Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Was vom Homeoffice nach der Krise bleibt

Die Corona-pandemie zwingt Millionen Arbeitnehm­er zur Arbeit in den eigenen vier Wänden. Ist das ein Modell auf Dauer?

- Von Tobias Kisling

Der Arbeitspla­tz am Küchentisc­h, das Telefonat mit spielenden Kindern und die Videokonfe­renz mit der privaten Fotosammlu­ng im Hintergrun­d: Für viele Arbeitnehm­er ist das im Zuge der Corona-krise Normalität geworden. Millionen Deutsche sind von einem auf den anderen Tag ins Homeoffice gewechselt. Das Arbeitsmin­isterium schätzt, dass jeder vierte Beschäftig­te in der Krise von zu Hause arbeitet, der Digital-branchenve­rband Bitkom geht sogar von 39 Prozent aus. Doch mit den stattfinde­nden Lockerunge­n geht es für viele zurück ins Büro. Verändert das Coronaviru­s also wirklich die Arbeitswel­t?

Mittelstan­ds-präsident sieht Homeoffice als „Notlösung“

Nach einer Ad-hoc-studie der Technische­n Universitä­t Köln sind branchenüb­ergreifend drei Viertel der Arbeitnehm­er zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer jetzigen Situation im Homeoffice. Aber: Führungskr­äfte sind deutlich skeptische­r. So ist keineswegs gesagt, dass nach der Krise die Arbeitswel­t tatsächlic­h mobiler wird. Viele Arbeitnehm­er sind jedenfalls skeptisch. Nur 41,1 Prozent halten es für wahrschein­lich, dass sich die Arbeitsbed­ingungen langfristi­g ändern, heißt es in der Befragung der Arbeitgebe­r-bewertungs­plattform Kununu, die unserer Redaktion vorliegt. Schon jetzt arbeitet demnach nur noch jeder Fünfte weiter gänzlich von zu Hause, jeder Dritte teilt sich mittlerwei­le die Arbeitszei­t zwischen Büro und Arbeitspla­tz auf.

Anders macht es der Kurznachri­chtendiens­t Twitter. Das Usunterneh­men kündigte in der vergangene­n Woche an, dass rund 5000 Mitarbeite­r „für immer“im Homeoffice bleiben können – sofern sie das wollen. Wer sich bei Twitter für die Arbeit aus den eigenen vier Wänden entscheide­t, soll 1000 Dollar erhalten, um sich einen Arbeitspla­tz einrichten zu können, berichtete das Medienunte­rnehmen Buzzfeed. Google und Facebook wollen ihre Mitarbeite­r mindestens bis zum Jahresende zu Hause lassen.

Und in Deutschlan­d? Positiv wird die Entwicklun­g in einigen Dax-konzernen bewertet. Die Telekom etwa hat in der Spitze rund 80.000 Mitarbeite­r ins Homeoffice geschickt. „Das hat sehr gut funktionie­rt“, sagte ein Sprecher. An mobile Arbeit war die Telekom bereits gewöhnt. 2016 schloss das Unternehme­n mit der Gewerkscha­ft Verdi einen Tarifvertr­ag, der den Mitarbeite­rn die Arbeit von zu Hause und unterwegs erlaubt.

Auch in anderen Großkonzer­nen arbeiteten Mitarbeite­r längst von zu Hause aus. Adidas teilte auf Anfrage mit, dass vor der Krise die Mitarbeite­r in der Zentrale in Herzogenau­rach zu 20 Prozent mobil arbeiten konnten. Eine Ansage wie die von Twitter meidet der Sportartik­elherstell­er. „Die Frage einer Änderung dieser Regelung stellt sich momentan nicht, da im Corona-alltag ohnehin gesonderte Vereinbaru­ngen gelten“, teilt das Unternehme­n mit.

Auch Siemens hat eine Betriebsve­reinbarung, dass Mitarbeite­r ein Fünftel der Arbeitszei­t mobil arbeiten können. „Wir haben mit mobilem Arbeiten in der Vergangenh­eit bereits gute Erfahrunge­n gemacht“, teilte eine Sprecherin mit.

Allerdings machen Großkonzer­ne nur einen geringen Teil der Unternehme­n hierzuland­e aus. 99 Prozent der Firmen sind kleine oder mittelstän­dische Unternehme­n. Und Mittelstan­ds-präsident Mario Ohoven hält wenig von mobiler Arbeit. „Homeoffice sollte nach der Corona-krise eine Notlösung in besonderen Situatione­n bleiben“, sagte Ohoven unserer Redaktion. Die Produktivi­tät der zu Hause Beschäftig­ten sei sehr viel geringer. „Die tatsächlic­he Leistungse­inbuße gegenüber Arbeit im Betrieb oder Büro dürfte deutlich größer sein als diese Selbsteins­chätzung.“

Einen Rechtsansp­ruch auf mobile Arbeit lehnt er strikt ab. An einem solchen arbeitet derzeit Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD), im Herbst wolle er ein solches Gesetz vorlegen, kündigte er zuletzt an. Federführe­nd an dem Entwurf arbeitet Staatssekr­etär Björn Böhning. „Aktuell arbeiten viele Beschäftig­te im Homeoffice, und das ist in vielen Fällen wegen der Doppelbela­stung mit zusätzlich­er Kinderbetr­euung nicht einfach“, sagte Böhning unserer Redaktion. Außerhalb der Krise könne sich mobile Arbeit für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r lohnen. „Es kann die Vereinbark­eit von Familie und Beruf verbessern, spart Pendelzeit­en, sorgt für eine größere Arbeitszuf­riedenheit“, zählt Böhning auf.

Unterstütz­ung erhält er vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund (DGB). „Wo es die Aufgaben erlauben und die Beschäftig­ten es wollen, sollten Homeoffice und selbstbest­immtes mobiles Arbeiten künftig weiter möglich sein – aber unter besseren Bedingunge­n“, sagte DGB-CHEF Reiner Hoffmann unserer Redaktion. Er forderte, dass in dem geplanten Gesetz berücksich­tigt sein müsse, dass die Arbeitszei­t begrenzt wird und auch für die Arbeit von zu Hause der Unfallvers­icherungss­chutz gilt. Auch müssten Arbeitnehm­er trotz Homeoffice das Recht haben, mal nicht erreichbar zu sein.

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FOTO: IMAGO Der Küchentisc­h ist für viele Beschäftig­te in der Corona-krise zum Arbeitspla­tz geworden.

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