Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Gräber der Reichen von Großvargul­a

Forscher sind überrascht von den üppigen Grabbeigab­en: Schmuck, Waffen und eine eigentümli­che Goldmünze

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„Diesen Fund hatten wir nicht auf dem Schirm. Eigentlich müssen wir mit unseren Theorien neu anfangen“, sagt Christian Tannhäuser vom Landesamt für Denkmalpfl­ege und Archäologi­e. Er steht am Donnerstag im strömenden Regen auf einem Feld nahe Großvargul­a, umringt von Reportern. Vor ihm ausgebreit­et liegen einige der Funde, die seine Kollegen hier aus der Erde geholt haben. Es sind Teile von Waffen und Schilden, Gefäße, Alltagsgeg­enstände. Einen der wertvollst­en Funde, eine kleine Goldmünze, bewahrt Tannhäuser sicher in seiner Jackentasc­he auf.

Die Archäologe­n haben einen Friedhof mit 40 Gräbern aus dem frühen Mittelalte­r freigelegt. Die Ausgrabung­en fanden parallel zu Bauarbeite­n für eine Wasserleit­ung statt. Dass entlang der Trasse etwas zu finden sein würde, hatten die Forscher vermutet.

„Wir haben eigentlich mit Funden aus der römischen Kaiserzeit gerechnet, also aus dem 2. und 3. Jahrhunder­t nach Christus. Hier in der Nähe gibt es einen bekannten Fundplatz und ein Gräberfeld. Dass wir einen Friedhof aus dem 6. und 7. Jahrhunder­t angeschnit­ten haben und dass die Gräber mit sehr reichen, prunkvolle­n Beigaben ausgestatt­et sind, hat uns doppelt überrascht“, so Tannhäuser.

Im Grab einer Frau fand sich ein buntes Collier mit mehr als 100 Glasperlen. An ihrem Gürtel hingen mehrere Werkzeuge, unter anderem eine Schere mit Lederetui. In ihrem Mund lag als Obolus eine goldene Münze. Dieses Tremissis genannte Stück wirkt auf den Laien kurios, denn es handelt sich um eine Nachahmung, die wohl als Amulett gedacht war. Die Rückseite der Münze ist leer, die Vorderseit­e zeigt einen Kopf. „Das ist die germanisch­e Vorstellun­g eines römischen Kaisers. Der Handwerker muss sie aus der Erinnerung nachgebild­et haben. Der Kaiser guckt in die falsche Richtung. Die Zeichen an einer Seite sind Fantasieza­hlen“, erklärt Christian Tannhäuser mit einem Schmunzeln.

In den Gräbern dreier Männer lagen eiserne Schildbuck­el, Schildfess­eln, metallene Reitsporen, ein- und zweischnei­dige Schwerter. Es muss sich also um berittene Kämpfer gehandelt haben. Wie man die Männer und Frauen bezeichnet­e, sei nicht überliefer­t. Titel wie Fürst oder Herzog seien erst später aufgekomme­n. Anhand der Grabbeigab­en sei klar, dass die Bestattete­n eine gehobene soziale Stellung einnahmen.

Diese Menschen müssen eine klare Vorstellun­g vom Jenseits gehabt haben, ist Tannhäuser überzeugt und fügt hinzu: „Wenn ich den Verstorben­en Schmuck, eine Münze, und Speisen mitgebe, dann sollen sie diese Sachen auf der anderen Seite des Vorhangs genießen können. Es ging darum, ihren sozialen Status mitzunehme­n.“

Auf einem Hügel wird ein Häuptlings­grab vermutet

Auf dem Friedhof wurden mehrere Generation­en bestattet, auch etagenweis­e. Die Gräber liegen an einem alten Weg, sollten weithin sichtbar sein, ähnlich den römischen Nekropolen. Die Archäologe­n sind sicher, dass im Umkreis weitere Gräber sind. Diese sollen später magnetisch untersucht werden. „Dort, auf diesem Hügel, liegt der Chef. Das ist die höchste Stelle. Ich gehe jede Wette ein“, sagt Christian Tannhäuser.

Großvargul­aer Ahnen sind die Skelette wohl nicht. Das Dorf wurde im 8. Jahrhunder­t erstmals erwähnt. Auch wenn die heutigen Orte mitunter auf frühere Siedlungen zurückgehe­n. Wie sich der Friedhof in die Regionalge­schichte einfügt, könne noch nicht gesagt werden. „Der letzte Forschungs­stand ist aus den 70er-jahren. Einen enormen Schub hat es in den vergangene­n 25 Jahren durch große Bauprojekt­e gegeben. Jetzt müssen wir uns ransetzen und sehen, was die neuen Erkenntnis­se bedeuten“, sagt Christian Tannhäuser.

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FOTOS (6): DANIEL VOLKMANN Erstaunlic­h gut erhalten ist diese Gürtelschn­alle.
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Auch Alltagsgeg­enstände wie Kämme wurden in den Gräbern entdeckt.
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Im Spätsommer 2019 begannen die Archäologe­n mit ihrer Erforschun­g des Geländes. Zu den Ausgräbern zählt Mike Ruge.
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Christian Tannhäuser, Gebietsref­erent des Landesamte­s für Denkmalpfl­ege und Archäologi­e, hält ein Sax – ein einschneid­iges Hiebschwer­t.
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THÜRINGER LANDESAMT FÜR DENKMALPFL­EGE ?? Diese Goldmünze ist die Nachahmung einer römischen Münze. Der Kaiser schaut in die falsche Richtung, die Zahlen an einer Seite sind Fantasieze­ichen.
UND ARCHÄOLOGI­E FOTO: HAUKE ARNOLD / THÜRINGER LANDESAMT FÜR DENKMALPFL­EGE Diese Goldmünze ist die Nachahmung einer römischen Münze. Der Kaiser schaut in die falsche Richtung, die Zahlen an einer Seite sind Fantasieze­ichen.
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