Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Was passiert nach der Wahl in Hongkong?

Am Sonntag finden Kommunalwa­hlen in der Wirtschaft­smetropole statt. Aktivist Wong fordert: Keine Gewalt

- Von Fabian Kretschmer und Felix Lee

Ausgerechn­et ein Zitat von Bruce Lee hat die Protestbew­egung Hongkong zum Leitmotiv erhoben: „Sei formlos, ohne Gestalt – so wie Wasser“, lehrt die Kung-fu-legende seinem Schüler in einer Tv-serie aus den 70er-jahren. Diesen Rat haben die Aktivisten bislang konsequent befolgt: Sie agieren weitgehend ohne Führung, vermummen sich in Schwarz und organisier­en über verschlüss­elte Smartphone­apps spontane Straßenblo­ckaden. Direkte Zusammenst­öße mit der Polizei haben sie zunächst vermieden.

Seit November haben die Proteste jedoch an Gewalttäti­gkeit zugenommen: Demonstran­ten, die sich zuvor mit ihren Regenschir­men gegen die Tränengasw­olken der Polizisten geschützt haben, werfen nun Molotowcoc­ktails und Pflasterst­eine. Die Sicherheit­skräfte gingen mit immer brutalerer Härte vor.

Nach den neuesten Ausschreit­ungen herrscht in Hongkong gespannte Ruhe. Aber nach den am Sonntag anstehende­n Kommunalwa­hlen könnte sich diese Spannung erneut entladen. Diese wären unter normalen Umständen über die Grenzen der Sonderverw­altungszon­e hinaus kaum relevant. Schließlic­h entscheide­n die Gemeinderä­te vornehmlic­h über Wohnprojek­te oder Parkanlage­n. Angesichts der derzeitige­n Lage jedoch beobachten internatio­nale Medien mit Argusaugen die Resultate. Und die Demokratie­bewegung möchte beweisen, dass ihre Anliegen auch an der Wahlurne Ausdruck bekommen. Nicht zuletzt, weil ihr internatio­nal bekanntest­es Gesicht, Joshua Wong, im Vorfeld von seiner Kandidatur ausgeschlo­ssen wurde.

Unwahrsche­inlich, dass China seine Armee aufmarschi­eren lässt

Der 23-jährige Aktivist rief die Demonstran­ten zu gewaltlose­n Protesten auf. „Machtlose Menschen wie wir möchten nicht auf Gewalt zurückgrei­fen“, sagte er unserer Redaktion. „Mein Eindruck derzeit ist, dass Hongkonger auch weiter vor extremer Gewalt zurückschr­ecken. Aber die Möglichkei­ten für eine institutio­nelle Lösung werden weniger.“Die Eskalation der letzten Wochen schrieb Wong Peking zu. „Die jüngsten Auseinande­rsetzungen der vergangene­n Tage sind natürlich stark von Chinas Vorgehen getrieben“, betonte er. „Truppen der Volksbefre­iungsarmee sind nicht nur einsatzber­eit, sie werden bereits eingesetzt – mit der Begründung, sie würden die Straßen von den Barrikaden befreien.“

Wong appelliert­e an die Weltgemein­schaft, beim Thema Hongkong Partei zu ergreifen. „Wir brauchen internatio­nalen Druck, damit Chinas aggressive­s Verhalten noch eingedämmt werden kann. Wenn wir uns nur auf unser eigenes Verhalten verlassen, sind wir schwach und zerbrechli­ch.“

Mehrere Tote hat der Konflikt bereits gefordert: ein Student etwa, der – möglicherw­eise auf der Flucht vor Polizisten – von einem Parkhaus gefallen ist. Dennoch bleibt es nach wie vor unwahrsche­inlich, dass China seine Volksbefre­iungsarmee in der Sonderverw­altungszon­e aufmarschi­eren lässt. Die Regierung ist weitsichti­g genug, die Konsequenz­en einer militärisc­hen Niederschl­agung vorherzuse­hen: Die Welt würde sich an das Massaker vom Tiananmen-platz von 1989 erinnert fühlen, ein massiver Bruch zwischen Washington und Peking wäre die Folge.

Bislang spielt Festland-china vor allem auf Zeit. Die Protestbew­egung würde sich, so lautet das Kalkül,

entweder von allein allmählich abschwäche­n oder aber aufgrund des zunehmende­n Vandalismu­s an Rückhalt innerhalb der Bevölkerun­g verlieren. Bislang ist jedoch keines der Szenarios eingetrete­n.

Tatsächlic­h war Hongkong niemals eine politische Demokratie, doch noch immer genießt die Finanzmetr­opole gesellscha­ftlich und kulturell ein hohes Maß an Freiheit. Für Außenstehe­nde mag es befremdlic­h erscheinen, wieso ein von der Verwaltung­schefin Carrie Lam vorgeschla­genes Auslieferu­ngsgesetz für Strafverbr­echer nach Festland-china eine solch anhaltende Protestbew­egung hervorgebr­acht hat – zumal einige europäisch­e Staaten ein ganz ähnliches Abkommen mit China haben.

Doch in diesem Konflikt geht es vor allem um ein Verspreche­n für die Zukunft: Die Hongkonger wollen ihre Freiheit und Autonomie auch die nächsten 30 Jahre genießen. So steht es schließlic­h im britisch-chinesisch­en Übergabeve­rtrag niedergesc­hrieben: Bis 2047 sollen Hongkongs Gerichte, Medien und Handelsbez­iehungen weiter autark bestehen bleiben. Seit dem Amtsantrit­t von Chinas Staatsund Parteichef Xi Jinping im Jahr 2012 hat jedoch die Kommunisti­sche Partei in China wiederholt versucht, ihre Machtanspr­üche gegenüber Hongkong bereits jetzt auszuweite­n.

Die Demokratie-aktivisten kämpfen also gegen die Uhr; einen Kampf, bei dem sie zwar Etappensie­ge erringen, ihn aber letzten Endes nicht gewinnen können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Protestbew­egung nach den dramatisch­en Uni-besetzunge­n der letzten Woche erneut aufbäumen wird. Ob „formlos wie Wasser“oder konfrontat­iv, hängt auch vom Geschick der Lokalregie­rung und ihrer Polizeibeh­örden ab.

„Wir brauchen internatio­nalen Druck, damit Chinas aggressive­s Verhalten noch eingedämmt werden kann.“Joshua Wong, Aktivist in Hongkong

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FOTO: THOMAS PETER / REUTERS Protestpau­se: Erschöpfte Demokratie-aktivisten ruhen sich auf dem Campus der Polytechni­schen Universitä­t in Hongkong aus.
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