Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Kinderheim-mitarbeite­r an Grenzen

Reisersche­s Tal: Beschäftig­te sind Eltern-ersatz, Lehrer und Freizeitge­stalter

- Von Sabine Spitzer

Ein paar Kinder dürfen über Himmelfahr­t ihre Eltern besuchen. Er ist das erste Mal seit Ausbruch der Corona-pandemie. Das bedeutet wieder ein Stück Normalität im Kinderheim Reisersche­s Tal in der Unstruttal-gemeinde Reiser. Denn wie überall gilt dort das Kontaktver­bot. Die Mitarbeite­r freuen sich, dass es nun gelockert wird. Sie sind derzeit nicht nur Eltern-ersatz, sondern zugleich auch Lehrer, Erzieher und Freizeitge­stalter.

„Das ist eine 24-Stunden-betreuung und das sieben Tage in der Woche“, berichten Einrichtun­gsleiterin Bettina Weber und ihre Stellvertr­eterin Aileen Braun. Eine Situation, die das Heim an die Grenzen bringt. 18 Kinder und Jugendlich­e im Alter von drei bis 16 Jahren sind derzeit im Reisersche­n Tal, das ein stationäre­s Heim des Priorats für Kultur und Soziales ist. „Das ist eine besondere Herausford­erung“, informiere­n Weber und Braun.

Drei Kinder sind im Kita-alter. Der Rest sind Schüler aus Grund-, Förder- und Regelschul­e. „Den meisten fehlt die Lerntechni­k“, sagen die beiden. Heißt: Den Schülern fällt es schwer, selbststän­dig zu lernen. Daher wurden die Kinder und Jugendlich­en nach Schulform aufgeteilt, damit ihnen die Heimmitarb­eiter den neuen Lernstoff vermitteln konnten. „Wir sind keine

Fachlehrer und uns fehlt auch die Didaktik“, verweisen Weber und Braun auf die Probleme vor denen die Mitarbeite­r stehen. Die Arbeit hat sich im Heim verändert. „Wir haben statt Kurzarbeit Mehrarbeit“, so die beiden. Die Teams mussten ihre Abläufe ändern.

Externe Essensvers­orgung soll Vorwurf der Hamsterkäu­fe vorbeugen

Die interne Förderlehr­erin, die sonst nur Hausaufgab­enbetreuun­g machte, wurde voll integriert. Und Hilfskräft­e, wie die Angestellt­e im Bundesfrei­willigendi­enst in der Kindergart­en-betreuung, wurden eingesetzt.

Auch musste das Heim die Technik aufrüsten, weil einige Schulen mit der Schul-app arbeiten. Für jede der drei Gruppen wurde ein Laptop angeschaff­t. „Für das Berichtsch­reiben gibt es inzwischen kaum noch Zeit“, sagen die Leiterin und ihre Stellvertr­eterin. Sogenannte Hilfeplang­espräche werden per Video geführt. „Die Entscheidu­ngen dort sind teilweise lebensents­cheidend“, so Weber und Braun. Sie hoffen daher, dass bald diese bald wieder persönlich geführt werden können.

Auch die Freizeitge­staltung sei keine leichte Aufgabe. Weil Vereine, in denen einige Kinder aktiv sind, nicht arbeiten können, fehlt den

Kindern und Jugendlich­en der körperlich­e Ausgleich. „Hier haben wir wenigstens schöne Natur“, so Weber und Braun. Neben Spaziergän­gen wird in Kleingrupp­en Fahrrad gefahren sowie die Basket- und Volleyball gespielt. Der Kontakt zu den Eltern erfolgte bisher über Videotelef­onate und Briefe.

„Die Kinder und Jugendlich­en sind sehr verständni­svoll, es gab kein Klagen“, berichtet Weber. Und sie ist stolz auf ihre Kollegen. Sie würden viele Arbeiten sogar in ihrer Freizeit erledigen. „Was hier geleistet wird, ist unglaublic­h“, sagt sie.

Dieser Ansicht ist auch Maria Stecher von der Priorat-geschäftsf­ührung. „Man hatte bisher das Gefühl, dass die Heime vergessen wurden“, sagt sie. Denn die damit verbundene­n Berufe wurden erst später als systemrele­vant anerkannt. Und sie hofft, dass das Land das Verspreche­n einhält, die Beschäftig­en der Heime als Anerkennun­g zu unterstütz­en. „Da muss ein Zeichen kommen“, sagt sie.

Das Priorat betreibt im Landkreis vier Heime in fünf Häusern, wo rund 100 Kinder und Jugendlich­e betreut werden. Alle wurden auf externe Essensvers­orgung umgestellt. „Wir wollten die Mitarbeite­r vor dem Hintergrun­d der Hamsterkäu­fe keiner Gefahr und Anfeindung­en aussetzen“, sagt sie. Denn der Einkauf für das Heim in Reiser allein umfasst drei volle Einkaufswa­gen.

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FOTO: SABINE SPITZER Auch im Reisersche­n Tal sind bemalte Steine als Zeichen der Hoffnung entstanden. Maria Stecher, Bettina Weber und Aileen Braun (von links) präsentier­en die kleinen Kunstwerke.

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