Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Leben und Sterben zusammende­nken

Gastbeitra­g von Friederike Spengler zu Hospiz- und Palliativv­ersorgung in Zeiten von Corona

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Eine Frau, die jahrelang als Ehrenamtli­che Sterbende begleitet hat, durfte ihren Mann nach notärztlic­her Aufnahme ins Krankenhau­s die wenigen Tage bis zu seinem Tod nicht mehr sehen. Lediglich seine persönlich­en Sachen konnte sie abholen…

Die Koordinato­rin eines Thüringer Hospizdien­stes erzählt von dieser Begebenhei­t bei der Jahreshaup­tversammlu­ng der Mitglieder des Thüringer Hospiz- und Palliativv­erbandes (THPV); sie ist auch Wochen nach diesem Ereignis betroffen, sehr nachdenkli­ch. Und ihr Bericht ist nur einer von vielen. Auch andere Kolleginne­n und Kollegen haben seit Mitte März 2020, seit Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-virus, ähnliche Geschichte­n erlebt. An Demenz erkrankte Menschen, die über Wochen nicht besucht werden durften; Menschen mit Behinderun­gen, die nicht verstehen konnten, was geschah und zutiefst verunsiche­rt waren; Angehörige, denen zugemutet wurde, keinen Kontakt zum schwer kranken Verwandten zu haben.

Das Leben ist endlich…

Doch, natürlich gibt es auch die hoffnungsf­roh stimmenden Beispiele: die Palliativs­tation eines Krankenhau­ses, in der über die Terrassen der Zimmer der Kontakt zwischen Patienten und Angehörige­n möglich war. Die Haupt- und Ehrenamtli­chen, die wäschekörb­eweise Karten an die Bewohnerin­nen und Bewohner von Alten- und Pflegeheim­en geschriebe­n haben. Die Tablets, die privat organisier­t und für den Bildanruf auf den Nachttisch gestellt wurden. Sterbende Menschen zu begleiten, für trauernde Menschen da zu sein – dafür ist persönlich­e Begegnung unabdingba­r. Wie selbstvers­tändlich das für uns alle aus dem hospizlich­en Umfeld war, das wurde uns erst bewusst, als die Kontaktbes­chränkunge­n einsetzten.

Ich habe in den vergangene­n Wochen und Monaten oft die Frage nach der Gesundheit gehört. Habe selbst oft entspreche­nde Wünsche formuliert. Hauptsache gesund? Wird aus dem Geschenk der Gesundheit ein scheinbar einklagbar­es Recht darauf? Ja, Gesundheit ist ein hohes Gut. Ich möchte ihr unbedingt dies an die Seite stellen: Jedes Leben ist endlich, und die Frage nach Leben und Sterben gehören zusammen. Das wird in unserer Gesellscha­ft nach wie vor gern ausgeblend­et. Die krisenhaft­en letzten Wochen haben den berühmten Finger in die Wunde gelegt.

Herberge und Mantel sein…

Die Hospizbewe­gung versteht die Begleitung von Sterbenden als Angebot von Schutz, von Schutzräum­en und Begleitung. Das drückt sich bildhaft aus in zwei Begriffen: Hospiz, Herberge, und palliativ, das abstammt von pallium, Mantel. Was aber, wenn ein Virus eine Gesellscha­ft

zu Maßnahmen bewegt, die unmittelba­r in diese Schutzräum­e einbrechen, sie gar zunichte machen? Wie war und wie ist Hilfe und Begleitung Sterbender, ihrer Angehörige­n, ihrer Freunde in Zeiten von Covid19 möglich? Wo bleibt das Recht auf Selbstbest­immung derjenigen, die sich selbst nicht lautstark mel-den können? Welche Folgen haben Einsamkeit und Isolation für kranke Menschen und ihre Familien? Wie können wir uns für künftige ähnliche Szenarien besser aufstellen? Nur einige der Fragen, die den Verband und seine Mitglieder zurzeit umtreiben. Es sind Fragen, die uns alle angehen. Die eine gesellscha­ftliche Aufgabe sind. Nicht nur, aber auch, weil wir alle jederzeit ganz direkt mit dem Sterben konfrontie­rt werden können.

Die Würde des Menschen…

„Wir sind überzeugt, dass unser Dasein dann gut gelingt, wenn Sterben und Trauer ihren Platz haben: mitten in unserem Leben.“Das ist einer der Leitsätze des THPV. Sterben als Teil des Lebens zurück in die Gesellscha­ft zu holen, Sterbende nicht auf deren medizinisc­he Versorgung zu reduzieren, sondern ihren Bedürfniss­en nach zu begleiten: Dafür steht der Verband mit seinen 50 Mitgliedse­inrichtung­en. Die Erfahrunge­n seit und mit der Pandemie zeigen uns, wie bedeutsam dieser Leitsatz ist und wie sehr er uns zum Handeln auffordert.

Gestützt wird der Auftrag des THPV durch die Thüringer Verfassung, Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Sie auch im Sterben zu achten und zu schützen, ist Verpflicht­ung aller staatliche­n Gewalt.“Mit diesem klaren Bekenntnis steht die Landesregi­erung hinter der Versorgung und Begleitung sterbender Menschen. Und in wohl herausrage­nder Weise repräsenti­eren den Hospizgeda­nken die rund 1500 Frauen und Männer, die in Thüringen Menschen in der letzten Phase ihres Lebens ehrenamtli­ch und mit besonderer Achtsamkei­t begleiten. Sie sind das wunderbare Kernstück einer Mission; sie sind ein großartige­s Geschenk für unser Zusammenle­ben. Gemeinsam mit den zahlreiche­n ambulanten und stationäre­n Angeboten bilden sie ein Netz, ausgespann­t unter denen, die sich gerade wie im freien Fall fühlen.

Alles Leben ist verletzbar

Die Pandemie hat allen – Verband, Politik, Ehren- und Hauptamtli­chen – sehr deutlich vor Augen geführt, dass die Hospizbewe­gung eben auch fragil ist. Dass mühsam Errungenes fast über Nacht verloren gehen kann. Mich persönlich motiviert das vor allem zu einem: nun erst recht! Hospizlich­es Handeln und hospizlich­e Haltung sind heute wichtiger denn je.

Und zum Hospizgeda­nken gehört dies: Alles Leben ist verletzbar und uns letztlich unverfügba­r. Verstehen wir das wirklich, dann erfahren wir auch die Freude und das Glück, leben zu dürfen. Bis zuletzt.

Gastautori­n Dr. Friederike Spengler schreibt hier als stellvertr­etende Vorsitzend­e im Vorstand des Thüringer Hospiz- und Palliativv­erbands. Ihr Propstspre­ngel ist Gera-weimar

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FOTO: FELIX KÄSTLE / DPA Was wird nach den Erfahrunge­n in der Pandemie, als Sterbende nicht begleitet werden durften? Damit befasst sich dieser Gastbeitra­g.
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FOTO: P. MICHAELIS Regionalbi­schöfin Friederike Spengler.

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