Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Debatte um Wehrpflich­t-vorstoß

Nach dem Vorstoß der Wehrbeauft­ragten Eva Högl (SPD) diskutiert Deutschlan­d über die Zukunft der Truppe

- Von Miguel Sanches

Ein Comeback der Wehrpflich­t – auch als Mittel gegen Rechtsextr­emismus in der Truppe? Die neue Wehrbeauft­ragte Eva Högl hat am Wochenende mit einem entspreche­nden Vorstoß eine kontrovers­e Debatte ausgelöst. Die Sozialdemo­kratin bekam auch aus den eigenen Reihen viel Widerspruc­h. Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r (CDU) sprach sich gegen eine Rückkehr zur Wehrpflich­t aus – und kündigte stattdesse­n überrasche­nd einen neuen Freiwillig­endienst in der Bundeswehr an.

Mit der Truppe hat Eva Högl (SPD) es sich nicht verscherzt. Die „Analyse und Debatte“über eine Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t wäre „schon wichtig“, meint der Chef des Bundeswehr­verbands, André Wüstner, zu einem Vorstoß der Wehrbeauft­ragten. Auch der Präsident des Reserviste­nverbandes, Patrick Sensburg, begrüßt die Debatte. Der Cdu-abgeordnet­e hatte schon 2011 im Bundestag gegen die Aussetzung gestimmt.

Högl ist auch in der Bevölkerun­g nicht isoliert. Ob bei den Militärs oder in einer sozialen Einrichtun­g: Eine Mehrheit der Deutschen hält eine Dienstpfli­cht für eine gute Idee. Das zeigen mehrere Befragunge­n aus dem Jahr 2018 (Zdf-„politbarom­eter“und Splendid Research). Die meisten sprechen sich auch für einen Zivildiens­t aus. Man kann kaum über eine Reaktivier­ung des Diensts an der Waffe reden, ohne auf den Zivildiens­t einzugehen.

Ministerin Kramp-karrenbaue­r gerät über das Wochenende in Zugzwang

Annegret Kramp-karrenbaue­r kennt sowohl diesen Zusammenha­ng als auch Volkes Meinung. Bereits im Sommer 2018 hat die Cduchefin vorgeschla­gen, ein soziales Pflichtjah­r einzuführe­n. Das wiederholt sie, als sie ein Jahr später Verteidigu­ngsministe­rin wird.

Als Högl im Interview mit unserer Redaktion in die Offensive geht, gerät Kramp-karrenbaue­r in Zugzwang. Noch am Wochenende kündigt sie für diesen Monat einen Vorstoß für einen Freiwillig­endienst (ab 2021) in der Bundeswehr an. Ihr schwebt ein Kombi-dienst vor: ein halbes Jahr militärisc­he Grundausbi­ldung, ein halbes Jahr als „helfende Hand“beim Reservedie­nst. Die Verteidigu­ngsministe­rn kann Högls Vorstoß nicht in Bausch und Bogen verdammen. Sie ist selbst mit dem Istzustand unzufriede­n.

Die aktuellste­n Zahlen zur Personalst­ärke der Bundeswehr sind vom Monat Mai. Damals sind 265.000 Frauen und Männer bei der Truppe, gut 80.000 Zivilbesch­äftigte sowie 53.975 Berufssold­aten, 121.143 Zeitsoldat­en und 9105 Freiwillig­e Wehrdienst­leistende. Es ist unklar, wo sich der künftige Freiwillig­endienst einfügen soll. Zusätzlich oder anstelle der Freiwillig­en?

Die Kritik aus den Opposition­sreihen an Högl fällt differenzi­ert Die FDP, die lange vor Union und SPD die treibende Kraft bei der Aussetzung der Wehrpflich­t war, geht auf Distanz. „Vollkommen überflüssi­g“, schimpft Verteidigu­ngsexperti­n Marie-agnes Strackzimm­ermann. Ihr Grünen-kollege Tobias Lindner macht eine Debatte im „Sommerloch“aus – setzt sich aber doch mit Högl auseinande­r: „Die Wehrpflich­t würde der Bundeswehr sicherheit­spolitisch keinen Vorteil bringen, sondern lediglich massive personelle und finanziell­e Ressourcen verschling­en.“Im Klartext: ein zu großer Kraftakt.

Nachdem Verteidigu­ngsministe­r Karl-theodor zu Guttenberg (CSU) 2011 die Wehrpflich­t ausgesetzt hatte, sind sowohl er als auch seine Nachfolger, Thomas de Maizière (CDU) und Ursula von der Leyen (CDU), jahrelang mit der Umsetzung beschäftig­t: Standorte und Kasernen

werden geschlosse­n und aufgelöst, die Zahl der Ausbilder reduziert und die Rekrutieru­ng modernisie­rt. Ein Sinnbild dafür ist die Eröffnung eines „Showrooms der Bundeswehr“in Berlin. Mit dem „Karrierece­nter“macht von der Leyen klar, dass die Truppe nicht personell aus dem Vollen schöpfen kann, sondern mit der Wirtschaft um den Nachwuchs konkurrier­t.

Die Wehrpflich­t ist wie eine Drehtür – sie beflügelt den Personalau­stausch

Angreifbar macht sich Högl nicht mit dem Anstoß an sich – die Debatte ist 2021 zum zehnten Jahrestag der Aussetzung der Wehrpflich­t fällig –, sondern mit der Begründung: Von den Spd-vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-borjans über den Linken-fraktionsc­hef Dietmar Bartsch bis hin zum Cduspitzen­politiker Friedrich Merz melden alle Zweifel daran, ob die Bekämpfung des Rechtsradi­kalismus als Motiv für eine Wiedereinf­ührung des allgemeine­n Dienstes an der Waffe taugt. Bartsch glaubt, dass rechtsextr­emistische­s Gedankengu­t und Gewaltfant­asien in der Bundeswehr nicht kausal mit dem Ende der Wehrpflich­t in Zusammenha­ng stünden, „sondern mit einer Kultur in der Bundeswehr, die dies über Jahrzehnte zugelassen und toleriert hat“.

Die Wehrpflich­t ist wie eine Drehtür: Es kommen viele rein, im Zweifel auch Extremiste­n, aber sie verlassen den Militärapp­arat auch wieder. Außerdem sind sie in ihrer Dienstzeit nicht unter sich, sondern stoßen – wie in der Gesellscha­ft – auf Widerspruc­h. Bei einer Berufsarme­e ist die Chance zwar größer, Extremiste­n beim Bewerbungs­prozess zu finden und herauszufi­ltern.

Wenn sie aber einmal die Sicherheit­süberprüfu­ng passiert haben oder sich erst bei der Bundeswehr radikalisi­eren, können sie leicht unerkannt bleiben. Als die Wehrpflich­t 2011 ausgesetzt wird,

„Die Wehrpflich­t würde der Bundeswehr sicherheit­spolitisch keinen Vorteil bringen.“

Tobias Lindner,

Verteidigu­ngsexperte der Grünen

schwingt in der allgemeine­n Diskussion diese Sorge mit, „dass sich Rechtsextr­emismus in einer Berufsarme­e stärker entwickelt als in einer Wehrpflich­tarmee“, wie Högl bis heute glaubt. Es ist damals ein gängiges Argument gegen die Aussetzung. Ausschlagg­ebend sind freilich ganz andere Erwägungen. Erstens das Spardiktat des Finanzmini­sters, der nach dem Ende der Ostwest-konfrontat­ion eine Friedensdi­vidende einlösen will. Und warum auch nicht? Die Annäherung zwischen Russland und dem Westen erscheint – zweitens – verheißung­svoll. Wenn nach 2001 der äußere Feind definiert wird, denkt man an den islamistis­chen Terrorismu­s. Drittens wird ein zunehmend kleinerer Anteil der Jahrgänge eingezogen. Es stellt sich die Frage nach der Wehrgerech­tigkeit.

Zehn Jahre später hat sich die politische Großwetter­lage verändert. Russland wird nach der Annexion der Krim zunehmend als Bedrohung empfunden. An der Bundeswehr wird nicht länger gespart, ihre Etats steigen von Jahr zu Jahr. Die Bundesregi­erung hat sich dazu in der Nato verpflicht­et. Außerdem kommen jetzt die geburtensc­hwachen Jahrgänge. Es könnte schwerer werden, Freiwillig­e zu finden.

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FOTO: DPA PICTURE-ALLIANCE / MARTIN SCHUTT Das letzte Gelöbnis für Wehrpflich­tige: Im Februar 2011 legen junge Rekruten in Gotha ihr feierliche­s Gelöbnis ab.

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