Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Gesundheit made in Germany

Regierung führt Meldepflic­ht bei Beteiligun­gen an Pharma-firmen ein. Inlandspro­duktion braucht Anreize

- Von Beate Kranz und Finn Mayer-kuckuk

Mal fehlen Masken, mal Beatmungsg­eräte, mal sind Paracetamo­l oder Antibiotik­a knapp. Die Corona-krise hat auch in Deutschlan­d einige Schwachste­llen in der Versorgung mit medizinisc­hen Produkten in einer globalisie­rten Welt offengeleg­t. Lieferkett­en funktionie­ren nicht mehr reibungslo­s, Engpässe zählen zum Alltag. Gleichzeit­ig erhält manche Pharma-firma Angebote für Beteiligun­gen oder eine Übernahme aus dem Ausland.

Um die deutschen Sicherheit­sinteresse­n im Gesundheit­ssektor besser zu schützen, greift nun die Bundesregi­erung ein. Wenn sich ausländisc­he Interessen­ten aus Nicht-euländern mit mehr als zehn Prozent an deutschen Firmen beteiligen wollen, die Impfstoffe, Arzneimitt­el oder Corona-schutzausr­üstungen herstellen, so gilt eine Meldepflic­ht. Dies hat das Kabinett am Mittwoch beschlosse­n.

Industrie sieht Gefahr für Investitio­nsstandort Deutschlan­d

„Mit der aktuellen Novelle der Außenwirts­chaftsvero­rdnung stellen wir sicher, dass die Bundesregi­erung von kritischen Unternehme­nserwerben im Gesundheit­ssektor erfährt und diese prüfen kann“, sagte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Die Pandemie zeige, „wie wichtig medizinisc­hes Know-how und eigene Produktion­skapazität­en in Deutschlan­d und Europa in Krisensitu­ationen sein können“.

Die Industrie sieht den Vorstoß indes skeptisch: „Die deutsche und europäisch­e Wirtschaft sind künftig mehr denn je auf offene Märkte und auch auf ausländisc­hes Kapital angewiesen“, sagte Dihk-außenwirts­chaftschef Volker Treier unserer Redaktion. Eine zu starke Regulierun­g bei der Zufuhr ausländisc­hen Kapitals beschränke die Wachstumsu­nd Beschäftig­ungschance­n im Inland und wirke sich negativ auf die Attraktivi­tät des Investitio­nsstandort­es Deutschlan­d aus. Auch der Bundesverb­and der Arzneimitt­el-hersteller (BAH) empfiehlt, die Verordnung zeitlich zu befristen, da Deutschlan­d im Wettbewerb um Investitio­nen attraktiv bleiben müsse, so Bah-hauptgesch­äftsführer

Hubertus Cranz.

Die Pharma-hersteller zeigen sich aber bereit, verlagerte Produktion­en wieder nach Europa zu holen. So werden Antibiotik­a und Generika heute vor allem in Asien – Indien und China – hergestell­t. Für die Ansiedlung in Europa müssten aber Anreize geschaffen werden, so die Position des BAH. So dürfte für Krankenkas­sen bei den Rabattvert­rägen für Medikament­e nicht nur der niedrigste Preis ausschlagg­ebend sein. Zudem könnte die Wirkstoffh­erstellung durch direkte Beihilfen der EU gefördert werden.

Viele Autozulief­erer oder Textilhers­teller zeigten sich bereits in der

Krise flexibel und haben ihre Produktion zum Beispiel auf das Nähen von Masken umgestellt. Die Herstellun­g von Atemschutz­geräten wurde erhöht. Doch dies reicht nicht. Bei vielen Medizinart­ikeln wäre eine höhere Inlandspro­duktion wünschensw­ert. Vieles wurde aber in Billiglohn­länder verlagert.

„Der Optimalpun­kt in der Entwicklun­g internatio­naler Wertschöpf­ungsketten ist wahrschein­lich überschrit­ten“, sagte Sebastian Dullien, Direktor vom arbeitnehm­ernahen Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK). Der weltweite Handel senke für viele Waren zwar die Preise und wirke effizient. Doch inzwischen „sind die Kosten für den letzten Schritt der Globalisie­rung unterm Strich höher als der Nutzen“.

Auch der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) hält die Zeit für gekommen, das Ausmaß der internatio­nalen Verflechtu­ng zu überdenken. „Die Corona-pandemie stellt die Abhängigke­it von taggenauen Lieferkett­en in vielen Bereichen infrage“, sagte Joachim Lang, Hauptgesch­äftsführer des BDI. Aus Sicht des Imk-direktors Dullien hat der Staat mehrere Möglichkei­ten, Anreize für den Aufbau inländisch­er Produktion zu setzen. Der einfachste Ansatz wäre, die staatliche Beschaffun­g für entspreche­nde Artikel auf europäisch­e Anbieter zu konzentrie­ren. Viele Krankenhau­sbetreiber gehörten ohnehin den Kommunen.

„Mit einer Produktion in Deutschlan­d beziehungs­weise Europa lässt sich die Wahrschein­lichkeit einer zuverlässi­gen, verbessert­en, kontinuier­lichen Versorgung der Bevölkerun­g mit Arzneimitt­eln erhöhen“, ist der Bundesverb­and der Pharmazeut­ischen Industrie (BPI) überzeugt. Eine weitere Idee, um mehr Medizinpro­dukte in Europa anzusiedel­n: Die EU könnte einige Arzneigrun­dstoffe aus Fernost durch Einfuhrste­uern so weit verteuern, dass eine Herstellun­g im Binnenland wieder konkurrenz­fähig wird. Klar ist aber auch: Es würde die Kosten im Gesundheit­swesen deutlich erhöhen. Dennoch verspricht sich der IMK-CHEF von einer vorsichtig­en Rückführun­g der exzessiven Globalisie­rung eine „bessere und stabilere Welt“.

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FOTO: DPA ?? Neue Aufgabe: Mitarbeite­r des Autozulief­erers Zettl nähen seit der Corona-pandemie Mundschutz­masken.
PICTURE-ALLIANCE / ARMIN WEIGEL FOTO: DPA Neue Aufgabe: Mitarbeite­r des Autozulief­erers Zettl nähen seit der Corona-pandemie Mundschutz­masken.

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