Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Neue Hürden für die Energiewende
Neue Regeln sollen mehr Akzeptanz für die Windenergie schaffen. Der Ausbau könnte damit zum Erliegen kommen
Berlin. Mit diesem Plan will Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Ausbau der Windenergie beschleunigen und mehr Akzeptanz in der Bevölkerung schaffen: Ein Gesetzentwurf soll schnellere Gerichtsverfahren ermöglichen und neue Windräder auf Distanz zu Wohnhäusern halten – mindestens 1000 Meter bis zur nächsten Siedlung. Dagegen laufen etliche Bundesländer und die Energiewirtschaft Sturm. Es drohen der Verlust Tausender Arbeitsplätze und ein deutliches Verfehlen der Klimaziele.
Der Streit entzündet sich an der geplanten Abstandsregel. Damit würde die Fläche, auf der Windräder gebaut werden dürfen, um 20 bis 50 Prozent schrumpfen. Ausnahmen sollen die Bundesländer aber festlegen können. „Ich halte nichts von starren Abstandsregelungen. Der Vorschlag im Kohleausstiegsgesetz ist das Ende des Ausbaus der Windenergie an Land“, sagt Sachsens-anhalts Energieministerin Claudia Dalbert (Grüne) unserer Redaktion. „So wird weder die Energiewende noch der Kohleausstieg gelingen.“
Um die Ziele zu erreichen, werden mehr Flächen benötigt
Bislang hat jedes Land eigene Vorgaben. Niedersachsen sieht die zweifache Anlagenhöhe als Abstand zur Wohnbebauung als ausreichend an, rund 400 Meter. Hamburg fordert 500 Meter, Schleswigholstein 800. Die strengsten Regeln haben NRW (1500 Meter) und Bayern: Dort gilt die zehnfache Höhe als Mindestabstand – also bis zu zwei Kilometer. Aktuell ist 0,9 Prozent der Fläche Deutschlands für die Nutzung durch Windenergie ausgewiesen. Spitzenreiter sind Schleswig-holstein, Brandenburg, Hessen und das Saarland mit jeweils rund zwei Prozent.
Auch das Umweltbundesamt warnt: Mit den geplanten Regeln würde der Ausbau zum Stillstand kommen. Ohnehin nennt das Amt das Ziel der Bundesregierung, im Jahr 2030 rund 65 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien herzustellen, „nur theoretisch erreichbar“. Daher seien nicht weniger, sondern mehr Flächen für Windenergie nötig. Die Zeit drängt: Im Jahr 2022 soll das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen, 2038 soll mit Kohle Schluss sein.
Am Mittwoch geht auch der Koalitionspartner auf Distanz. „Eine
Abstandsregelung von 1000 Metern zu Wohnsiedlungen bei mehr als fünf Häusern ist mit der SPD nicht zu machen“, sagt Fraktionsvize Matthias Miersch. „Wir wollen Windkraft an Land, um die Energiewende voranzubringen.“
Dabei ist der Ausbau der Windenergie an Land schon ohne neue Vorgaben aus Berlin quasi zum Erliegen gekommen. Im ersten Halbjahr 2019 sind 150 Anlagen neu errichtet worden – 80 Prozent weniger als noch im Jahr 2018. Bis Jahresende könnten Windräder mit einer Leistung von 1000 Megawatt aufgestellt werden. 2014 bis 2017 lag der Zubau nach Branchenangaben im Durchschnitt bei 4600 Megawatt.
Als Gründe für den ohnehin stark gebremsten Ausbau gelten schleppende Genehmigungsverfahren, zu wenig nutzbare Flächen und Klagen von Bürgerinitiativen. Hinzu kommt: Die Betreiber erhalten seit einigen Jahren keine pauschale Vergütung mehr für Ökostrom. Wer in Ausschreibungen die niedrigste Vergütung verlangt, erhält meist den Zuschlag. Viele Projekte rentieren sich nicht mehr.
Das trifft die Industrie hart. Im April musste der Hamburger Hersteller Senvion Insolvenz anmelden. Bei Nordex aus Rostock stieg der Nettoverlust in den ersten neun Monaten von 51,8 auf 76,5 Millionen Euro. Und der niedersächsische Marktführer Enercon will 3000 der 13.000 Mitarbeiter entlassen. In Ostfriesland und Magdeburg schließt das Unternehmen die Rotorblattfertigung. Enercon-chef Hans-dieter Kettwig macht das Ausmaß der Krise deutlich: „Es bricht etwas weg, was wir nicht auffangen können.“Mögliche Schritte der Politik kämen bereits zu spät. „Die Messe ist gelesen.“Der Branchenverband VDMA Power Systems sieht mittelfristig jeden dritten Arbeitsplatz bedroht. In den Kernbereichen der Windenergie an Land arbeiten rund 64.000 Menschen.
Hessen: „Unnötig, dass der Bund hier eingreifen will“
Niedersachsen und Schleswig-holstein haben bereits angekündigt, von einer Ausstiegsklausel („Optout“) bei den von Minister Altmaier geplanten Abstandsregeln Gebrauch zu machen. Das von der Grünen Priska Hinz geführte hessische Umweltministerium nennt es „unnötig, dass der Bund hier eingreifen und etwas regeln will, was vor Ort an besten beurteilt werden kann. Der Bund sollte schlicht auf diese Regelung verzichten.“Das Saarland prüft, gegebenenfalls auszuscheren.
Brandenburg will nicht abweichen. Das Land sieht aber in der Fünf-häuser-regel „eine unnötige, weitere Einschränkung, die auch in Brandenburg das Potenzial an dringend benötigten Windeignungsflächen empfindlich reduzieren wird.“
Mecklenburg-vorpommern und Rheinland-pfalz sehen keinen Handlungsbedarf – dort würde sich nichts ändern. Bayern verweist auf seine seit 2014 geltende weitreichendere Regelung. In Baden-württemberg sucht die Landesregierung noch eine Position, Thüringen will zunächst die weiteren Beratungen im Bundeskabinett abwarten.