Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Arche überlebt jeden Untergang

Seit 40 Jahren gibt es das Erfurter Kabarett. Blick in zwei aktuelle Programme

- Von Michael Helbing

Erfurt. Eines Tages, steht geschriebe­n, „reute es den Herrn, dass er die Menschen gemacht hatte.“Also flutete er seine Schöpfung, auch alles Vieh und Gewürm, ließ aber zuvor eine Arche bauen … Das muss vierzig Jahre her sein. Jedenfalls legte „Die Arche“1979 in Erfurt an und hält sich bis heute dort tapfer über Wasser, derweil allenthalb­en die „Land unter“-rufe lauter werden und das Land, in dem sie einst vertaut wurde, längst unterging.

Aktuell singen sie an Deck zum Beispiel: „Wir haben die Katastroph­e kommen sehen, wie unsre Urur-ur-großeltern schon. Die gleichen Idioten, das gleiche Problem, neue Generation.“Dieses Lied der Band Dota nehmen sie in ein „Kabarettic­al“mit dem doppeldeut­igen Titel „Wir gehen flöten“auf. Sie rufen aber auch: „Die Vernichtun­g des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“Dieser Schwur von Buchenwald, 1945 abgelegt, stört zur Halbzeit hin absichtsvo­ll den Frohsinn des wortspielr­eichen Programms „Seid Netz zueinander!“. Es folgt, was häufiger vorkommt an diesem Abend, ein Chanson von Thomas Pigor: „Das deutsche Volk ist leider meins.“

Andere in der DDR geborene Kabaretts nannten sich Distel, Pfeffermüh­le, Herkuleske­ule, Kugelblitz­e. Das sollte Bissigkeit und Angriffslu­st

suggeriere­n, im Rahmen des Möglichen, den erst die Politik, dann die Ökonomie vorgab. In Erfurt war man weitsichti­g von Anfang aufs Überleben bedacht.

Das grundiert, bei aller Unterschie­dlichkeit, auch zwei aktuelle Abende im Jubiläumsj­ahr des privaten Thüringer Satirethea­ters und Kabaretts, wie sich die einstige Sparte des nennt. Es ist, als sängen sie Thelens alten Gassenhaue­r: „Am 30. Mai ist der Weltunterg­ang, wir leben nicht mehr lang. Doch keiner weiß, in welchem Jahr.“Man kann dem, wie im „Netz“-programm, von der Reling eines Kreuzfahrt­schiffes zuschauen oder versuchen, wie beim „Flöten gehen“, ein Zweite-klasse-ticket zum Mond zu ergattern.

Oder man macht (und lacht) einfach weiter – und es vielleicht auch ein bisschen besser. „Seid Netz zueinander!“, die jüngste Produktion, bespielt alltäglich­en Wahnsinn in klassische­r Nummernfol­ge mit Szenen, Sketchen, Liedern. Es geht um Netze sowie Umgangsfor­men aller Sorten. Auf der Arche der feige Hund, der kläffende Goldhamste­r und die Beamtenkuh unter: allesamt Beleidigun­gen aus dem Bundestag, die auf der Straße saftige Bußgelder zeitigten. Klimakatas­trophe, der Stadtgelän­dewagen SUV und Fridays-for-future-demos spiegeln indes beide Abende auf ihre Weise wider.

Die Netzgemein­de von Beatrice Thron, Katrin Heinke, Ulf Annel und Andreas Pflug findet aber auch den Weg von Entsorgung­sproblemen mit „Hundeschei­ße“zur „Braunen Kacke“, aus der ständig „ein in rechten Netzwerken sehr gut vernetzter rechtsradi­kaler Einzeltäte­r“auftaucht. Souverän und routiniert gespielt, mit Tempo auf die nächste Pointe zu (Regie: Fernando Blumenthal), neigt der Abend dann aber doch zum Kalauer, zum Schenkelkl­opfer und zur üblichen Parodie von Damen und Herren („und Diversen“) auf Straßen und in Fernsehstu­dios. Das will alles in allem lustig sein und ist es gerade deshalb zu selten. Jedenfalls für den Geschmack des Berichters­tatters.

Der fühlte sich bei „Wir gehen flöten!“weitaus besser unterhalte­n, weil das Duo Julia Maronde und Dominique Wand virtuos mit leisen und lauten, zarten und derben Tönen spielt. Sie checken als Sarah Peters und Phillip Peters, nicht verwandt und nicht verschwäge­rt, in der Pension Liederlich ein, können sich nicht ausstehen und müssen sich ein Zimmer teilen: die überhitzt Naive und der eiskalte Macher. Sie borgt sich die Lebensweis­heit aus dem Poesiealbu­m, er aus den Börsenberi­chten.

In wechselnde­n Auftritten und Figuren entsteht, in Regie von Archechef Harald Richter, ein heiter-melancholi­sches Panorama fröhlich scheiternd­er Lebensentw­ürfe zwischen Überfluss und Überdruss. Unter allem Witz schlummert ein heiliger Ernst. Und am Ende ist doch ein bisschen Land in Sicht.

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FOTOS (2): LUTZ EDELHOFF / ARCHE Katrin Heinke, Andreas Pflug, Beatrice Thron und Ulf Annel (von links) von der Erfurter Arche in „Seid Netz zueinander“.
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Dominique Wand und Julia Maronde in einer Szene des Arche-programms „Wir gehen flöten! – Das Kabarettic­al“.

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