Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Die Arche überlebt jeden Untergang
Seit 40 Jahren gibt es das Erfurter Kabarett. Blick in zwei aktuelle Programme
Erfurt. Eines Tages, steht geschrieben, „reute es den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte.“Also flutete er seine Schöpfung, auch alles Vieh und Gewürm, ließ aber zuvor eine Arche bauen … Das muss vierzig Jahre her sein. Jedenfalls legte „Die Arche“1979 in Erfurt an und hält sich bis heute dort tapfer über Wasser, derweil allenthalben die „Land unter“-rufe lauter werden und das Land, in dem sie einst vertaut wurde, längst unterging.
Aktuell singen sie an Deck zum Beispiel: „Wir haben die Katastrophe kommen sehen, wie unsre Urur-ur-großeltern schon. Die gleichen Idioten, das gleiche Problem, neue Generation.“Dieses Lied der Band Dota nehmen sie in ein „Kabarettical“mit dem doppeldeutigen Titel „Wir gehen flöten“auf. Sie rufen aber auch: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“Dieser Schwur von Buchenwald, 1945 abgelegt, stört zur Halbzeit hin absichtsvoll den Frohsinn des wortspielreichen Programms „Seid Netz zueinander!“. Es folgt, was häufiger vorkommt an diesem Abend, ein Chanson von Thomas Pigor: „Das deutsche Volk ist leider meins.“
Andere in der DDR geborene Kabaretts nannten sich Distel, Pfeffermühle, Herkuleskeule, Kugelblitze. Das sollte Bissigkeit und Angriffslust
suggerieren, im Rahmen des Möglichen, den erst die Politik, dann die Ökonomie vorgab. In Erfurt war man weitsichtig von Anfang aufs Überleben bedacht.
Das grundiert, bei aller Unterschiedlichkeit, auch zwei aktuelle Abende im Jubiläumsjahr des privaten Thüringer Satiretheaters und Kabaretts, wie sich die einstige Sparte des nennt. Es ist, als sängen sie Thelens alten Gassenhauer: „Am 30. Mai ist der Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang. Doch keiner weiß, in welchem Jahr.“Man kann dem, wie im „Netz“-programm, von der Reling eines Kreuzfahrtschiffes zuschauen oder versuchen, wie beim „Flöten gehen“, ein Zweite-klasse-ticket zum Mond zu ergattern.
Oder man macht (und lacht) einfach weiter – und es vielleicht auch ein bisschen besser. „Seid Netz zueinander!“, die jüngste Produktion, bespielt alltäglichen Wahnsinn in klassischer Nummernfolge mit Szenen, Sketchen, Liedern. Es geht um Netze sowie Umgangsformen aller Sorten. Auf der Arche der feige Hund, der kläffende Goldhamster und die Beamtenkuh unter: allesamt Beleidigungen aus dem Bundestag, die auf der Straße saftige Bußgelder zeitigten. Klimakatastrophe, der Stadtgeländewagen SUV und Fridays-for-future-demos spiegeln indes beide Abende auf ihre Weise wider.
Die Netzgemeinde von Beatrice Thron, Katrin Heinke, Ulf Annel und Andreas Pflug findet aber auch den Weg von Entsorgungsproblemen mit „Hundescheiße“zur „Braunen Kacke“, aus der ständig „ein in rechten Netzwerken sehr gut vernetzter rechtsradikaler Einzeltäter“auftaucht. Souverän und routiniert gespielt, mit Tempo auf die nächste Pointe zu (Regie: Fernando Blumenthal), neigt der Abend dann aber doch zum Kalauer, zum Schenkelklopfer und zur üblichen Parodie von Damen und Herren („und Diversen“) auf Straßen und in Fernsehstudios. Das will alles in allem lustig sein und ist es gerade deshalb zu selten. Jedenfalls für den Geschmack des Berichterstatters.
Der fühlte sich bei „Wir gehen flöten!“weitaus besser unterhalten, weil das Duo Julia Maronde und Dominique Wand virtuos mit leisen und lauten, zarten und derben Tönen spielt. Sie checken als Sarah Peters und Phillip Peters, nicht verwandt und nicht verschwägert, in der Pension Liederlich ein, können sich nicht ausstehen und müssen sich ein Zimmer teilen: die überhitzt Naive und der eiskalte Macher. Sie borgt sich die Lebensweisheit aus dem Poesiealbum, er aus den Börsenberichten.
In wechselnden Auftritten und Figuren entsteht, in Regie von Archechef Harald Richter, ein heiter-melancholisches Panorama fröhlich scheiternder Lebensentwürfe zwischen Überfluss und Überdruss. Unter allem Witz schlummert ein heiliger Ernst. Und am Ende ist doch ein bisschen Land in Sicht.