Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Was jetzt im Landtag passiert
Egal, wie kompliziert die politische Lage nach den Wahlen ist: Die Verfassung sorgt dafür, dass das Land regiert wird
Der neue Landtag, der vor gut drei Wochen gewählt wurde, tritt in einer Woche zusammen. Doch darüber hinaus ist wenig klar. Linke, SPD und Grüne führen Gespräche über die Bildung einer Minderheitsregierung. Sie werben dafür um Stimmen bei CDU und FDP – die wiederum aber lieber mit SPD und Grünen eine Minderheitskoalition bilden würden. Mit der AFD redet bisher niemand. Ob, wann, und in welcher Weise die Gespräche zu Resultaten führen, ist ungewiss. Das wahrscheinlichste Szenario istbislang, dass die Linke spätestens Anfang 2020 ihren Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zur Wahl vorschlägt und auf eine einfache Mehrheit im 3. Wahlgang setzt. Doch was bedeutet das? Wir versuchen einige aktualisierte Antworten.
Wann tritt der Landtag zusammen?
Die 90 neu gewählten Abgeordneten sitzen erstmals am 26. November im Plenum zusammen, das ist gemäß Verfassung der letztmögliche Termin. Die Sitzordnung wird stark verändert sein. Auf der – vom
Präsidium aus betrachtet – rechten Seite des Saals gibt es nun einen großen Block von 23 Afd-abgeordneten, das sind etwa dreimal so viele wie bisher. Außerdem müssen erstmals sechs Fraktionen Platz finden. Zum Vergleich: Bis vor zehn Jahren waren es nur drei.
Und was passiert dann?
Die konstituierende Sitzung wird vom Alterspräsidenten Karlheinz Frosch (AFD) eröffnet. Danach ist die Landtagspräsidentin oder der Präsident zu wählen. Das Vorschlagsrecht liegt nach deutscher Parlamentstradition bei der größten Fraktion, das ist in Thüringen zum ersten Mal nicht die CDU – sondern die Linke. Sie hat Infrastrukturministerin Birgit Keller vorgeschlagen.
Und die Vizepräsidenten?
Auch ihre Wahl steht auf der Tagesordnung. Es soll nicht nur, wie bisher in der Geschäftsordnung vorgesehen, zwei Vizepräsidenten geben, sondern fünf. Damit wäre jede Fraktion im Präsidium vertreten. Die bisherigen Zusatzbezüge von 70 Prozent der Grunddiät würden gleichzeitig auf 28 Prozent verringert, damit wäre die Veränderung zumindest in dieser Hinsicht kostenneutral. Ungewiss bleibt, ob es in der geheimen Abstimmung die nötige Mehrheit für einen Afd-kandidaten gibt.
Was passiert mit der Regierung?
Die Ämter aller Regierungsmitglieder enden in dem Moment, in dem sich der Landtag konstituiert. Die Verfassung besagt aber: „Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen.“
Hat die geschäftsführende Regierung alle Befugnisse wie bisher?
Fast. Die Verfassung und die einschlägigen Kommentare ziehen kaum Grenzen. Einzige Ausnahme: Das Kabinett darf nicht umgebildet werden. So kann Ministerpräsident Ramelow zum Beispiel nicht Ministerin Keller ersetzen, falls sie zur Parlamentspräsidentin gewählt wird. Laut dem internen Vertretungsplan würde ihre Ressort dann von Sozialministerin Heike Werner vertreten. Aber wie es aus der Regierung heißt, wird wahrscheinlich
Staatskanzleiminister Benjamin Hoff (alle Linke) einspringen.
Könnte die geschäftsführende Regierung bis zur nächsten Landtagswahl 2024 weiterregieren?
Die Verfassung legt hierfür keine Frist fest. Allerdings bekäme die Regierung aus Sicht einiger Verfassungsrechtler in der Öffentlichkeit ein Legitimitätsproblem, wenn sie zum Beispiel Gesetze in den Landtag oder Initiativen in den Bundesrat einbrächte. Grundsätzlich gilt, dass eine geschäftsführende Regierung Zurückhaltung zu üben hat. Eine verbindliche Rechtsprechung fehlt aber.
Wann gibt es eine neue Regierung in Thüringen?
Wenn eine Fraktion den Antrag zur Wahl des Ministerpräsidenten stellt. Danach geschieht laut Verfassung dies: „Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt.“Das heißt, mindestens 46 der 90 Abgeordneten müssen mit Ja stimmen.
Aber was ist, wenn sich im Landtag nicht die geforderte Mehrheit findet? absolute
Es gibt zwei Versuche. Scheitern beide, reicht die einfache Mehrheit. In der Verfassung heißt es: „Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.“Laut der gängigen Auslegung bedeutet dies, dass ein einzelner Bewerber ohne Gegenkandidaten auch gewählt wäre, wenn er weniger Ja- als Neinstimmen bekäme. Er hätte ja immer noch „die meisten Stimmen“.
Ist das nicht undemokratisch?
Der Rechtsprofessor Martin Morlok, der eigens zu dieser Frage 2014 ein Gutachten schrieb, sagt Nein. „Das Ziel der Verfassung ist es, dass das Land eine Regierung bekommt“, sagte er dieser Zeitung. „Wenn es sein muss, hilfsweise dank einer Minderheit.“Dem stimmt auch Andreas Kniepert zu, der als Fdp-fraktionschef im Landtag die Verfassung an dieser Stelle mitschrieb: Es handele sich beim 3. Wahlgang um eine „Erziehungsund Stabilitätsmaßnahme für den Landtag“.