Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Kulturriese in Bad Langensalza
Umtriebiger Verein „Zwiwel“mit dem Preis für Soziokultur ausgezeichnet
Wo einst diese Zeitung ein Zuhause hatte, entstehen heute auf andere Weise gute Nachrichten für Bad Langensalza und den Unstrut-hainich-kreis. Die wiederum finden Eingang in unsere Lokalausgabe, ein bis zwei Mal pro Woche. „Der Verein Zwischenwelten“, titelten die Kollegen im Mai, „ist Hansdampf in allen Gassen.“
Dabei gibt es „Zwiwel“, wie man sich kurz nennt, erst seit 2015. Seitdem hat dieser Verein mit 30 Mitgliedern gleichsam die gesamte Kurstadt mit 13.000 Einwohnern in ein soziokulturelles Zentrum verwandelt. Dieses materialisiert sich inzwischen im ehemaligen Pressehaus an der Bergstraße: Drei Ladenräume bilden ein Familien- und Jugendbüro und damit das „Zwiwel“-hauptquartier.
An einem Donnerstagnachmittag im November findet hier ein Upcycling-kurs statt: Kinder und Erwachsene basteln aus altem Material Taschenwärmer und Stoffmonster. Es ist Leben in der Bude, ein Kommen und Gehen. Vereinsmitglied Nick Böttner hat nur kurz Zeit. Gleich muss er los zu einer jener Scheckübergaben, wie sie dieser Tage häufiger anstehen. Kaum ist er verschwunden, taucht Sven Sippel auf. Der Koch betreut die Kinderlehrküche „Zwiwellotte“.
„Das versteckte Kind im Menschen zu finden“
Zwei Tage zuvor hat der Verein seinen vierten Jugenddialog veranstaltet, für die Mitbestimmung Jugendlicher. Der Bürgermeister war dabei. Es ging unter anderem um ein Jugendparlament sowie das Projekt eines Jugendcafés. Einen solchen Treffpunkt wünschen sich die meisten der 1000 Schüler, die sich an einer Fragebogenaktion von „Zwiwel“beteiligten.
Der Verein glänze „mit einer bemerkenswerten Kooperationsbereitschaft“, seine Projekte seien „partizipativ sowie sparten- und generationenübergreifend angelegt.“
So begründet die Jury, weshalb der „Kulturriese 2019“, der mit 1111,11 Euro dotierte Preis der Soziokultur in Thüringen, an diesem Donnerstag in Erfurt an „Zwiwel“ging.
Der Verein organisiert Hausaufgabenhilfe ebenso wie Hip-hopkurse in einer Turnhalle, Workshops für Rollbrettkunst und Graffiti oder eine „Hexenküche“, in der Kosmetika auf natürlicher Basis entstehen. Er veranstaltete im September ein Stadtfest zum Weltkindertag sowie zum zweiten Mal das Musikfestival „Heimatrocken“, das Bands in die Innenstadt brachte. Den Weihnachtsmarkt bereichert er um eine Bastelstube, ein Kurzfilmfestival oder eine Drechselwerkstatt in leer stehenden Läden.
Zu den Großprojekten zählt die „Pipe“: ein Skatepark auf 18.000 Quadratmetern am Ziegeleiweg, der ein Jahrzehnt lang verwilderte und zum Treffpunkt für Vandalismus und Drogenhandel verkam. Nach Arbeitseinsätzen mit Jugendlichen konnte er inzwischen wiedereröffnet werden, als künftiger Freizeitort für alle und jeden, an dem man sich, anders als in den Kurparks, auf die Wiese legen kann.
Nicht zuletzt veranstaltet „Zwiwel“immer noch Ferienfreizeiten. Damit fing im Grunde alles an; damit und mit privatem Engagement in der Flüchtlingshilfe. Weil sich die Akteure einen entsprechenden Ruf erwarben, bat sie das Landratsamt 2015 um Unterstützung, als man in der Stadt sowie im Ortsteil Thamsbrück Flüchtlingsunterkünfte einrichtete. Eine Koordinierungsstelle wurde daraufhin ehrenamtlich betrieben. Im Integrationsprojekt mit Flüchtlingskindern entstanden später ein Buch mit ihren Geschichten, fünf Filme und ein Theaterstück.
Alsbald sollte aber eben noch mehr daraus werden. Lauter Zwischenwelten tat man auf, bei und mit vielen Partnern. Netzwerke schaffen und nutzen ist die Kernkompetenz des Vereins. Zwischenwelten versteht er als Räume grenzenloser Begegnung, nicht zuletzt mit sich selbst. „Das versteckte Kind im Menschen zu finden“, ist Teil der Philosophie.
Hinter „Zwiwel“steht eine alternative Multikulti-idee, voller Träume, aber sehr geerdet. Vielleicht deshalb rennt der Verein inzwischen, nach anfänglicher Skepsis hier und dort, in der eher konservativen Kleinstadt „überall offene Türen“ein: in der Verwaltung und in Schulen, bei Gastronomen und im Gewerbeverein.
„Wir sind schon Ansprechpartner für vieles“, sagt Dorothee „Anni“Meuche. „Bislang ist jedes Jahr etwas
Neues dazugekommen.“Die Mathematik- und Biologielehrerin kehrte der Schule den Rücken, als ihre Tochter, die übrigens den Vereinsnamen erfand, ihr Abitur machte. Dort müsse man immer alles bewerten, der Zugang zu Kindern sei viel zu verkopft. Sie wurde Wildnispädagogin, sitzt im „Zwiwel“-vorstand und kümmert sich auf einer 20-Stunden-stelle um die Verbandsarbeit. Kollegin Annett Groß betreut die mobile Jugendarbeit.
Künftig, so Meuche, müsse man sich „ein Stück weit abgrenzen“. Der Verein will seine Arbeit lieber stabilisieren, als weiter ausbauen. Zwiebeln anbauen will er übrigens, wie schon mal zu lesen stand, auch nicht. Sein Name wird häufiger versehentlich mit dem Lauchgewächs assoziiert. Das liegt nicht nur phonetisch nahe. Auch „Zwiwel“besteht aus sehr vielen Häuten.