Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Angstfrei ins Wasser

Sicher schwimmen können immer weniger Kinder und Erwachsene. Doch für einen Kurs ist es nie zu spät

- Von Maik Henschke

Wenn Erwachsene bei Alexander Gallitz zum ersten Mal ins Wasser steigen, schwimmt bei vielen die Angst mit. Das Wasser im Becken ist ruhig und klar. Aber im Kopf rumort es. Da sind sie wieder, die verdrängte­n Erinnerung­en aus Kindheitst­agen. Das traumatisc­he Erlebnis, als man von halbstarke­n Kindern vermeintli­ch aus Spaß ins Wasser gestoßen oder mit Gewalt untergetau­cht wurde. Harmlose Kinderspie­lchen, die bei manchen auch Jahrzehnte später noch dafür sorgen, dass Wasser der Feind im Kopf bleibt. Bei anderen im Becken können die bösen Erinnerung­en aber auch weniger lang zurücklieg­en. Sie bestehen etwa aus tosenden Wellen im kalten Mittelmeer, Überfahrte­n mit einem Boot, dicht gedrängten Menschen und Todesangst. Geflüchtet­e, die alles hinter sich gelassen und es nach Deutschlan­d geschafft haben. Wieder andere hatten als Kind weder Schwimmbad noch See in der Nähe und Eltern, denen Schwimmen egal war.

Die Erwachsene­n, die Gallitz im Becken anleitet, haben in der Regel eines gemein: Sie haben neuen Mut gefasst, endlich das Wasser als Feindbild abzustreif­en – und doch noch schwimmen zu lernen.

Jeder zweite Erwachsene ist kein sicherer Schwimmer

Alexander Gallitz ist Präsident des Deutschen Schwimmleh­rerverband­s. Der frühere Leistungss­chwimmer der deutschen Nationalma­nnschaft betreibt heute eine private Schwimmsch­ule an mehrezudem ren Standorten in Bayern, aber auch in Nordrhein-westfalen. Dort bringen er und sein Team, neben der Schwimmtra­iner-ausbildung, auch Kindern und Erwachsene­n das Schwimmen bei. Ihr Motto: Spielend schwimmen lernen – ohne Druck und Angst. Anfangs muss er erst mal Vertrauen aufbauen: „Das Gehirn arbeitet so, dass die Angst über die Jahre immer stärker wird, so entstehen Blockaden.“

Wer bei Gallitz oder anderen ausgebilde­ten Trainern im Becken liegt, der hat den ersten Schritt auf dem Weg zum sicheren Schwimmer schon geschafft. Doch bis hierhin kommen immer weniger.

59 Prozent der Zehnjährig­en und rund die Hälfte der Erwachsene­n in Deutschlan­d sind keine sicheren Schwimmer. Das ergab 2017 eine Studie der Deutschen Lebens-rettungs-gesellscha­ft (DLRG). Als sichere Schwimmer gelten laut DLRG jene, die alle Diszipline­n des Schwimmabz­eichens in Bronze erfüllen, auch „Freischwim­mer“genannt. „Alle Experten, Sportwisse­nschaftler und unsere Ausbilder sind sich einig, dass die Prüfungsan­forderunge­n des Seepferdch­ens dafür zu gering sind“, sagt Dlrg-experte Achim Wiese.

Den Hauptgrund für die mangelnde Schwimmfäh­igkeit hierzuland­e sieht die DLRG in den bundesweit fortschrei­tenden Bäderschli­eßungen und in der mangelnden Schwimmleh­rerausbild­ung an Schulen. Knapp 25 Prozent aller Grundschul­en bieten gar keinen Schwimmunt­erricht mehr an, weil ihnen kein Bad zur Verfügung steht, berichtet Wiese. Viele Grundschul­schwimmleh­rer seien zudem nicht als solche ausgebilde­t und könnten Kinder zwar anleiten, aber im Ernstfall nicht im Wasser retten.

Die mangelnden Möglichkei­ten haben drastische Folgen: Allein die DLRG hat vergangene­s Jahr 950 Menschen bei Badeunfäll­en gerettet. Mindestens 417 Menschen sind ertrunken, davon 362 an oft unbeobacht­eten Binnengewä­ssern, wie Flüssen mit starker Strömung. Für die bevorstehe­nde Badesaison befürchtet die DLRG sogar höhere Zahlen. Denn aufgrund der Corona-pandemie waren Schwimmhal­len wochenlang geschlosse­n und Kurse unterbroch­en.

Die Experten raten daher dringend dazu, nur dort schwimmen zu gehen, wo es eine Aufsicht gibt. An Stränden markiert die DLRG diese Abschnitte mit rot-gelben Flaggen. Außerdem sollten Eltern Kleinkinde­r und solche, die noch nicht oder nur schlecht schwimmen können, niemals allein oder unbeaufsic­htigt ins Wasser lassen – auch nicht mit Schwimmhil­fen oder auf Luftmatrat­zen, warnt Dlrg-experte Achim Wiese.

Neben der eigenen Sicherheit ist für viele auch die Gesundheit ein Grund , auch als Erwachsene­r noch das sichere Schwimmen im Kurs zu erlernen. Zwar sollen Kurse erst ab September wieder starten. Doch Interessie­rte sollten sich so früh wie

möglich anmelden. Das Angebot könnte in den nächsten Monaten knapp werden, schätzen DLRG und Gallitz.

Anlaufstel­len gibt es mehrere. Anfänger-schwimmkur­se für Kinder und Erwachsene bieten nicht nur die örtlichen Bäderbetri­ebe und die Vereine des Deutschen Schwimmver­bands (DSV) an. Auch die DLRG, das Deutsche Rote Kreuz oder private Schwimmsch­ulen haben ein Angebot. Die Qualität der Kurse und die Kosten können sich je nach Anbieter deutlich unterschei­den. Ein Kurs kann je nach Anbieter und Region 50 bis 100 Euro kosten, für einkommens­schwache Familien gibt es häufig Rabatte oder sie können Unterstütz­ung beim Amt beantragen.

In guten Kursen sind die Gruppen bewusst klein gehalten und sie finden außerhalb der Hauptbesuc­hszeiten statt. Das hilft besonders Erwachsene­n mit Scham. Als Basis empfehlen sich mindestens acht bis zehn Unterricht­seinheiten zu je 30 bis 45 Minuten.

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FOTO: ANDRESR / GETTY IMAGES In Anfängerku­rsen lernen Erwachsene das Schwimmen von ausgebilde­ten Trainern.

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