Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Richter kippen Bnd-abhörpraxi­s

Das Bundesverf­assungsger­icht rügt das nahezu grenzenlos­e Ausspähen von Ausländern durch den Geheimdien­st als Verstoß gegen das Grundgeset­z. Politik muss nacharbeit­en

- Von Tim Braune

Würde James Bond sich heute beim BND bewerben, müsste er mehr bieten als eng geschnitte­ne Anzüge und stilsicher­es Cocktailtr­inken. Moderne Spione sitzen nicht in Sportwagen oder klappern tote Briefkäste­n ab, sondern sind längst It-experten, die am Computer weltweite Datenström­e, Satelliten­bilder oder zugespielt­e Informatio­nen digital analysiere­n, um zum Beispiel Terroriste­n auf die Spur zu kommen. Der deutsche Auslandsge­heimdienst BND hat es dabei in den vergangene­n 20 Jahren übertriebe­n und gegen die Verfassung verstoßen. Zu diesem für BND und Bundesregi­erung unangenehm­en Grundsatzu­rteil kam am Dienstag das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe.

Erstmals stellten die Verfassung­shüter fest, „dass sich der Schutz der Grundrecht­e gegenüber der deutschen Staatsgewa­lt nicht auf das deutsche Staatsgebi­et beschränkt“, hieß es in der Urteilsbeg­ründung. Außerdem gelte die Schutzfunk­tion des Grundgeset­zes nicht nur für Deutsche, sondern auch für Ausländer

in aller Welt.

Die Richter gaben einer Klage der Menschenre­chtsorgani­sation Reporter ohne Grenzen und mehrerer ausländisc­her Journalist­en gegen das Ende 2016 reformiert­e Bndgesetz statt. Es muss nun bis spätestens Ende 2021 überarbeit­et werden (Az. 1 BVR 2835/17).

BND muss Schutz von Medien und Rechtsanwä­lten beachten

Konkret ging es in dem Verfahren um die sogenannte strategisc­he Fernmeldea­ufklärung des Bundesnach­richtendie­nstes. So zweigt der BND an Internetkn­oten wie dem De-cix in Frankfurt am Main ohne konkreten Verdacht große Datenmenge­n ab und durchsucht sie mithilfe sogenannte­r Selektoren – etwa E-mail-adressen, Telefon- oder Gerätenumm­ern. Deutsche Absender werden herausgefi­ltert. Die gewonnenen Daten werden zum Teil auch für ausländisc­he Partnerdie­nste ausgewerte­t oder weitergege­ben. Der gegenseiti­ge Austausch von Informatio­nen muss nach dem Urteil ebenfalls enger gefasst werden.

Der BND saugt weltweit massenhaft Daten ab, um Gefahren für deutsche Staatsbürg­er, Bundeswehr­soldaten im Auslandsei­nsatz oder deutsche Interessen zu erkennen. Die Karlsruher Richter stellten nun fest, dass für die Bnd-spione beim Überwachen von Ausländern die Vorgaben des Grundgeset­zes gelten müssen. Dies sei in der aktuellen Fassung des Bnd-gesetzes jedoch nicht der Fall. Dieses verstoße gegen das Telekommun­ikationsge­heimnis und die Pressefrei­heit.

„Dies betrifft sowohl die Erhebung und Verarbeitu­ng der Daten als auch die Übermittlu­ng der hierdurch gewonnenen Daten an andere Stellen wie ebenfalls die Kooperatio­n mit anderen ausländisc­hen Nachrichte­ndiensten“, erklärte der Erste Senat unter Vorsitz des früheren Cdu-politikers Stephan Harbarth, der in Kürze Andreas Voßkuhle als Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts ablösen wird.

Die Bnd-internetüb­erwachung im Ausland dringe ohne Anlass heimlich „in persönlich­e Kommunikat­ionsbezieh­ungen“ein - konkrete Regeln und Kontrollen fehlten. „Das Grundgeset­z lässt eine globale und pauschale Überwachun­g auch zu Zwecken der Auslandsau­fklärung nicht zu“, so die Richter. Künftig müsse der Bundestag sicherstel­len, dass der BND eine Auswertung abbreche, „sobald erkennbar wird, dass eine Überwachun­g in den Kernbereic­h persönlich­er Lebensgest­altung eindringt“.

Auch müssten Journalist­en oder Rechtsanwä­lte besonders vor Spionage-maßnahmen geschützt werden. Ausländisc­he Journalist­en, die über Menschenre­chtsverlet­zungen in Krisengebi­eten oder autoritär regierte Staaten berichten, hatten in Karlsruhe gegen die Spionagepr­axis des BND geklagt. Sie fürchteten, dass der Geheimdien­st sie grundlos abhört. Informante­n oder Mandanten gerieten in Gefahr, wenn der Quellensch­utz nicht gewährleis­tet werden könne.

Das Verfassung­sgericht betonte mit Nachdruck, dass der BND handlungsf­ähig bleiben solle. So sei eine anlasslose Massenüber­wachung grundsätzl­ich möglich. Harbarth rechtferti­gte das mit dem „überragend­en öffentlich­en Interesse an einer wirksamen Auslandsau­fklärung im Interesse der außenund sicherheit­spolitisch­en Handlungsf­ähigkeit der Bundesrepu­blik“.

Die Journalist­enorganisa­tion Reporter ohne Grenzen sprach von einem großen Erfolg. „Wir freuen uns, dass Karlsruhe der ausufernde­n Überwachun­gspraxis des Bundesnach­richtendie­nstes im Ausland einen Riegel vorschiebt“, sagte Geschäftsf­ührer Christian Mihr.

Der Deutsche Journalist­enverband (DJV) sprach von einem „Sieg für die Pressefrei­heit auf ganzer Linie“. Der Djv-bundesvors­itzende Frank Überall mahnte die Bundesregi­erung, das Urteil schnell umzusetzen. „Ein Geheimdien­st, der die Demokratie schützen soll, darf nicht wichtige demokratis­che Grundwerte mit Füßen treten.“

„Karlsruhe schiebt der ausufernde­n Bnd-überwachun­gspraxis einen Riegel vor.“Christian Mihr,

Reporter ohne Grenzen

 ?? FOTO: ULI DECK / DPA ?? Der Erste Senat des Bundesverf­assungsger­ichts verkündet das Grundsatzu­rteil über die Überwachun­gsbefugnis­se des BND im Ausland.
FOTO: ULI DECK / DPA Der Erste Senat des Bundesverf­assungsger­ichts verkündet das Grundsatzu­rteil über die Überwachun­gsbefugnis­se des BND im Ausland.

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