Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Spielarten der Unterdrückung
Peter Konwitschny inszeniert Dessaus „Lanzelot“in Weimar. Ein Proben-gespräch
Als Koproduktion der Theater Erfurt und Weimar feiert diesen Samstagabend am DNT Paul Dessaus letzte Oper „Lanzelot“Premiere. Das Werk, das auf Motiven von Hans Christian Andersen und Jewgeni Schwarz’ „Der Drache“fußt, ist vor allem wegen des enormen Besetzungsaufwandes seit seiner Berliner Uraufführung 1969 nur selten gespielt worden. Wir sprachen mit Peter Konwitschny, dem Weimarer Gastregisseur.
Ist diese Oper noch unerhört?
Es ist leider so, dass in den letzten 50 Jahren nur wenig geschrieben wurde, das dieses Niveau erreicht. Sehr viele Opernwerke seitdem erscheinen mir nur als Design in Bild und Ton. Dessau hingegen nimmt eine Haltung ein, eine Haltung zur Welt – in Tönen ausgedrückt. Das sind nicht nur schöne Klänge. Diese Musik ist stark und sehr sprechend.
Ein sinnliches Erlebnis?
Aber ja! Ich habe mich oft wie Bolle amüsiert, indem ich immer wieder bei einigen Textstellen nachgehört und -gelesen habe, wie Dessau das in Töne umsetzt – oder in Krach. Und Krach ist in diesem Fall unbedingt positiv zu verstehen. Hinzu kommt, dass ich die Dessausche Ambivalenz von Ernst und Heiterkeit verstehe. Ich habe ihn kennengelernt und seine Frau, Ruth Berghaus, meine wichtigste Lehrerin.
Sehen Sie dieses Musikdrama als Lehrstück oder als Märchenoper?
Weder noch. Ein Stück, das uns an Erkenntnis reicher macht, ist kein gutes, wenn es uns nicht zugleich unterhält. Das Stück ist sehr politisch – damals wie heute. Ob mit der Diktatur des Drachen die Hitlers oder die des Kapitalismus gemeint ist, spielt keine große Rolle. Hier geht es um das Verhältnis von Herr und Knecht, also auch um das Volk, das gar nicht will, dass es befreit wird.
Das sich so bequem eingerichtet hat im Status der Unterdrückung? Könnten da auch die Ostdeutschen in der DDR gemeint sein?
Selbstverständlich. Es ist ja ein Ddr-stück. Dessau ist aus dem Exil zurück nach Deutschland und in die DDR gegangen, und über wen soll man ein Stück schreiben, wenn nicht über die Menschen, mit denen man zusammenlebt. Die Welt hat sich seitdem verändert, aber nicht zum Guten. Es ist nur etwas ausgetauscht worden.
Sie sagen das ohne Bitternis?
Das Schöne ist doch, dass im „Lanzelot“unheimlich viel Humor steckt. Paul Dessau war ein wundervoller, humorvoller Mensch. In seiner Oper liegen das Groteske und
Skurrile ganz dicht neben dem Tragischen – so dass wir lachen können, auch wenn es noch so schlimm ist. Brecht wollte, dass wir gebildet werden, indem wir Lust bekommen, Lust auf Veränderung.
Könnten wir es möglicherweise im „Lanzelot“mit einer Retourkutsche Dessaus gegenüber der real existierenden Staatsführung für den „Lukullus“-skandal zu tun haben?
Nee, ich glaube nicht. So haben Paul Dessau und Heiner Müller nicht gedacht. Aber sicher haben die sich auch kaputtgelacht über die eine oder andere Pointe, die sie den Genossen untergejubelt haben. Übrigens finde ich, der „Lukullus“ist die beste Oper von Dessau. Allerdings muss ich auch sagen, je länger ich am „Lanzelot“arbeite, desto mehr kommen mir Zweifel...
Wo bemerken Sie die Handschrift Müllers?
Ich lese im Libretto großartige, gereimte Texte – richtig böse. Müller ist meiner Meinung nach der wichtigste Dramatiker des vorigen Jahrhunderts und der wortgewaltigste, den ich kenne.
Die Menschen zu unterdrücken trotz der ursprünglichen Absicht, ihnen Gutes zu tun: Ist das ein zwangsläufiger Fehler im System? Und ist die Bequemlichkeit, sich unterdrücken zu lassen, ein archaischer psychologischer Mechanismus?
Beides. Der Mensch hat sich die Welt so untertan gemacht, dass wir Gefahr laufen, das Leben überhaupt auszulöschen. Das geschieht nicht einmal durch Kriege, sondern durch Umweltzerstörung. Dies deutet auf einen Fehler in unserem System hin. Dass man sich einrichtet und anpasst an die Verhältnisse, ist andererseits auch überlebenswichtig; sonst würde man sie nicht aushalten und daran zugrunde gehen. Wer sich anpassen kann, überlebt.
Ist es nicht natürlich, dass eine Desorientierung eintritt, sobald die Last der Unterdrückung plötzlich weicht – wie hier mit dem Mauerfall?
Sie sagen es. Auch das finden wir im Stück: wie man sich gegenüber den neuen Verhältnissen, die noch undurchschaubar sind, vorsichtig verhält. Letztlich berührt das die Frage nach der Revolution: Es hat bisher auf längere Sicht keine Revolution gesiegt; nur die Evolution hat immer gesiegt. Das macht mich zum Optimisten – indem ich davon ausgehe, dass über kurz oder lang mit dem Menschen Schluss ist. Ich wäre Pessimist, wenn ich hoffte, dass alles so bliebe, wie es ist.