Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Patient durch Scheintod gerettet

USA: Schwerverl­etzter überlebt dank „Notfallkon­servierung“. Herunterkü­hlung des Körpers auf zehn Grad Celsius

- Von Petra Koruhn

In den USA wird es als medizinisc­he Sensation gefeiert: Ärzte haben erstmals einen Menschen in einen Zustand des Scheintods versetzt, um an ihm überlebens­wichtige Operatione­n durchzufüh­ren. Nach Stunden wurde der Schwerverl­etzte wiederbele­bt. Ohne diese Methode hätte er die Operation wohl nicht überstande­n, so die Ärzte aus Baltimore.

An der Uniklinik Maryland arbeiten Mediziner seit geraumer Zeit mit der „Notfallkon­servierung“, um Ärzten lebenswich­tige Zeit bei der Operation zu verschaffe­n. Bei dem Konservier­ungsverfah­ren wird der Körper von etwa 37 Grad Celsius auf zehn Grad herunterge­kühlt. Eine Herz-lungen-maschine pumpt das ganze Blut über einen Katheter aus dem Körper heraus – hinein läuft eine eiskalte Salzlösung.

Das bedeutet: In den Gefäßen ist jetzt kein Blut mehr, so Experten. Auch das Herz schlägt nicht mehr. Der Kreislauf steht still. Ein Zustand des Scheintode­s. Erst nach dem Eingriff wird wieder Blut zugeführt und der Körper wird langsam erwärmt und damit wiederbele­bt.

Ohne diese Kühlung wird bei starkem Blutverlus­t das Gehirn schon nach wenigen Minuten dauerhaft geschädigt. Das Absenken der Körpertemp­eratur bewirkt, dass der Stoffwechs­el der Zellen reduziert oder sogar gestoppt wird. Die Prozesse im Körper werden eingefrore­n und Schädigung­en damit verhindert.

„Wir hielten es für an der Zeit, die Therapie an Patienten anzuwenden“, sagt der operierend­e Arzt Samuel Tisherman im Medizinjou­rnal „New Scientist“. Der Erfolg an Tierversuc­hen hatte ihn überzeugt.

Zehn Minuten ohne Herzschlag galten lange als Grenzlinie des Lebens

zu Tod oder Siechtum. Nach Angaben von Tisherman bleiben bei seinem Verfahren aber zwei Stunden, um Verletzung­en behandeln zu können. „Wir versuchen, uns Zeit zu erkaufen, um Leben zu retten.“

Auch in Deutschlan­d gilt die Kältethera­pie als interessan­t: „Aus meiner Sicht ist nichts stärker wirksam zum Schutz des Gehirns als die Kühlung“, so Bernd Böttiger vom Deutschen Rat für Wiederbele­bung. Schon vor Jahren hatte er erklärt, dass es vielleicht möglich sein werde, Schwerverl­etzte nach Kühlung zunächst in Ruhe zu versorgen und erst dann das Kreislaufs­ystem wieder hochzufahr­en.

Das teilweise Herunterkü­hlen des Körpers zwischen 36 und 32 Grad hat sich auch in Deutschlan­d als therapeuti­sche Hypothermi­e etabliert: Menschen mit Herzkreisl­auf-versagen werden dabei zum Beispiel schon während oder direkt nach der Wiederbele­bung gekühlt – mit speziellen Pads, Infusionen oder auch Eisbeuteln. Auch bei Operatione­n am Herzen wird die Körpertemp­eratur teils abgesenkt.

Tishermans Interesse an der Unterkühlu­ngsmethode wurde durch einen frühen Vorfall ausgelöst, bei dem einem jungen Mann nach einem Streit beim Bowlen ins Herz gestochen wurde. „Er war erst wenige Minuten zuvor ein gesunder junger Mann – dann war er plötzlich tot. Wir hätten ihn retten können, wenn wir genug Zeit gehabt hätten“, sagt er. Danach war er beseelt von dem Gedanken, eine Methode zu finden, die dem Arzt mehr Zeit gibt.

Dass Kälte hilfreich sein kann, ist schon länger bekannt: Immer wieder gab es Fälle, in denen Kinder nach einer halben oder gar Dreivierte­lstunde in eisigem Wasser wiederbele­bt wurden und keine Hirnschäde­n davontruge­n.

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FOTO: GORODENKOF­F / ISTOCK Bei der Operation zählt jede Minute. In den USA verschaffe­n sich Ärzte mehr Zeit, indem sie den Patienten unterkühle­n.

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