Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Ein verräterischer Spionagevorwurf
Türkei nimmt Anwalt der deutschen Botschaft fest – mit Folgen für Asylbewerber in der Bundesrepublik
Die Zeit der atmosphärischen Aufhellungen im deutsch-türkischen Verhältnis scheint vorbei. Im Januar 2018 hatte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in seinem Privathaus in Goslar noch eigenhändig Tee eingeschenkt. Wenige Wochen später kam der deutsch-türkische „Welt“-korrespondent Deniz Yücel nach mehr als einem Jahr Haft frei. Vor knapp einem Jahr besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Deutschland und nannte Bundespräsident Frank-walter Steinmeier einen „Freund“. Endlich beginnt eine Phase der Entspannung, hofften viele.
47 türkische Asylbewerber sind von dem Fall betroffen
Doch nun sind die bilateralen Beziehungen erneut schwer belastet. Zuerst hatte sich Erdogan Kritik aus dem Westen an seiner Nordsyrien-offensive („Operation Friedensquelle“) verbeten. Dann hatte er damit gedroht, für die 3,6 Millionen Flüchtlinge in seinem Land die Tore Richtung Europa „zu öffnen“.
Jetzt sorgt die Festnahme eines Anwalts der deutschen Botschaft in Ankara für neue Spannungen. Yilmaz S., ein türkischer Staatsbürger, befindet sich seit Mitte September in Untersuchungshaft, wie erst am Mittwoch bekannt wurde. Der Vorwurf der Spionage, den die türkische Staatsanwaltschaft gegen Yilmaz S. erhoben habe, sei „unzutrefdatenschutzbeauftragte fend“, verlautete aus dem Außenministerium in Berlin. Eine offizielle Anklage sei allerdings noch nicht formuliert worden, erklärten türkische Diplomaten in Ankara.
Nach Informationen unserer Redaktion hat Yilmaz S. seit rund 20 Jahren als sogenannter Kooperationsanwalt für die deutsche Botschaft gearbeitet. Die Zusammenarbeit mit Kooperationsanwälten ist „seit Jahren gängige Praxis“, heißt es im Außenministerium. Dies treffe auch auf Asylverfahren zu.
Will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Angaben eines Asylbewerbers überprüfen, kontaktiert die Behörde die deutsche Botschaft, etwa im Irak oder in Afghanistan. Oder eben in Ankara.
Die Vertretung der Bundesrepublik hat dort — wie auch andere Staaten — Anwälte, die Akteneinsicht bei Gerichten erlangen. Etwa, wenn das Bamf prüfen will, ob ein Schutzsuchender tatsächlich aus politischen Gründen in der Türkei in
Haft saß oder von einem Betroffenen die Grundstücke enteignet wurden.
Nach Informationen unserer Redaktion sind aktuell 47 Türken betroffen, deren Fälle Yilmaz S. für das Bamf bearbeitet hat. Bei dessen Festnahme hätten die türkischen Stellen rund 50 Dokumente beschlagnahmt, heißt es. Dabei seien auch Unterlagen zu Asylverfahren beschlagnahmt worden. Die deutschen Behörden haben die Asylsuchenden informiert, auch der
des Bundes soll informiert sein. Die Chance, dass der Asylantrag angenommen wird, ist nach dem aktuellen Vorfall für die 47 Schutzsuchenden aus der Türkei deutlich gestiegen.
Bei den Asylbewerbern handelt es sich vor allem um kurdische Aktivisten und Anhänger der islamischkonservativen Gülen-bewegung. Erdogan hatte in der Vergangenheit Deutschland vorgeworfen, angeblichen Hintermännern des Putschversuchs vom Juli 2016 Unterschlupf zu gewähren. Er forderte immer wieder die Auslieferung von Mitgliedern der Bewegung – was die Bundesregierung verweigerte. Fethullah Gülen, der Kopf der Organisation, sitzt im Us-bundesstaat Pennsylvania im Exil. Die amerikanische Regierung lehnte das türkische Gesuch auf eine Auslieferung Gülens ab.
Nach Informationen unserer Redaktion hat Yilmaz S. in Ankara auch für die Botschaften der Niederlande und Norwegens gearbeitet. Die Akteneinsicht des Anwalts erfolgte offenbar über eine vom türkischen Justizministerium betriebene digitale Plattform, die Informationen über laufende Strafverfahren gibt. Die Nutzung dieses Computersystems könnten türkische Behörden als Ausspähmaßnahme gewertet haben. In Ankara war zunächst von einem Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen die Rede.
Der deutsche Botschafter in der Türkei hatte gegenüber der türkischen Regierung mehrfach gegen die Festnahme von Yilmaz S. protestiert.