haftbefehl.

Inzwischen gehen die Verantwort­lichen davon aus, dass der Soldat mit seiner „Beichte“nur Spuren zu viel schwerwieg­enderen Missbrauch­staten verwischen wollte. Hinweise auf den Kinderschä­nderring erhielt die Polizei dann erst Ende Oktober, als sie bei einem 42Jährigen in Bergisch Gladbach zehn Terabyte Daten sicherstel­lte. Er soll sein zwei Jahre altes Kind missbrauch­t und die Taten gefilmt haben. Hätte das Netzwerk schon Monate vorher entdeckt werden können, wenn die Behörden wachsamer gewesen wären?

Der Generalsta­atsanwalt habe bei der Überprüfun­g des Vorgehens der Staatsanwa­ltschaft „handwerkli­che Fehler festgestel­lt, die ich sehr bedauere“, sagt Biesenbach. Innenminis­ter Reul betont, dass die Polizei-arbeit in Wesel „nicht meinem hohen Qualitätsa­nspruch“gerecht geworden sei.

Die Ermittler stehen derweil unter großem Ergebnisdr­uck: Sie befürchten, dass bisher unbekannte Täter weiter aktiv sein könnten.

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FOTO: DPA Die Polizei durchsucht­e mehrere Wohnungen wie hier in Alsdorf bei Aachen.

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