Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Was passiert nach der Wahl in Hongkong?
Am Sonntag finden Kommunalwahlen in der Wirtschaftsmetropole statt. Aktivist Wong fordert: Keine Gewalt
Ausgerechnet ein Zitat von Bruce Lee hat die Protestbewegung Hongkong zum Leitmotiv erhoben: „Sei formlos, ohne Gestalt – so wie Wasser“, lehrt die Kung-fu-legende seinem Schüler in einer Tv-serie aus den 70er-jahren. Diesen Rat haben die Aktivisten bislang konsequent befolgt: Sie agieren weitgehend ohne Führung, vermummen sich in Schwarz und organisieren über verschlüsselte Smartphoneapps spontane Straßenblockaden. Direkte Zusammenstöße mit der Polizei haben sie zunächst vermieden.
Seit November haben die Proteste jedoch an Gewalttätigkeit zugenommen: Demonstranten, die sich zuvor mit ihren Regenschirmen gegen die Tränengaswolken der Polizisten geschützt haben, werfen nun Molotowcocktails und Pflastersteine. Die Sicherheitskräfte gingen mit immer brutalerer Härte vor.
Nach den neuesten Ausschreitungen herrscht in Hongkong gespannte Ruhe. Aber nach den am Sonntag anstehenden Kommunalwahlen könnte sich diese Spannung erneut entladen. Diese wären unter normalen Umständen über die Grenzen der Sonderverwaltungszone hinaus kaum relevant. Schließlich entscheiden die Gemeinderäte vornehmlich über Wohnprojekte oder Parkanlagen. Angesichts der derzeitigen Lage jedoch beobachten internationale Medien mit Argusaugen die Resultate. Und die Demokratiebewegung möchte beweisen, dass ihre Anliegen auch an der Wahlurne Ausdruck bekommen. Nicht zuletzt, weil ihr international bekanntestes Gesicht, Joshua Wong, im Vorfeld von seiner Kandidatur ausgeschlossen wurde.
Unwahrscheinlich, dass China seine Armee aufmarschieren lässt
Der 23-jährige Aktivist rief die Demonstranten zu gewaltlosen Protesten auf. „Machtlose Menschen wie wir möchten nicht auf Gewalt zurückgreifen“, sagte er unserer Redaktion. „Mein Eindruck derzeit ist, dass Hongkonger auch weiter vor extremer Gewalt zurückschrecken. Aber die Möglichkeiten für eine institutionelle Lösung werden weniger.“Die Eskalation der letzten Wochen schrieb Wong Peking zu. „Die jüngsten Auseinandersetzungen der vergangenen Tage sind natürlich stark von Chinas Vorgehen getrieben“, betonte er. „Truppen der Volksbefreiungsarmee sind nicht nur einsatzbereit, sie werden bereits eingesetzt – mit der Begründung, sie würden die Straßen von den Barrikaden befreien.“
Wong appellierte an die Weltgemeinschaft, beim Thema Hongkong Partei zu ergreifen. „Wir brauchen internationalen Druck, damit Chinas aggressives Verhalten noch eingedämmt werden kann. Wenn wir uns nur auf unser eigenes Verhalten verlassen, sind wir schwach und zerbrechlich.“
Mehrere Tote hat der Konflikt bereits gefordert: ein Student etwa, der – möglicherweise auf der Flucht vor Polizisten – von einem Parkhaus gefallen ist. Dennoch bleibt es nach wie vor unwahrscheinlich, dass China seine Volksbefreiungsarmee in der Sonderverwaltungszone aufmarschieren lässt. Die Regierung ist weitsichtig genug, die Konsequenzen einer militärischen Niederschlagung vorherzusehen: Die Welt würde sich an das Massaker vom Tiananmen-platz von 1989 erinnert fühlen, ein massiver Bruch zwischen Washington und Peking wäre die Folge.
Bislang spielt Festland-china vor allem auf Zeit. Die Protestbewegung würde sich, so lautet das Kalkül,
entweder von allein allmählich abschwächen oder aber aufgrund des zunehmenden Vandalismus an Rückhalt innerhalb der Bevölkerung verlieren. Bislang ist jedoch keines der Szenarios eingetreten.
Tatsächlich war Hongkong niemals eine politische Demokratie, doch noch immer genießt die Finanzmetropole gesellschaftlich und kulturell ein hohes Maß an Freiheit. Für Außenstehende mag es befremdlich erscheinen, wieso ein von der Verwaltungschefin Carrie Lam vorgeschlagenes Auslieferungsgesetz für Strafverbrecher nach Festland-china eine solch anhaltende Protestbewegung hervorgebracht hat – zumal einige europäische Staaten ein ganz ähnliches Abkommen mit China haben.
Doch in diesem Konflikt geht es vor allem um ein Versprechen für die Zukunft: Die Hongkonger wollen ihre Freiheit und Autonomie auch die nächsten 30 Jahre genießen. So steht es schließlich im britisch-chinesischen Übergabevertrag niedergeschrieben: Bis 2047 sollen Hongkongs Gerichte, Medien und Handelsbeziehungen weiter autark bestehen bleiben. Seit dem Amtsantritt von Chinas Staatsund Parteichef Xi Jinping im Jahr 2012 hat jedoch die Kommunistische Partei in China wiederholt versucht, ihre Machtansprüche gegenüber Hongkong bereits jetzt auszuweiten.
Die Demokratie-aktivisten kämpfen also gegen die Uhr; einen Kampf, bei dem sie zwar Etappensiege erringen, ihn aber letzten Endes nicht gewinnen können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Protestbewegung nach den dramatischen Uni-besetzungen der letzten Woche erneut aufbäumen wird. Ob „formlos wie Wasser“oder konfrontativ, hängt auch vom Geschick der Lokalregierung und ihrer Polizeibehörden ab.
„Wir brauchen internationalen Druck, damit Chinas aggressives Verhalten noch eingedämmt werden kann.“Joshua Wong, Aktivist in Hongkong