Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Theaterliebe in Zeiten von Corona
Meiningen eröffnet die nächste Saison im September und Oktober mit Sonderspielplan
Die private Paarbeziehung bekommt auf der Theaterbühne plötzlich hohe Konjunktur und ist jedenfalls von Vorteil für alle Beteiligten. Die Meininger Schauspieler Anja Lenßen und Vivian Frey zum Beispiel können sich dort distanzlos begegnen: weil sie verheiratet sind. Also spielen sie demnächst Misses und Mister Antrobus, das Ehepaar in Thornton Wilders Katastrophen-allegorie „Wir sind noch einmal davongekommen“von 1942, die nach 1945 auf deutschen Bühnen Hochkonjunktur hatte.
Schauspielchef Tobias Rott hatte das ohnehin geplant, für die Kammerspiele. Nun findet dieser Überlebensdreisprung von Eiszeit, Sintflut und Krieg also im großen Haus statt, aktuell aufgeladen durch die besonderen Umstände dieser Tage.
Das ist eine von sieben coronatechnisch überprüften und genehmigungsfähigen Premieren, die das Meininger Staatstheater für den Beginn der Spielzeit 2020/21 neu oder umprogrammierte. „Wir werden die Termine weitgehend halten können“, sagt Ansgar Haag über den ursprünglichen Plan und das angeschlossene Abonnementsystem für seine siebzehnte und letzte Saison als hiesiger Intendant. Nur ein paar Stücke ändern sich. Einiges kommt auch später, anderes gar nicht mehr. Richard Wagners Oper „Der fliegender Holländer“hatte es gerade noch bis zur ersten Hauptprobe geschafft, bevor im März Corona zuschlug. Die Aufführungen sollen neu angesetzt werden, sobald Chor und Orchester wieder in voller Stärke mitmischen dürfen. Später will man die Inszenierung auch am Landestheater Eisenach zeigen.
Ballettabend aus Eisenach mit dreißig Soli und Doppel-pas-de-deux zu Bach
Von dort kommt im Oktober zunächst ein Ballettabend, der Corona-regeln spielend einhält – und zuvor in Eisenach Premiere feiert.
Andris Plucis, der sich ursprünglich Vivalidis „Vier Jahreszeiten“vornahm, will in seiner Choreografie „Wir“gesellschaftliche Abstandsund doch auch Solidaritätsgebote kommentieren, ohne das krampfhaft zu thematisieren. Zu Bachs dreißig Goldberg-variationen wird es lauter Soli geben, in der Mitte aber ein doppeltes Pas de deux zur Chaconne; denn im Tänzerensemble gibt es auch zwei private Paare.
Man will und wird also wieder spielen. Wirtschaftlicher wäre es zwar, das Haus geschlossen zu lassen, zumal es durch Kurzarbeit bis Ende des Jahres durchfinanziert wäre. Diese Einschätzung Haags, gleichsam pars pro toto gesprochen im Namen aller Thüringer Bühnen, trifft aber zugleich auf den Widerstand desselben sowie aller Intendanten. Die Staatskanzlei stimmt dem zu und stellt den Häusern zusätzlich insgesamt bis zu neun Millionen Euro zur Verfügung.
Haag zum Beispiel rechnet vorsichtig mit Einnahmeverlusten von 900.000 Euro brutto. Allerdings habe er bislang schon Spendenquittungen im Gesamtwert von 250.000 Euro ausgestellt, für Zuschauer, die ihr Geld für ausgefallene Aufführungen nicht zurück wollten.
Schätzungen und Spekulationen sind ohnehin gerade tägliches Geschäft. Könnte sein, ins große Haus dürfen zunächst nur weniger als 200 Zuschauer, in die Kammerspiele sechzig bis achtzig. Aber das muss man der jeweiligen Lage anpassen, auch wenn das Staatstheater gerade neue Klimatechnik installiert. Deshalb gibt es einerseits auch eine neu durchgeplante Spielzeit, andererseits aber erstmal eine konkrete Planung nur für September und Oktober, fünf Wiederaufnahmen und vier Sonderkonzerte inklusive.
Besucher werden Mund-nasenschutze beim Einlass und im Foyer tragen müssen, auf ihren Plätzen aber nicht. Dafür kommen diese, als aktueller Regiekommentar, auf der Bühne vor: in Konstantin Küsperts revuehafter Groteske „Sklaven Leben“, der Rassismusdebatte und „Black Lives Matters“-bewegung zusätzlich Gewicht verleihen.
Haag selbst inszeniert zunächst anstatt der geplanten Shakespearevertonung „The Tempest“(Der Sturm) Luke Bedfords 2014 in London uraufgeführte Kammeroper „Through his teeth“. Der Opernpsychokrimi über eines von vielen Opfer eines skrupellosen Frauenverführers und -vernichters braucht vier Sänger und neun Musiker.
Dass einer im Zweifelsfall lieber mit der Geldkassette als einer Frau ins Bett steigt, ist zwar wenig erfreulich, erfreut aber vielleicht das Gesundheitsamt. Insofern kann die Carl-sternheim-komödie „Die Kassette“von 1910 die Saison am 11. September problemlos eröffnen. Ohnehin sind gestörte Paarbeziehung oft genug das Brot der Bühne.
„Wirtschaftlicher wäre es, das Haus nicht zu öffnen. Aber das kann ja nicht die Aufgabe von Kultur sein.“
Ansgar Haag Intendant in Meiningen