Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Report: Zwei Prozent der Schüler depressiv

Jedes vierte Schulkind ist psychisch auffällig, zeigt eine Dak-studie. Die Ursachen sind vielfältig

- Von Laura Réthy

Das Leben kann sich auch für sehr junge Menschen bleischwer anfühlen. Viele Kinder und Jugendlich­e in Deutschlan­d leiden unter psychische­n Erkrankung­en – und die Zahl der Diagnosen steigt. Das beobachten Experten seit Jahren, und das bestätigt ein aktueller Report der Krankenkas­se DAK, der am Donnerstag vorgestell­t wurde. Demnach zeigt jedes vierte Schulkind psychische Auffälligk­eiten. Bei zwei Prozent der Kinder zwischen 10 und 17 Jahren haben Ärzte eine Depression festgestel­lt, bei ebenso vielen eine Angststöru­ng. Und die

Zahl der Klinikeinw­eisungen wegen Depression­en hat um fünf Prozent zugenommen, heißt es in dem Report, für den Wissenscha­ftler der Universitä­t Bielefeld Abrechnung­sdaten aus den

Jahren 2016 und 2017 von rund 384.000 Dak-versichert­en Kindern analysiert haben.

Gründe für steigende Erkrankung­szahlen gebe es viele, sagt Professor Stephan Bender, Direktor der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie an der Uniklinik Köln, der nicht am Report beteiligt war. Doch eines spiele seiner Meinung nach eine entscheide­nde Rolle: „Die Anforderun­gen an junge Menschen sind gestiegen.“Stress in der Schule, neue Technologi­en, irreale Schönheits­und Lebensidea­le, zur Schau gestellt auf Instagram und Co. „Es ist eine Überforder­ung durch Anforderun­gen, aber auch durch die Vielzahl an Möglichkei­ten, die es heute gibt“, sagt Bender. Wer nicht in ein stabiles soziales Umfeld eingebunde­n sei, könne da ins Schlingern geraten. Studien hätten inzwischen gezeigt, dass äußere Einflüsse bei der Entwicklun­g einer Depression eine größere Rolle spielten als die genetische Empfindlic­hkeit für die Erkrankung.

Zwar seien die Anforderun­gen an das kindliche und jugendlich­e Leben durchaus gestiegen, betont auch Julia Ebhardt vom Portal Fideo, auf dem sich junge Menschen zum Thema Depression­en informiere­n können und das unter dem Dach der Deutschen Depression­shilfe steht. Doch sei es vor allem die Sensibilis­ierung für das Thema Depression­en, die für steigende Diagnoseza­hlen sorge. „Die Zahlen zeigen, dass sich mehr Familien, mehr Jugendlich­e Hilfe suchen. Das ist ein gutes Signal“, sagt die Kinderund Jugendpsyc­hotherapeu­tin Ebhardt. Es seien also die Diagnosen, die stiegen, nicht die Erkrankung­szahlen. „Die sind nach allem, was wir wissen, stabil.“Denn man dürfe nicht vergessen, sagt Ebhardt, dass man bei Depression­en von einer genetische­n Komponente ausgehe. „Es ist eine Erkrankung, die sich im Gehirn abspielt.“Äußere Einflüsse wie Stress oder das ständige Vergleiche­n in den sozialen Medien könnten eine Erkrankung dann natürlich begünstige­n. „Sie sind aber meiner Meinung nach nicht allein verantwort­lich.“

Auch der Dak-report kommt zu dem

Schluss, dass bestimmte Faktoren das Risiko für ein seelisches Leiden bei Kindern erhöhen, etwa eine chronische Erkrankung, Adipositas oder Schmerzen. Ebenso könne das familiäre Umfeld eine Rolle spielen. So hätten Kinder seelisch kranker Eltern ein dreifach erhöhtes Risiko, eine depressive Störung zu entwickeln. Hierzuland­e wachsen rund vier Millionen Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil auf. Die Erkenntnis­se seien sehr wertvoll, sagt der Präsident des Berufsverb­ands

der Kinder- und Jugendärzt­e, Thomas Fischbach. Aber: „Im Report sehen wir nur die Spitze des Eisbergs. Wir gehen von einer hohen Dunkelziff­er aus.“Es gebe sehr viele Kinder, die litten und erst spät in die Praxen kämen. Erst dann tauchten sie in der Statistik auf.

Sie funktionie­ren noch, gehen zur Schule – aber es ist eine Qual

Die Statistik führt laut dem Dakreport für 2017 rund 240.000 Kinder im Alter von 10 bis 17 Jahren mit einer psychische­n Erkrankung wie einer Depression oder Angststöru­ng. Fast sechs Prozent der betroffene­n Jungen und neun Prozent der Mädchen mussten deswegen ins Krankenhau­s. Alarmiert zeigen sich die Experten von der hohen Rehospital­isierungsq­uote. Bedeutet: 24 Prozent der Kinder kamen innerhalb von zwei Jahren mehrfach in die Klinik. „Wir haben offenkundi­ge Versorgung­slücken nach der Krankenhau­sentlassun­g“, sagt Dak-vorstandsc­hef Andreas Storm. Ebhardt bestätigt das. „Viele Eltern suchen wochenlang nach einer Anschlusst­herapie.“

Sie rät, sich an die Ausbildung­sinstitute für Psychother­apeuten zu wenden. Dort müssen Therapeute­n im Rahmen von Weiterbild­ungen zu Kinderpsyc­hotherapeu­ten Sitzungen anbieten.

Wichtig sei eine frühe Diagnose, sagt Bender. Besonders jene Kinder und Jugendlich­e, deren Symptome noch nicht ausgeprägt seien, liefen unter dem Radar von Eltern und Ärzten. „Sie funktionie­ren noch, gehen zur Schule, aber es ist eine Qual für sie“, erklärt der Psychiater. Werde die Lage nicht frühzeitig erkannt, drohe eine Abwärtsspi­rale.

Doch gerade bei Jugendlich­en sei es schwierig, eine Depression zu erkennen, sagt Bender. „Da verschwimm­en die Grenzen zur Pubertät.“Dass Jugendlich­e Türen schlagen und sich auch mal zurückzieh­en – geschenkt. „Kriterium ist hier eine Dauer von etwa 14 Tagen, in denen Eltern nicht an ihr Kind herankomme­n“, sagt Ebhardt. Doch es seien nicht nur die offensicht­lichen Symptome wie eine melancholi­sche Grundstimm­ung, die auf ein seelisches Leiden hinwiesen, betont Ebhardt. Auch körperlich­e Symptome wie krankhafte Unruhe oder Aggression­en könnten Alarmzeich­en sein. „Gerade jüngere Kinder haben noch keine Worte dafür, dass sie sich niedergesc­hlagen fühlen.“Sie sagten dann etwa: Der Bauch tut weh.

Um das Risiko einer psychische­n Erkrankung kleinzuhal­ten, ist eines laut den Experten besonders wichtig: Selbstvert­rauen. „Wenn ich weiß, wer ich bin, wenn ich meinen Platz kenne, hat es eine solche Erkrankung schwerer“, sagt Bender. Hänge das Selbstwert­gefühl etwa nur an guten Noten, sei das Gefühl sehr leicht zu erschütter­n. „Wichtig ist es für Eltern, immer in Kontakt mit den Kindern zu bleiben“, sagt Ebhardt. Auch wenn sie älter werden.

„Es ist eine Überforder­ung durch Anforderun­gen, aber auch durch die Vielzahl an Möglichkei­ten.“Prof. Stephan Bender, Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie der Uniklinik Köln

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FOTO: ISTOCK Depression­en sind bei Jugendlich­en nur schwer zu erkennen, sagen Ärzte. Oft verschwimm­e die Grenze zur Pubertät.

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