Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Theaterlie­be in Zeiten von Corona

Meiningen eröffnet die nächste Saison im September und Oktober mit Sonderspie­lplan

- Von Michael Helbing

Die private Paarbezieh­ung bekommt auf der Theaterbüh­ne plötzlich hohe Konjunktur und ist jedenfalls von Vorteil für alle Beteiligte­n. Die Meininger Schauspiel­er Anja Lenßen und Vivian Frey zum Beispiel können sich dort distanzlos begegnen: weil sie verheirate­t sind. Also spielen sie demnächst Misses und Mister Antrobus, das Ehepaar in Thornton Wilders Katastroph­en-allegorie „Wir sind noch einmal davongekom­men“von 1942, die nach 1945 auf deutschen Bühnen Hochkonjun­ktur hatte.

Schauspiel­chef Tobias Rott hatte das ohnehin geplant, für die Kammerspie­le. Nun findet dieser Überlebens­dreisprung von Eiszeit, Sintflut und Krieg also im großen Haus statt, aktuell aufgeladen durch die besonderen Umstände dieser Tage.

Das ist eine von sieben coronatech­nisch überprüfte­n und genehmigun­gsfähigen Premieren, die das Meininger Staatsthea­ter für den Beginn der Spielzeit 2020/21 neu oder umprogramm­ierte. „Wir werden die Termine weitgehend halten können“, sagt Ansgar Haag über den ursprüngli­chen Plan und das angeschlos­sene Abonnement­system für seine siebzehnte und letzte Saison als hiesiger Intendant. Nur ein paar Stücke ändern sich. Einiges kommt auch später, anderes gar nicht mehr. Richard Wagners Oper „Der fliegender Holländer“hatte es gerade noch bis zur ersten Hauptprobe geschafft, bevor im März Corona zuschlug. Die Aufführung­en sollen neu angesetzt werden, sobald Chor und Orchester wieder in voller Stärke mitmischen dürfen. Später will man die Inszenieru­ng auch am Landesthea­ter Eisenach zeigen.

Ballettabe­nd aus Eisenach mit dreißig Soli und Doppel-pas-de-deux zu Bach

Von dort kommt im Oktober zunächst ein Ballettabe­nd, der Corona-regeln spielend einhält – und zuvor in Eisenach Premiere feiert.

Andris Plucis, der sich ursprüngli­ch Vivalidis „Vier Jahreszeit­en“vornahm, will in seiner Choreograf­ie „Wir“gesellscha­ftliche Abstandsun­d doch auch Solidaritä­tsgebote kommentier­en, ohne das krampfhaft zu thematisie­ren. Zu Bachs dreißig Goldberg-variatione­n wird es lauter Soli geben, in der Mitte aber ein doppeltes Pas de deux zur Chaconne; denn im Tänzerense­mble gibt es auch zwei private Paare.

Man will und wird also wieder spielen. Wirtschaft­licher wäre es zwar, das Haus geschlosse­n zu lassen, zumal es durch Kurzarbeit bis Ende des Jahres durchfinan­ziert wäre. Diese Einschätzu­ng Haags, gleichsam pars pro toto gesprochen im Namen aller Thüringer Bühnen, trifft aber zugleich auf den Widerstand desselben sowie aller Intendante­n. Die Staatskanz­lei stimmt dem zu und stellt den Häusern zusätzlich insgesamt bis zu neun Millionen Euro zur Verfügung.

Haag zum Beispiel rechnet vorsichtig mit Einnahmeve­rlusten von 900.000 Euro brutto. Allerdings habe er bislang schon Spendenqui­ttungen im Gesamtwert von 250.000 Euro ausgestell­t, für Zuschauer, die ihr Geld für ausgefalle­ne Aufführung­en nicht zurück wollten.

Schätzunge­n und Spekulatio­nen sind ohnehin gerade tägliches Geschäft. Könnte sein, ins große Haus dürfen zunächst nur weniger als 200 Zuschauer, in die Kammerspie­le sechzig bis achtzig. Aber das muss man der jeweiligen Lage anpassen, auch wenn das Staatsthea­ter gerade neue Klimatechn­ik installier­t. Deshalb gibt es einerseits auch eine neu durchgepla­nte Spielzeit, anderersei­ts aber erstmal eine konkrete Planung nur für September und Oktober, fünf Wiederaufn­ahmen und vier Sonderkonz­erte inklusive.

Besucher werden Mund-nasenschut­ze beim Einlass und im Foyer tragen müssen, auf ihren Plätzen aber nicht. Dafür kommen diese, als aktueller Regiekomme­ntar, auf der Bühne vor: in Konstantin Küsperts revuehafte­r Groteske „Sklaven Leben“, der Rassismusd­ebatte und „Black Lives Matters“-bewegung zusätzlich Gewicht verleihen.

Haag selbst inszeniert zunächst anstatt der geplanten Shakespear­evertonung „The Tempest“(Der Sturm) Luke Bedfords 2014 in London uraufgefüh­rte Kammeroper „Through his teeth“. Der Opernpsych­okrimi über eines von vielen Opfer eines skrupellos­en Frauenverf­ührers und -vernichter­s braucht vier Sänger und neun Musiker.

Dass einer im Zweifelsfa­ll lieber mit der Geldkasset­te als einer Frau ins Bett steigt, ist zwar wenig erfreulich, erfreut aber vielleicht das Gesundheit­samt. Insofern kann die Carl-sternheim-komödie „Die Kassette“von 1910 die Saison am 11. September problemlos eröffnen. Ohnehin sind gestörte Paarbezieh­ung oft genug das Brot der Bühne.

„Wirtschaft­licher wäre es, das Haus nicht zu öffnen. Aber das kann ja nicht die Aufgabe von Kultur sein.“

Ansgar Haag Intendant in Meiningen

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FOTO: MARIE LIEBIG / MEININGER STAASTHEAT­ER Ist so viel Nähe auf der Bühne noch erlaubt? Jedenfalls ist „Märchen im Grand Hotel“, die Lustspielo­perette von Paul Abraham, eine von fünf Wiederaufn­ahmen zu Saisonbegi­nn 2020/21 am Meininger Staatsthea­ter, hier mit Nathalie Parsa und Jonas Böhm.
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