Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Sind E-scooter Datenkrake­n?

Die Tretroller haben sich nach einem halben Jahr in Deutschlan­d etabliert. Doch Verbrauche­rschützer schlagen Alarm

- Von Tobias Kisling

Seit einem halben Jahr düsen sie auf den Straßen der deutschen Innenstädt­e umher, stehen auf Bürgerstei­gen und polarisier­en Fußgänger und Autofahrer gleicherma­ßen: E-scooter. Von den einen werden die Tretroller als nützliche und spaßige Gefährte angesehen, um die letzten Kilometer bis zum Zielort zurückzule­gen. Von den anderen werden sie dafür gehasst, dass sie die ohnehin schon vollen Innenstädt­e weiter verstopfen – und vor allem von Touristen genutzt werden, die nicht selten alkoholisi­ert auf den Scootern unterwegs sind.

Für die Verleiher ist der deutsche Markt umkämpft. Die 2018 gegründete­n deutschen Unternehme­n Tier und Circ konkurrier­en mit der schwedisch­en Firma Voi, der Ubertochte­r Jump und vor allem mit den Marktführe­rn aus Amerika: Lime und Bird haben einen Marktwert von über einer Milliarde Dollar und viel Kapital im Rücken. Reicht es für die Verleiher bei diesem Konkurrenz­druck, nur auf die Einnahmen des Verleihges­chäfts zu setzen?

Apps könnten falsche Informatio­nen senden

Der Hamburger Datenschut­zbeauftrag­te Johannes Caspar hält noch ein weiteres Geschäftsm­odell für denkbar: den Verkauf der Nutzerdate­n. „Bewegungs- und Standortda­ten der Nutzer sind nicht nur für Verleiher, sondern auch für Geschäftsp­artner, Werbetreib­ende und lokale Anbieter von Waren und Dienstleis­tungen von Interesse“, sagte Caspar unserer Redaktion. Er bewertet die Situation der E-scooter als vergleichb­ar mit der der Leihfahrrä­der. Vor knapp zwei Jahren gerieten vor allem chinesisch­e Radverleih­er in die Kritik, Daten von Nutzern auszuwerte­n und zu verkaufen.

Die E-scooter-verleiher selbst bestreiten das Geschäft mit den Daten. „Um es klar zu sagen: Circ verkauft keine Daten“, teilte ein Sprecher von Circ mit. Julian Blessin, Gründer von Tier, sagte unserer Redaktion: „Der Schutz von Nutzerdate­n hat für uns oberste Priorität.“So würden die Daten verschlüss­elt in einer Cloud von Amazon und Google gespeicher­t werden. „Das ist die sicherste Speicherme­thode, die wir so gewährleis­ten können“, sagte Blessin. Für Datenschüt­zer Caspar spricht das aber nicht für die Datensiche­rheit: „Die Daten werden hier einem Us-anbieter übermittel­t, sodass zunächst einmal eine Kontrolle durch nationale Datenschut­zbehörden erschwert ist“, sagt Caspar.

Auch Thorsten Strufe, Professor für Datenschut­z und Datensiche­rheit der Technische­n Universitä­t Dresden, warnt vor einem sorglosen Umgang: „Sharing-anbieter wie E-roller-verleiher wollen Profile erstellen, damit sie Zugang zum Datenmarkt haben – entweder um personalis­ierter werben zu können oder um die Daten zu verkaufen.“

Dass E-scooter-verleiher einen Grundsatz an Daten benötigen, um ihre Leistungen anzubieten, bestreitet Strufe nicht. Doch eine Personalis­ierung und Profilbild­ung sei für dieses Geschäftsm­odell nicht nötig. Daher schlägt Strufe vor, die Apps technisch so zu bearbeiten, dass sie falsche Informatio­nen zur Person liefern. „Diese falschen Informatio­nen würden sich später wieder herausrech­nen lassen, sodass die Güte grundlegen­der Daten der Dienste für die Industrie bestehen bleibt“, sagt Strufe. Lediglich der individuel­le Nutzer sei nicht mehr zuordenbar. Technisch sei das Verfahren problemlos möglich. Aber: „Diese Lösung lehnt die Industrie ab.“

In ihren Datenschut­zerklärung­en räumen sich die E-scooter-verleiher einen Spielraum für den Verkauf von Daten ein. So heißt es etwa bei Lime: „Wir erheben Informatio­nen zu Ihrer Person, wenn wir die

Dienste von Dritten wie etwa Marketingu­nd Werbepartn­ern in Anspruch nehmen.“Tier bettet auf seiner Webseite unter anderem Cookies von Facebook und Google ein, und Voi schreibt, dass personenbe­zogene Daten an „sorgfältig ausgewählt­e“Dienstleis­ter weitergege­ben werden können.

Verbrauche­rschützeri­n kritisiert Zugriff auf Nutzerkont­en

Für Kerstin Hoppe, Rechtsrefe­rentin im Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and, sind die Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen (AGB) und Datenschut­zerklärung­en der Roller-verleiher fragwürdig. „Es gibt den Grundsatz, dass nur Daten verwendet werden dürfen, die für den Vertrag relevant sind“, sagt Hoppe.

Stellt ein Nutzer nach absolviert­er Fahrt den Roller ab, müssten die Anbieter laut Hoppe die Daten eigentlich wieder löschen. Wollen die Anbieter dagegen die Daten speichern, müssten sie von den Kunden eine „wirksame Einwilligu­ng“, also beispielsw­eise eine Email oder eine separate Bestätigun­g erhalten. „Das ausschließ­liche Akzeptiere­n der AGB beinhaltet eine solche wirksame Einwilligu­ng nicht“, sagt Hoppe.

Doch nicht nur das Speichern der Daten stört die Verbrauche­rschützeri­n. Würde es im Zuge der falschen Nutzung zu Forderunge­n von Behörden kommen, beispielsw­eise in Form eines Strafzette­ls, würden einige Anbieter direkt auf das Konto des Nutzers zugreifen und die Kosten automatisc­h begleichen.

„Ich beschäftig­e mich schon lange mit dem Thema, so etwas habe ich aber in Deutschlan­d noch nicht gelesen“, wundert sich Verbrauche­rschützeri­n Kerstin Hoppe und meint: „Es kommt mir auch bei den europäisch­en und deutschen Anbietern nicht so vor, als ob sie deutsche Allgemeine Geschäftsb­edingungen verwendet hätten. Viel eher ähneln sie übersetzte­n amerikanis­chen AGB.“

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FOTO: C. SCHMIDT / DPA E-scooter benötigen Standortda­ten, die eigentlich nach der Fahrt gelöscht werden müssten. Datenschüt­zer warnen, dass dies nicht geschehe.

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