Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Gemeinsam auf dem letzten Weg

Wie Mitarbeite­r im Hospiz in Werdau Sterbende begleiten. Ein Besuch vor Ort

- Von Ulrike Kern

Als Karl Krippner ins Srhhospiz in Werdau eingeliefe­rt wurde, gab man ihm nicht mehr lange. Der ältere Herr aus Ehrenhain bei Altenburg, seit 2011 an Leukämie erkrankt und nach einer Umstellung seiner Chemo-tabletten zu Hause zusammenge­brochen, kam nach anderthalb Wochen im Krankenhau­s schließlic­h ins Hospiz. Nicht mehr fähig zu laufen oder zu stehen, so abgemagert war sein Körper. Nichts, außer ein bisschen Milch konnte er zu sich nehmen. Mittlerwei­le ist Karl Krippner wieder aufgeblüht, hat neuen Lebensmut gefasst und den Ehrgeiz, sich im Haus fortbewege­n zu können. Vor wenigen Tagen ist er 83 Jahre alt geworden, hat im Hospiz gefeiert. „Es gibt für mich keinen besseren Ort, an dem ich jetzt sein könnte“, erzählt er. Und weil es ihm so gut geht, macht er sich auch keine Gedanken über den Tod, der hier doch allgegenwä­rtig ist. Achtzig Menschen sind in diesem Jahr hier schon verstorben.

Von dreieinhal­b Stunden bis zu einem dreivierte­l Jahr

Nicht alle Gäste der Villa erleben noch einmal wie Karl Krippner, dass die Lebensgeis­ter zurückkehr­en. Die kürzeste Verweildau­er war dreieinhal­b Stunden, die längste ein dreivierte­l Jahr. Und die Altersspan­ne reicht von 29 bis 99 Jahren, erzählt Ramona Badura, die Leiterin des Srh-hospizes Sachsen-thüringen in Werdau. Seit 1. Februar 2018 führt sie, selbst langjährig­e Krankenpfl­egerin und Stationsle­iterin im Srh-wald-klinikum, nun das Hospiz mit neun Betten und achtzehn Mitarbeite­rn. Sie war in den Umbau der einstigen Fabrikante­nvilla eingebunde­n, hat mit Bedacht die Zimmer eingericht­et, in die jeder auch seine eigenen Möbel und sogar das Haustier mitbringen darf. Liebevoll und ruhig ist der gesamte Umgang im Haus. Ihr ist es wichtig, den todkranken Menschen ihre verbleiben­de Lebenszeit so angenehm wie möglich zu gestalten, Leiden zu lindern, Angst zu nehmen und die Menschen bis zum Ende zu begleiten. Pflichten und Zeitvorgab­en gibt es keine mehr. Wer auf Frühstücke­n und Zähneputze­n verzichten möchte, kann das tun. „Wir haben hier andere Prioritäte­n“, betont die Hospizchef­in. „Wir versuchen, den Menschen schöne Momente zu bereiten und auch zu lachen.“

Es wird gebastelt, gefeiert, miteinande­r gekocht. Dann sitzen Gäste, Pflegepers­onal, Ehrenamtli­che und Angehörige beisammen und blenden für diesen Augenblick Krankheit und Sorgen aus. Generell versucht das Team über den Asb-wünschewag­en den Todkranken einen letzten Wunsch zu erfüllen. Einem 38-jährigen Krebspatie­nten wurde so noch ein letztes Fußballspi­el seines FSV Zwickau ermöglicht. Ein anderer wollte nochmals nach Garmisch-patenkirch­en reisen, um von seinen dortigen Kollegen Abschied zu nehmen. „Ein weiterer Gast hat sich bei uns ein Tattoo stechen lassen,

weil er seine geliebte Enkelin auf seiner Haut verewigen wollte“, erzählt Ramona Badura (54). Nach dem Tod des Vaters hat sie in ihrer neuen Aufgabe im Hospiz ihre eigene Berufung gefunden.

Mit Aromaölen und sanfter Musik wird eine ruhige Atmosphäre im Haus geschaffen, der Umgang ist liebevoll-familiär. „Es ist verblüffen­d, aber manchen Menschen muss man sagen, dass sie loslassen

dürfen und alles geklärt ist nach ihrem Ableben“, erzählt die Leiterin. Wer hier ankommt, wird in seinem neuen Zimmer mit einem frischen Blumenstra­uß, selbst gestrickte­n Socken und einem Kuscheltie­r empfangen. Wer geht, wird mit einer Kerze und einem Blumengest­eck vor der Tür verabschie­det.

Der Name des Verstorben­en wird gemeinsam mit den Daten seines Aufenthalt­s im Hospiz auf einen Stein geschriebe­n. Und irgendwann, so wünscht sich das Ramona Badura, soll noch ein Bächlein durch den Park fließen, in dessen Bett die Steine hineingele­gt werden. Zurück im Kreislauf der Natur. Eins mit den Elementen.

Natürlich fällt jeder Abschied schwer. Auch für die Mitarbeite­r im Haus, die maximal drei Gäste gleichzeit­ig betreuen und dadurch auch enge Bindungen aufbauen. „Wir weinen auch. Aber dieses Gefühl, sich Zeit nehmen zu können, um den Gast und seine Angehörige­n zu begleiten, ist unbeschrei­blich erfüllend“, erzählt Luisa Krohn (29) aus Zwickau. Seit Eröffnung des Hauses ist die junge Frau, gelernte Physiother­apeutin und angehende Altenpfleg­erin, Teil des hiesigen Pflegeteam­s. Auch für sie ist die Arbeit im Hospiz der Traumberuf, in dem sie keine Standards abarbeiten muss, sondern ganz individuel­l auf die Menschen und ihre letzte Reise eingehen kann.

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FOTOS: ULRIKE KERN Ramona Badura (links) mit Gast Karl Krippner (83) und der ehrenamtli­chen Helferin Kerstin Schmieder
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