Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Ein verräteris­cher Spionagevo­rwurf

Türkei nimmt Anwalt der deutschen Botschaft fest – mit Folgen für Asylbewerb­er in der Bundesrepu­blik

- Von Michael Backfisch und Christian Unger

Die Zeit der atmosphäri­schen Aufhellung­en im deutsch-türkischen Verhältnis scheint vorbei. Im Januar 2018 hatte der damalige Außenminis­ter Sigmar Gabriel seinem türkischen Amtskolleg­en Mevlüt Cavusoglu in seinem Privathaus in Goslar noch eigenhändi­g Tee eingeschen­kt. Wenige Wochen später kam der deutsch-türkische „Welt“-korrespond­ent Deniz Yücel nach mehr als einem Jahr Haft frei. Vor knapp einem Jahr besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Deutschlan­d und nannte Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier einen „Freund“. Endlich beginnt eine Phase der Entspannun­g, hofften viele.

47 türkische Asylbewerb­er sind von dem Fall betroffen

Doch nun sind die bilaterale­n Beziehunge­n erneut schwer belastet. Zuerst hatte sich Erdogan Kritik aus dem Westen an seiner Nordsyrien-offensive („Operation Friedensqu­elle“) verbeten. Dann hatte er damit gedroht, für die 3,6 Millionen Flüchtling­e in seinem Land die Tore Richtung Europa „zu öffnen“.

Jetzt sorgt die Festnahme eines Anwalts der deutschen Botschaft in Ankara für neue Spannungen. Yilmaz S., ein türkischer Staatsbürg­er, befindet sich seit Mitte September in Untersuchu­ngshaft, wie erst am Mittwoch bekannt wurde. Der Vorwurf der Spionage, den die türkische Staatsanwa­ltschaft gegen Yilmaz S. erhoben habe, sei „unzutrefda­tenschutzb­eauftragte fend“, verlautete aus dem Außenminis­terium in Berlin. Eine offizielle Anklage sei allerdings noch nicht formuliert worden, erklärten türkische Diplomaten in Ankara.

Nach Informatio­nen unserer Redaktion hat Yilmaz S. seit rund 20 Jahren als sogenannte­r Kooperatio­nsanwalt für die deutsche Botschaft gearbeitet. Die Zusammenar­beit mit Kooperatio­nsanwälten ist „seit Jahren gängige Praxis“, heißt es im Außenminis­terium. Dies treffe auch auf Asylverfah­ren zu.

Will das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) die Angaben eines Asylbewerb­ers überprüfen, kontaktier­t die Behörde die deutsche Botschaft, etwa im Irak oder in Afghanista­n. Oder eben in Ankara.

Die Vertretung der Bundesrepu­blik hat dort — wie auch andere Staaten — Anwälte, die Akteneinsi­cht bei Gerichten erlangen. Etwa, wenn das Bamf prüfen will, ob ein Schutzsuch­ender tatsächlic­h aus politische­n Gründen in der Türkei in

Haft saß oder von einem Betroffene­n die Grundstück­e enteignet wurden.

Nach Informatio­nen unserer Redaktion sind aktuell 47 Türken betroffen, deren Fälle Yilmaz S. für das Bamf bearbeitet hat. Bei dessen Festnahme hätten die türkischen Stellen rund 50 Dokumente beschlagna­hmt, heißt es. Dabei seien auch Unterlagen zu Asylverfah­ren beschlagna­hmt worden. Die deutschen Behörden haben die Asylsuchen­den informiert, auch der

des Bundes soll informiert sein. Die Chance, dass der Asylantrag angenommen wird, ist nach dem aktuellen Vorfall für die 47 Schutzsuch­enden aus der Türkei deutlich gestiegen.

Bei den Asylbewerb­ern handelt es sich vor allem um kurdische Aktivisten und Anhänger der islamischk­onservativ­en Gülen-bewegung. Erdogan hatte in der Vergangenh­eit Deutschlan­d vorgeworfe­n, angebliche­n Hintermänn­ern des Putschvers­uchs vom Juli 2016 Unterschlu­pf zu gewähren. Er forderte immer wieder die Auslieferu­ng von Mitglieder­n der Bewegung – was die Bundesregi­erung verweigert­e. Fethullah Gülen, der Kopf der Organisati­on, sitzt im Us-bundesstaa­t Pennsylvan­ia im Exil. Die amerikanis­che Regierung lehnte das türkische Gesuch auf eine Auslieferu­ng Gülens ab.

Nach Informatio­nen unserer Redaktion hat Yilmaz S. in Ankara auch für die Botschafte­n der Niederland­e und Norwegens gearbeitet. Die Akteneinsi­cht des Anwalts erfolgte offenbar über eine vom türkischen Justizmini­sterium betriebene digitale Plattform, die Informatio­nen über laufende Strafverfa­hren gibt. Die Nutzung dieses Computersy­stems könnten türkische Behörden als Ausspähmaß­nahme gewertet haben. In Ankara war zunächst von einem Verstoß gegen Datenschut­zbestimmun­gen die Rede.

Der deutsche Botschafte­r in der Türkei hatte gegenüber der türkischen Regierung mehrfach gegen die Festnahme von Yilmaz S. protestier­t.

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE Im Zentrum der neuesten Spannungen: die deutsche Botschaft in Ankara, für die der Anwalt Yilmaz S. seit rund 20 Jahren arbeitete.

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