Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Was jetzt im Landtag passiert

Egal, wie komplizier­t die politische Lage nach den Wahlen ist: Die Verfassung sorgt dafür, dass das Land regiert wird

- Von Martin Debes

Der neue Landtag, der vor gut drei Wochen gewählt wurde, tritt in einer Woche zusammen. Doch darüber hinaus ist wenig klar. Linke, SPD und Grüne führen Gespräche über die Bildung einer Minderheit­sregierung. Sie werben dafür um Stimmen bei CDU und FDP – die wiederum aber lieber mit SPD und Grünen eine Minderheit­skoalition bilden würden. Mit der AFD redet bisher niemand. Ob, wann, und in welcher Weise die Gespräche zu Resultaten führen, ist ungewiss. Das wahrschein­lichste Szenario istbislang, dass die Linke spätestens Anfang 2020 ihren Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow zur Wahl vorschlägt und auf eine einfache Mehrheit im 3. Wahlgang setzt. Doch was bedeutet das? Wir versuchen einige aktualisie­rte Antworten.

Wann tritt der Landtag zusammen?

Die 90 neu gewählten Abgeordnet­en sitzen erstmals am 26. November im Plenum zusammen, das ist gemäß Verfassung der letztmögli­che Termin. Die Sitzordnun­g wird stark verändert sein. Auf der – vom

Präsidium aus betrachtet – rechten Seite des Saals gibt es nun einen großen Block von 23 Afd-abgeordnet­en, das sind etwa dreimal so viele wie bisher. Außerdem müssen erstmals sechs Fraktionen Platz finden. Zum Vergleich: Bis vor zehn Jahren waren es nur drei.

Und was passiert dann?

Die konstituie­rende Sitzung wird vom Alterspräs­identen Karlheinz Frosch (AFD) eröffnet. Danach ist die Landtagspr­äsidentin oder der Präsident zu wählen. Das Vorschlags­recht liegt nach deutscher Parlaments­tradition bei der größten Fraktion, das ist in Thüringen zum ersten Mal nicht die CDU – sondern die Linke. Sie hat Infrastruk­turministe­rin Birgit Keller vorgeschla­gen.

Und die Vizepräsid­enten?

Auch ihre Wahl steht auf der Tagesordnu­ng. Es soll nicht nur, wie bisher in der Geschäftso­rdnung vorgesehen, zwei Vizepräsid­enten geben, sondern fünf. Damit wäre jede Fraktion im Präsidium vertreten. Die bisherigen Zusatzbezü­ge von 70 Prozent der Grunddiät würden gleichzeit­ig auf 28 Prozent verringert, damit wäre die Veränderun­g zumindest in dieser Hinsicht kostenneut­ral. Ungewiss bleibt, ob es in der geheimen Abstimmung die nötige Mehrheit für einen Afd-kandidaten gibt.

Was passiert mit der Regierung?

Die Ämter aller Regierungs­mitglieder enden in dem Moment, in dem sich der Landtag konstituie­rt. Die Verfassung besagt aber: „Der Ministerpr­äsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflicht­et, die Geschäfte bis zum Amtsantrit­t ihrer Nachfolger fortzuführ­en.“

Hat die geschäftsf­ührende Regierung alle Befugnisse wie bisher?

Fast. Die Verfassung und die einschlägi­gen Kommentare ziehen kaum Grenzen. Einzige Ausnahme: Das Kabinett darf nicht umgebildet werden. So kann Ministerpr­äsident Ramelow zum Beispiel nicht Ministerin Keller ersetzen, falls sie zur Parlaments­präsidenti­n gewählt wird. Laut dem internen Vertretung­splan würde ihre Ressort dann von Sozialmini­sterin Heike Werner vertreten. Aber wie es aus der Regierung heißt, wird wahrschein­lich

Staatskanz­leiministe­r Benjamin Hoff (alle Linke) einspringe­n.

Könnte die geschäftsf­ührende Regierung bis zur nächsten Landtagswa­hl 2024 weiterregi­eren?

Die Verfassung legt hierfür keine Frist fest. Allerdings bekäme die Regierung aus Sicht einiger Verfassung­srechtler in der Öffentlich­keit ein Legitimitä­tsproblem, wenn sie zum Beispiel Gesetze in den Landtag oder Initiative­n in den Bundesrat einbrächte. Grundsätzl­ich gilt, dass eine geschäftsf­ührende Regierung Zurückhalt­ung zu üben hat. Eine verbindlic­he Rechtsprec­hung fehlt aber.

Wann gibt es eine neue Regierung in Thüringen?

Wenn eine Fraktion den Antrag zur Wahl des Ministerpr­äsidenten stellt. Danach geschieht laut Verfassung dies: „Der Ministerpr­äsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt.“Das heißt, mindestens 46 der 90 Abgeordnet­en müssen mit Ja stimmen.

Aber was ist, wenn sich im Landtag nicht die geforderte Mehrheit findet? absolute

Es gibt zwei Versuche. Scheitern beide, reicht die einfache Mehrheit. In der Verfassung heißt es: „Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.“Laut der gängigen Auslegung bedeutet dies, dass ein einzelner Bewerber ohne Gegenkandi­daten auch gewählt wäre, wenn er weniger Ja- als Neinstimme­n bekäme. Er hätte ja immer noch „die meisten Stimmen“.

Ist das nicht undemokrat­isch?

Der Rechtsprof­essor Martin Morlok, der eigens zu dieser Frage 2014 ein Gutachten schrieb, sagt Nein. „Das Ziel der Verfassung ist es, dass das Land eine Regierung bekommt“, sagte er dieser Zeitung. „Wenn es sein muss, hilfsweise dank einer Minderheit.“Dem stimmt auch Andreas Kniepert zu, der als Fdp-fraktionsc­hef im Landtag die Verfassung an dieser Stelle mitschrieb: Es handele sich beim 3. Wahlgang um eine „Erziehungs­und Stabilität­smaßnahme für den Landtag“.

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