Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Plötzlich Chefin
Die Wahl-oberhoferin Julia Taubitz führt in diesem Winter die deutschen Rodlerinnen an
Oberhof. Auch dieser Winter beginnt für Julia Taubitz mit einem kleinen Höhenflug. Von Dresden aus ist sie per Kleinflugzeug zusammen mit dem Thüringer Doppel Toni Eggert und Sascha Benecken nach Innsbruck geflogen, wo an diesem Wochenende mit dem ersten Weltcup die neue Rennrodel-saison beginnt.
Auch auf dem Schlitten hat die Annabergerin längst die Reiseflughöhe der Besten erreicht. Zweifache Vize-weltmeisterin, erster Weltcupsieg, Zweite im Gesamtweltcup – seit dem vergangenen Winter strahlt der Stern der hochtalentierten Rodlerin unübersehbar. Eine rasante Entwicklung, die eng mit ihrem Wechsel in die Oberhofer Trainingsgruppe zusammenhängt, wo sie mit Dajana Eitberger und Tatjana Hüfner Vorbilder und Konkurrenz im tagtäglichen Training gefunden hat und mit Jan Eichhorn einen erfahrenen Trainer. „Damit sind auch meine Ansprüche gewachsen“, sagt sie und weiß inzwischen, dass sie in jedem Starterfeld die Schnellste sein kann.
In dieser Saison wird es von ihr sogar erwartet. Auf alle Fälle im internen Vergleich. Unvermittelt steht die 23-Jährige, eben noch das Nesthäkchen, an erster Stelle der deutschen Rodlerinnen. Dass sie plötzlich Chefin ist, hängt mit dem aus den Fugen geratenen Personaltableau zusammen: Tatjana Hüfner, die Grande Dame, hat ihre Karriere beendet, Natalie Geisenberger und Dajana Eitberger sehen Mutterfreuden entgegen. Also ist es Taubitz, die nun „eine gewisse Verantwortung“trägt und den blutjungen Jessica Tiebel (20/Altenberg), Cheyenne Rosenthal (19/Winterberg) und Anna Berreiter (20/Berchtesgaden) den Rücken freihalten muss.
Ohne Konkurrenz fehlt Orientierung
„Beim Startlehrgang vor der Saison war ich die Älteste“, sagt sie, „das fühlt sich schon komisch an.“Denn nun haben auf einmal die anderen die Fragen gestellt – und sie selbst hat niemanden mehr, zu dem sie aufblicken kann. Ohne die starke teaminterne Konkurrenz, die immer gleichbedeutend mit der Weltspitze ist, fehle ihr etwas Orientierung. „Weil ich nicht so recht weiß, wo ich stehe, bin ich ein bisschen nervös“, räumt sie ein.
Vor dem Wochenende in Innsbruck ist ihr trotzdem nicht bange. Sie mag die Bahn in den Tiroler Bergen, im vergangenen Jahr ist sie hier
Termin
Bahnrekord gefahren. Und sie liebt die Landschaft der österreichischen Alpen, das Panorama mit der mächtigen Nordkette und dem Bergisel. Das Rodel-labyrinth von Igls gilt in der Branche als relativ einfach, eine sogenannte Gleiterbahn. „Da wird das Feld natürlich etwas enger zusammenrücken“, sagt Taubitz.
Die einzige wirkliche Sorge, die sie plagt, steckt in ihrer linken Schulter. Im Sommer hat sie sich beim Athletiktraining einen Riss im Knorpel zugezogen, das bringt ihr zwei ärgerliche Monate Rückstand. Erst vor wenigen Tagen konnte sie wieder mit Starttraining beginnen.
Trotz dieser Defizite setzt sich die Wahl-oberhoferin ebenso ehrgeizige wie natürliche Ziele. Ein Platz unter den besten drei im Gesamtweltcup soll es werden. Und natürlich eine Medaille bei den Weltmeisterschaften im Februar. Auf der Wm-bahn von Sotschi fehlt ihr allerdings noch Erfahrung. „Im vergangenen Jahr bin ich dort das erste Mal gefahren. Mit einigen Fehlern wurde es ein fünfter Platz“, sagt sie. Immerhin: Das lässt sie hoffen.
Ihr bleibt die internationale Trainingswoche, um die Feinheiten der Bahn von Sotschi zu ergründen. Zum jüngsten Lehrgang hatte Norbert Loch nämlich nur die Männer und Doppel nach Russland mitgenommen. Die Frauen kriegen das auch so hin, habe der Bundestrainer gesagt. „Nicht dabei zu sein kann also durchaus als Auszeichnung angesehen werden“, lacht Taubitz, die sich derweil in Lillehammer den letzten Schliff geholt hat. Allerdings wusste Loch bei seiner Planung damals noch nichts von den Baby-vorfreuden seiner Top-fahrerinnen.
Es wird also manches neu sein für Julia Taubitz im kommenden Winter. Auch, dass sie und Toni Eggert privat kein Paar mehr sind. Doch gemeinsame Höhenflüge sind immer noch drin. Mit dem Flugzeug. Und natürlich erst recht auf den Rodelbahnen dieser Welt.