Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Kulturries­e in Bad Langensalz­a

Umtriebige­r Verein „Zwiwel“mit dem Preis für Soziokultu­r ausgezeich­net

- Von Michael Helbing

Wo einst diese Zeitung ein Zuhause hatte, entstehen heute auf andere Weise gute Nachrichte­n für Bad Langensalz­a und den Unstrut-hainich-kreis. Die wiederum finden Eingang in unsere Lokalausga­be, ein bis zwei Mal pro Woche. „Der Verein Zwischenwe­lten“, titelten die Kollegen im Mai, „ist Hansdampf in allen Gassen.“

Dabei gibt es „Zwiwel“, wie man sich kurz nennt, erst seit 2015. Seitdem hat dieser Verein mit 30 Mitglieder­n gleichsam die gesamte Kurstadt mit 13.000 Einwohnern in ein soziokultu­relles Zentrum verwandelt. Dieses materialis­iert sich inzwischen im ehemaligen Pressehaus an der Bergstraße: Drei Ladenräume bilden ein Familien- und Jugendbüro und damit das „Zwiwel“-hauptquart­ier.

An einem Donnerstag­nachmittag im November findet hier ein Upcycling-kurs statt: Kinder und Erwachsene basteln aus altem Material Taschenwär­mer und Stoffmonst­er. Es ist Leben in der Bude, ein Kommen und Gehen. Vereinsmit­glied Nick Böttner hat nur kurz Zeit. Gleich muss er los zu einer jener Schecküber­gaben, wie sie dieser Tage häufiger anstehen. Kaum ist er verschwund­en, taucht Sven Sippel auf. Der Koch betreut die Kinderlehr­küche „Zwiwellott­e“.

„Das versteckte Kind im Menschen zu finden“

Zwei Tage zuvor hat der Verein seinen vierten Jugenddial­og veranstalt­et, für die Mitbestimm­ung Jugendlich­er. Der Bürgermeis­ter war dabei. Es ging unter anderem um ein Jugendparl­ament sowie das Projekt eines Jugendcafé­s. Einen solchen Treffpunkt wünschen sich die meisten der 1000 Schüler, die sich an einer Fragebogen­aktion von „Zwiwel“beteiligte­n.

Der Verein glänze „mit einer bemerkensw­erten Kooperatio­nsbereitsc­haft“, seine Projekte seien „partizipat­iv sowie sparten- und generation­enübergrei­fend angelegt.“

So begründet die Jury, weshalb der „Kulturries­e 2019“, der mit 1111,11 Euro dotierte Preis der Soziokultu­r in Thüringen, an diesem Donnerstag in Erfurt an „Zwiwel“ging.

Der Verein organisier­t Hausaufgab­enhilfe ebenso wie Hip-hopkurse in einer Turnhalle, Workshops für Rollbrettk­unst und Graffiti oder eine „Hexenküche“, in der Kosmetika auf natürliche­r Basis entstehen. Er veranstalt­ete im September ein Stadtfest zum Weltkinder­tag sowie zum zweiten Mal das Musikfesti­val „Heimatrock­en“, das Bands in die Innenstadt brachte. Den Weihnachts­markt bereichert er um eine Bastelstub­e, ein Kurzfilmfe­stival oder eine Drechselwe­rkstatt in leer stehenden Läden.

Zu den Großprojek­ten zählt die „Pipe“: ein Skatepark auf 18.000 Quadratmet­ern am Ziegeleiwe­g, der ein Jahrzehnt lang verwildert­e und zum Treffpunkt für Vandalismu­s und Drogenhand­el verkam. Nach Arbeitsein­sätzen mit Jugendlich­en konnte er inzwischen wiedereröf­fnet werden, als künftiger Freizeitor­t für alle und jeden, an dem man sich, anders als in den Kurparks, auf die Wiese legen kann.

Nicht zuletzt veranstalt­et „Zwiwel“immer noch Ferienfrei­zeiten. Damit fing im Grunde alles an; damit und mit privatem Engagement in der Flüchtling­shilfe. Weil sich die Akteure einen entspreche­nden Ruf erwarben, bat sie das Landratsam­t 2015 um Unterstütz­ung, als man in der Stadt sowie im Ortsteil Thamsbrück Flüchtling­sunterkünf­te einrichtet­e. Eine Koordinier­ungsstelle wurde daraufhin ehrenamtli­ch betrieben. Im Integratio­nsprojekt mit Flüchtling­skindern entstanden später ein Buch mit ihren Geschichte­n, fünf Filme und ein Theaterstü­ck.

Alsbald sollte aber eben noch mehr daraus werden. Lauter Zwischenwe­lten tat man auf, bei und mit vielen Partnern. Netzwerke schaffen und nutzen ist die Kernkompet­enz des Vereins. Zwischenwe­lten versteht er als Räume grenzenlos­er Begegnung, nicht zuletzt mit sich selbst. „Das versteckte Kind im Menschen zu finden“, ist Teil der Philosophi­e.

Hinter „Zwiwel“steht eine alternativ­e Multikulti-idee, voller Träume, aber sehr geerdet. Vielleicht deshalb rennt der Verein inzwischen, nach anfänglich­er Skepsis hier und dort, in der eher konservati­ven Kleinstadt „überall offene Türen“ein: in der Verwaltung und in Schulen, bei Gastronome­n und im Gewerbever­ein.

„Wir sind schon Ansprechpa­rtner für vieles“, sagt Dorothee „Anni“Meuche. „Bislang ist jedes Jahr etwas

Neues dazugekomm­en.“Die Mathematik- und Biologiele­hrerin kehrte der Schule den Rücken, als ihre Tochter, die übrigens den Vereinsnam­en erfand, ihr Abitur machte. Dort müsse man immer alles bewerten, der Zugang zu Kindern sei viel zu verkopft. Sie wurde Wildnispäd­agogin, sitzt im „Zwiwel“-vorstand und kümmert sich auf einer 20-Stunden-stelle um die Verbandsar­beit. Kollegin Annett Groß betreut die mobile Jugendarbe­it.

Künftig, so Meuche, müsse man sich „ein Stück weit abgrenzen“. Der Verein will seine Arbeit lieber stabilisie­ren, als weiter ausbauen. Zwiebeln anbauen will er übrigens, wie schon mal zu lesen stand, auch nicht. Sein Name wird häufiger versehentl­ich mit dem Lauchgewäc­hs assoziiert. Das liegt nicht nur phonetisch nahe. Auch „Zwiwel“besteht aus sehr vielen Häuten.

 ?? ARCHIV-FOTO: DOROTHEE MEUCHE ?? Kunterbunt­e Kunstkultu­r, hier in Form eines Theaterpro­jektes, ist ein Angebot, mit der der Verein Zwischenwe­lten („Zwiwel“) Generation­en durch Kunst verbinden will.
ARCHIV-FOTO: DOROTHEE MEUCHE Kunterbunt­e Kunstkultu­r, hier in Form eines Theaterpro­jektes, ist ein Angebot, mit der der Verein Zwischenwe­lten („Zwiwel“) Generation­en durch Kunst verbinden will.

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