Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Die Not der Kinderkliniken
Zu wenig Geld, zu wenig Personal: Abteilungen für Kinder und Jugendliche sind stark unterfinanziert. Wie die Versorgung darunter leidet
Carlotta ist schwer krank. Die Sechsjährige leidet an einem seltenen Gendefekt, weshalb sie schon viele Krankenhausaufenthalte hinter sich hat. Diesen Sommer hatte sie einen besonders großen Eingriff. In einem Kinderherzzentrum in Nordrhein-westfalen sollte ihr Herzfehler korrigiert werden. Doch als der Termin gekommen war, verzögerte sich die Operation. Mehrere Stunden lang mussten Carlotta und ihre Eltern warten, weil der Arzt keine Zeit hatte. „Obwohl die Operation für elf Uhr morgens geplant war, kam Carlotta erst um 15 Uhr dran“, erinnert sich ihre Mutter, Christina Becker. „Das war besonders schlimm, weil sie bereits seit dem Abend davor nichts essen und seit dem Morgen auch nichts mehr trinken durfte.“
Fälle wie der von Carlotta sind keine Seltenheit. Viele Kinderkliniken haben zu wenig Personal und zu wenige Betten. Ihnen fehlen wichtige medizinische Geräte. In den nächsten Jahren werden zahlreiche Kinderkliniken sogar ganz schließen müssen, wenn sie nicht zusätzliches Geld bekommen. Dabei
kommen bereits jetzt auf 2000 Krankenhäuser nur noch circa 20 teils angegliederte und teils eigenständige Kinderkliniken und circa 320 Kinderstationen. Und es werden mehr Patienten: Während von 1991 bis 2017 die Zahl der Krankheitsfälle auf fast eine Million pro Jahr gestiegen ist, sank die Zahl der Betten um 50 Prozent auf 18.591. Jetzt arbeitet die Politik an einer Lösung.
Ärzte brauchen mehr Zeit als bei Erwachsenen
Kinderkliniken werden so finanziert wie jedes andere Krankenhaus auch, doch genau das ist das Problem. Die pauschalen Summen, die jede Klinik für jede Behandlung von erwachsenen Patienten bekommt, lassen sich nicht ohne Weiteres auf die Kinder- und Jugendheilkunde übertragen. „Medizin für Kinder ist deutlich komplexer: Man braucht nicht nur mehr Zeit als bei erwachsenen Patienten, wir haben es auch mit sehr viel unterschiedlicheren Diagnosen zu tun“, sagt Ingeborg Krägeloh-mann, Ärztliche Direktorin der Universitätsklinik für Kinderund Jugendmedizin in Tübingen. Die Kinder- und Jugendheilkunde kämpft damit, dass sie jede medizinische Fachrichtung noch einmal in spezialisierter Form abbilden muss. „Insgesamt gibt es circa 1000 verschiedene Krankheitsbilder in der Kinder- und Jugendheilkunde. Deshalb ist auch der Bedarf an Experten viel höher als in anderen Fachrichtungen“, sagt Wolfgang Kölfen, Vizepräsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Auf der anderen Seite gibt es nicht immer genügend kleine Patienten, um das Fachpersonal und die Kliniken über das normale System zu finanzieren. Weil die meisten Patienten als Notfälle kommen, können Ärzte und Pfleger weniger gut planen als bei Erwachsenen. Die Kliniken schwanken oftmals zwischen Leerlauf und Überlastung. „Der Großteil kommt in akuten Situationen. Zur Grippesaison gibt es viel zu wenig Betten und Personal, in den Phasen dazwischen sind die Kliniken oftmals nicht voll belegt“, sagt Kölfen. Damit eine Kinderklinik rentabel ist, brauche sie mindestens 2000 Patienten im Jahr. In ländlichen Regionen sei das kaum zu schaffen, meint Kölfen. Oft wird die Kinderund Jugendheilkunde deshalb von anderen Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses subventioniert. Doch auch diese Abteilungen müssen sparen. Sollte sich die Situation weiter verschärfen, sieht Marie Klein-schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, die flächendeckende Versorgung für Kinder gefährdet. „Es muss unbedingt verhindert werden, dass die finanzielle Not der Krankenhäuser und -stationen das Behandlungsangebot für Kinder und Jugendliche noch mehr ausdünnt.“Gespart wird als Erstes am Personal, sodass selten genügend Zeit bleibt, den Patienten und ihren Eltern gerecht zu werden. „Oft wird vergessen, dass Kinder mit ihren Familien ins Krankenhaus kommen. Die haben ein besonders großes Bedürfnis danach, informiert zu werden. Und das braucht einfach Zeit“, sagt Verbands-vizechef Kölfen.
Was also tun? Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen, die Kinder- und Jugendärzte und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben sich darauf verständigt, dass mehr Geld nötig ist. Die Finanzierung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sei „noch nicht optimal ausgestaltet“, heißt es in dem Papier, das unserer Redaktion vorliegt. Die Verbände schlagen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, eine Extra-finanzierung zu etablieren. Einen solchen „Sicherstellungszuschlag“gibt es bereits für andere medizinische Fachdisziplinen. Zu den Pauschalen käme ein extra Fixbetrag dazu.
Ein Zuschlag von 15 Prozent pro Behandlung wird gefordert
Doch im Arbeitspapier steht auch: Nicht jede Kinderklinik kann gerettet werden. Bevor allerdings der Extra-zuschlag kommt, müsse die Verteilung der Kliniken, ihre Erreichbarkeit und die Zahl der Patienten untersucht werden. Dann könne es eine „einheitliche und sachgerechte Vergütung“geben. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es: Man habe das Problem erkannt und finde die Idee sinnvoll.
Verbands-vize Kölfen bleibt trotzdem skeptisch. Immerhin hätten sich alle Seiten darauf verständigen können, dass Kinder- und Jugendmedizin deutlich teurer ist als Medizin für Erwachsene. „Ein Zuschlag von 15 Prozent auf jede Behandlung muss es schon sein“, sagt er. „Alles darunter wird nicht ausreichen.“
„Ein Zuschlag von 15 Prozent auf jede Behandlung muss es schon sein.“Wolfgang Kölfen, Vizepräsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte