Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Debatte um Wehrpflicht-vorstoß
Nach dem Vorstoß der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD) diskutiert Deutschland über die Zukunft der Truppe
Ein Comeback der Wehrpflicht – auch als Mittel gegen Rechtsextremismus in der Truppe? Die neue Wehrbeauftragte Eva Högl hat am Wochenende mit einem entsprechenden Vorstoß eine kontroverse Debatte ausgelöst. Die Sozialdemokratin bekam auch aus den eigenen Reihen viel Widerspruch. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer (CDU) sprach sich gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus – und kündigte stattdessen überraschend einen neuen Freiwilligendienst in der Bundeswehr an.
Mit der Truppe hat Eva Högl (SPD) es sich nicht verscherzt. Die „Analyse und Debatte“über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre „schon wichtig“, meint der Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, zu einem Vorstoß der Wehrbeauftragten. Auch der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, begrüßt die Debatte. Der Cdu-abgeordnete hatte schon 2011 im Bundestag gegen die Aussetzung gestimmt.
Högl ist auch in der Bevölkerung nicht isoliert. Ob bei den Militärs oder in einer sozialen Einrichtung: Eine Mehrheit der Deutschen hält eine Dienstpflicht für eine gute Idee. Das zeigen mehrere Befragungen aus dem Jahr 2018 (Zdf-„politbarometer“und Splendid Research). Die meisten sprechen sich auch für einen Zivildienst aus. Man kann kaum über eine Reaktivierung des Diensts an der Waffe reden, ohne auf den Zivildienst einzugehen.
Ministerin Kramp-karrenbauer gerät über das Wochenende in Zugzwang
Annegret Kramp-karrenbauer kennt sowohl diesen Zusammenhang als auch Volkes Meinung. Bereits im Sommer 2018 hat die Cduchefin vorgeschlagen, ein soziales Pflichtjahr einzuführen. Das wiederholt sie, als sie ein Jahr später Verteidigungsministerin wird.
Als Högl im Interview mit unserer Redaktion in die Offensive geht, gerät Kramp-karrenbauer in Zugzwang. Noch am Wochenende kündigt sie für diesen Monat einen Vorstoß für einen Freiwilligendienst (ab 2021) in der Bundeswehr an. Ihr schwebt ein Kombi-dienst vor: ein halbes Jahr militärische Grundausbildung, ein halbes Jahr als „helfende Hand“beim Reservedienst. Die Verteidigungsministern kann Högls Vorstoß nicht in Bausch und Bogen verdammen. Sie ist selbst mit dem Istzustand unzufrieden.
Die aktuellsten Zahlen zur Personalstärke der Bundeswehr sind vom Monat Mai. Damals sind 265.000 Frauen und Männer bei der Truppe, gut 80.000 Zivilbeschäftigte sowie 53.975 Berufssoldaten, 121.143 Zeitsoldaten und 9105 Freiwillige Wehrdienstleistende. Es ist unklar, wo sich der künftige Freiwilligendienst einfügen soll. Zusätzlich oder anstelle der Freiwilligen?
Die Kritik aus den Oppositionsreihen an Högl fällt differenziert Die FDP, die lange vor Union und SPD die treibende Kraft bei der Aussetzung der Wehrpflicht war, geht auf Distanz. „Vollkommen überflüssig“, schimpft Verteidigungsexpertin Marie-agnes Strackzimmermann. Ihr Grünen-kollege Tobias Lindner macht eine Debatte im „Sommerloch“aus – setzt sich aber doch mit Högl auseinander: „Die Wehrpflicht würde der Bundeswehr sicherheitspolitisch keinen Vorteil bringen, sondern lediglich massive personelle und finanzielle Ressourcen verschlingen.“Im Klartext: ein zu großer Kraftakt.
Nachdem Verteidigungsminister Karl-theodor zu Guttenberg (CSU) 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt hatte, sind sowohl er als auch seine Nachfolger, Thomas de Maizière (CDU) und Ursula von der Leyen (CDU), jahrelang mit der Umsetzung beschäftigt: Standorte und Kasernen
werden geschlossen und aufgelöst, die Zahl der Ausbilder reduziert und die Rekrutierung modernisiert. Ein Sinnbild dafür ist die Eröffnung eines „Showrooms der Bundeswehr“in Berlin. Mit dem „Karrierecenter“macht von der Leyen klar, dass die Truppe nicht personell aus dem Vollen schöpfen kann, sondern mit der Wirtschaft um den Nachwuchs konkurriert.
Die Wehrpflicht ist wie eine Drehtür – sie beflügelt den Personalaustausch
Angreifbar macht sich Högl nicht mit dem Anstoß an sich – die Debatte ist 2021 zum zehnten Jahrestag der Aussetzung der Wehrpflicht fällig –, sondern mit der Begründung: Von den Spd-vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-borjans über den Linken-fraktionschef Dietmar Bartsch bis hin zum Cduspitzenpolitiker Friedrich Merz melden alle Zweifel daran, ob die Bekämpfung des Rechtsradikalismus als Motiv für eine Wiedereinführung des allgemeinen Dienstes an der Waffe taugt. Bartsch glaubt, dass rechtsextremistisches Gedankengut und Gewaltfantasien in der Bundeswehr nicht kausal mit dem Ende der Wehrpflicht in Zusammenhang stünden, „sondern mit einer Kultur in der Bundeswehr, die dies über Jahrzehnte zugelassen und toleriert hat“.
Die Wehrpflicht ist wie eine Drehtür: Es kommen viele rein, im Zweifel auch Extremisten, aber sie verlassen den Militärapparat auch wieder. Außerdem sind sie in ihrer Dienstzeit nicht unter sich, sondern stoßen – wie in der Gesellschaft – auf Widerspruch. Bei einer Berufsarmee ist die Chance zwar größer, Extremisten beim Bewerbungsprozess zu finden und herauszufiltern.
Wenn sie aber einmal die Sicherheitsüberprüfung passiert haben oder sich erst bei der Bundeswehr radikalisieren, können sie leicht unerkannt bleiben. Als die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wird,
„Die Wehrpflicht würde der Bundeswehr sicherheitspolitisch keinen Vorteil bringen.“
Tobias Lindner,
Verteidigungsexperte der Grünen
schwingt in der allgemeinen Diskussion diese Sorge mit, „dass sich Rechtsextremismus in einer Berufsarmee stärker entwickelt als in einer Wehrpflichtarmee“, wie Högl bis heute glaubt. Es ist damals ein gängiges Argument gegen die Aussetzung. Ausschlaggebend sind freilich ganz andere Erwägungen. Erstens das Spardiktat des Finanzministers, der nach dem Ende der Ostwest-konfrontation eine Friedensdividende einlösen will. Und warum auch nicht? Die Annäherung zwischen Russland und dem Westen erscheint – zweitens – verheißungsvoll. Wenn nach 2001 der äußere Feind definiert wird, denkt man an den islamistischen Terrorismus. Drittens wird ein zunehmend kleinerer Anteil der Jahrgänge eingezogen. Es stellt sich die Frage nach der Wehrgerechtigkeit.
Zehn Jahre später hat sich die politische Großwetterlage verändert. Russland wird nach der Annexion der Krim zunehmend als Bedrohung empfunden. An der Bundeswehr wird nicht länger gespart, ihre Etats steigen von Jahr zu Jahr. Die Bundesregierung hat sich dazu in der Nato verpflichtet. Außerdem kommen jetzt die geburtenschwachen Jahrgänge. Es könnte schwerer werden, Freiwillige zu finden.