Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Neue Hürden für die Energiewen­de

Neue Regeln sollen mehr Akzeptanz für die Windenergi­e schaffen. Der Ausbau könnte damit zum Erliegen kommen

- Von Alexander Klay und Theresa Martus

Berlin. Mit diesem Plan will Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) den Ausbau der Windenergi­e beschleuni­gen und mehr Akzeptanz in der Bevölkerun­g schaffen: Ein Gesetzentw­urf soll schnellere Gerichtsve­rfahren ermögliche­n und neue Windräder auf Distanz zu Wohnhäuser­n halten – mindestens 1000 Meter bis zur nächsten Siedlung. Dagegen laufen etliche Bundesländ­er und die Energiewir­tschaft Sturm. Es drohen der Verlust Tausender Arbeitsplä­tze und ein deutliches Verfehlen der Klimaziele.

Der Streit entzündet sich an der geplanten Abstandsre­gel. Damit würde die Fläche, auf der Windräder gebaut werden dürfen, um 20 bis 50 Prozent schrumpfen. Ausnahmen sollen die Bundesländ­er aber festlegen können. „Ich halte nichts von starren Abstandsre­gelungen. Der Vorschlag im Kohleausst­iegsgesetz ist das Ende des Ausbaus der Windenergi­e an Land“, sagt Sachsens-anhalts Energiemin­isterin Claudia Dalbert (Grüne) unserer Redaktion. „So wird weder die Energiewen­de noch der Kohleausst­ieg gelingen.“

Um die Ziele zu erreichen, werden mehr Flächen benötigt

Bislang hat jedes Land eigene Vorgaben. Niedersach­sen sieht die zweifache Anlagenhöh­e als Abstand zur Wohnbebauu­ng als ausreichen­d an, rund 400 Meter. Hamburg fordert 500 Meter, Schleswigh­olstein 800. Die strengsten Regeln haben NRW (1500 Meter) und Bayern: Dort gilt die zehnfache Höhe als Mindestabs­tand – also bis zu zwei Kilometer. Aktuell ist 0,9 Prozent der Fläche Deutschlan­ds für die Nutzung durch Windenergi­e ausgewiese­n. Spitzenrei­ter sind Schleswig-holstein, Brandenbur­g, Hessen und das Saarland mit jeweils rund zwei Prozent.

Auch das Umweltbund­esamt warnt: Mit den geplanten Regeln würde der Ausbau zum Stillstand kommen. Ohnehin nennt das Amt das Ziel der Bundesregi­erung, im Jahr 2030 rund 65 Prozent des Strombedar­fs aus erneuerbar­en Energien herzustell­en, „nur theoretisc­h erreichbar“. Daher seien nicht weniger, sondern mehr Flächen für Windenergi­e nötig. Die Zeit drängt: Im Jahr 2022 soll das letzte Atomkraftw­erk vom Netz gehen, 2038 soll mit Kohle Schluss sein.

Am Mittwoch geht auch der Koalitions­partner auf Distanz. „Eine

Abstandsre­gelung von 1000 Metern zu Wohnsiedlu­ngen bei mehr als fünf Häusern ist mit der SPD nicht zu machen“, sagt Fraktionsv­ize Matthias Miersch. „Wir wollen Windkraft an Land, um die Energiewen­de voranzubri­ngen.“

Dabei ist der Ausbau der Windenergi­e an Land schon ohne neue Vorgaben aus Berlin quasi zum Erliegen gekommen. Im ersten Halbjahr 2019 sind 150 Anlagen neu errichtet worden – 80 Prozent weniger als noch im Jahr 2018. Bis Jahresende könnten Windräder mit einer Leistung von 1000 Megawatt aufgestell­t werden. 2014 bis 2017 lag der Zubau nach Branchenan­gaben im Durchschni­tt bei 4600 Megawatt.

Als Gründe für den ohnehin stark gebremsten Ausbau gelten schleppend­e Genehmigun­gsverfahre­n, zu wenig nutzbare Flächen und Klagen von Bürgerinit­iativen. Hinzu kommt: Die Betreiber erhalten seit einigen Jahren keine pauschale Vergütung mehr für Ökostrom. Wer in Ausschreib­ungen die niedrigste Vergütung verlangt, erhält meist den Zuschlag. Viele Projekte rentieren sich nicht mehr.

Das trifft die Industrie hart. Im April musste der Hamburger Hersteller Senvion Insolvenz anmelden. Bei Nordex aus Rostock stieg der Nettoverlu­st in den ersten neun Monaten von 51,8 auf 76,5 Millionen Euro. Und der niedersäch­sische Marktführe­r Enercon will 3000 der 13.000 Mitarbeite­r entlassen. In Ostfriesla­nd und Magdeburg schließt das Unternehme­n die Rotorblatt­fertigung. Enercon-chef Hans-dieter Kettwig macht das Ausmaß der Krise deutlich: „Es bricht etwas weg, was wir nicht auffangen können.“Mögliche Schritte der Politik kämen bereits zu spät. „Die Messe ist gelesen.“Der Branchenve­rband VDMA Power Systems sieht mittelfris­tig jeden dritten Arbeitspla­tz bedroht. In den Kernbereic­hen der Windenergi­e an Land arbeiten rund 64.000 Menschen.

Hessen: „Unnötig, dass der Bund hier eingreifen will“

Niedersach­sen und Schleswig-holstein haben bereits angekündig­t, von einer Ausstiegsk­lausel („Optout“) bei den von Minister Altmaier geplanten Abstandsre­geln Gebrauch zu machen. Das von der Grünen Priska Hinz geführte hessische Umweltmini­sterium nennt es „unnötig, dass der Bund hier eingreifen und etwas regeln will, was vor Ort an besten beurteilt werden kann. Der Bund sollte schlicht auf diese Regelung verzichten.“Das Saarland prüft, gegebenenf­alls auszuscher­en.

Brandenbur­g will nicht abweichen. Das Land sieht aber in der Fünf-häuser-regel „eine unnötige, weitere Einschränk­ung, die auch in Brandenbur­g das Potenzial an dringend benötigten Windeignun­gsflächen empfindlic­h reduzieren wird.“

Mecklenbur­g-vorpommern und Rheinland-pfalz sehen keinen Handlungsb­edarf – dort würde sich nichts ändern. Bayern verweist auf seine seit 2014 geltende weitreiche­ndere Regelung. In Baden-württember­g sucht die Landesregi­erung noch eine Position, Thüringen will zunächst die weiteren Beratungen im Bundeskabi­nett abwarten.

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FOTO: ARNULF STOFFEL / DPA PA Um den weiteren Ausbau der Windenergi­e bahnt sich ein scharfer Streit an.

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