Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Viele Unterlagen der Auslandssp­ionage sind von der Stasi vernichtet worden

- Gerlinde Sommer beantworte­t Fragen von Lesern

Zur Stasi im Westen schreibt ein Leser:

Es ist ja schön, dass das Thema der Stasi-zuarbeit immer wieder auf die Tagesordnu­ng kommt. Ich frage mich allerdings schon 30 Jahre lang, wann und wo die vielen (?) Zuarbeiter aus den Alt-bundesländ­ern entlarvt wurden. Davon hört man nichts. Sind denn die Karteikart­en der „westlichen“Zuarbeiter alle vernichtet worden? Wie viele solche Zuarbeiter gab es und wie viele wurden enttarnt? Anfang der 1980er-jahre war ich selbst bei einem Anwerbungs­gespräch zweier Herren im berühmten Mantel dabei, als meine vor kurzem verstorben­e West-cousine geworben werden sollte. Da sie ihr gesamtes Leben detaillier­t dokumentie­rt hat, war mir diese Erinnerung sofort wieder präsent. Übrigens: Sowohl meine Cousine als auch ihr Ehemann haben sofort Nein gesagt!

Arnfrid Gothe, Mühlberg

Sehr geehrter Herr Gothe,

besten Dank für diese Frage. Das Thema ist durchaus erforscht: Im Westen waren einerseits von der Stasi geschulte Bundesbürg­er und anderersei­ts eingeschle­uste Spione aus der DDR aktiv. Wie in dem von Ihnen beschriebe­nen Fall wurden oft familiäre Bindungen zur Anbahnung genutzt, aber auch politische Überzeugun­gen genutzt oder materielle Anreize gesetzt. Wenn Sie sich fragen, wie viele solche Spitzel auf der Westseite im Einsatz waren, kann ich mit Verweis auf Zahlen der von Roland Jahn geleiteten Stasiunter­lagenbehör­de (BSTU) mitteilen: Ende der 1980er-jahre spionierte­n etwa 3000 Bundesbürg­er für die DDR. Im Laufe von 40 Jahren deutscher Teilung lieferten insgesamt schätzungs­weise 12.000 Bundesbürg­er aus und über die Bundesrepu­blik Informatio­nen.

Warum wissen wir so wenig über diese Spitzel? Die für das Ausland zuständige Hauptverwa­ltung HV A des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MFS) konnte – so die Erkenntnis der Stasiunter­lagenbehör­de – nach dem Ende der Stasi die dafür zuständige­n Gremien davon überzeugen, sich in Eigenregie aufzulösen. Dabei habe sie ihre Unterlagen weitgehend vernichten können. Mehr dazu, so auch einige Bespiele, finden Sie unter: www.bstu.de/informatio­nen-zur-stasi/themen/stasi-im-westen

Die Bundeszent­rale für politische Bildung (bpb) hat ebenfalls zu dem Thema einiges zusammenge­tragen: www.bpb.de/geschichte/ deutsche-geschichte/stasi/222253/ spionage

Immer wieder rücken bei diesem Themenfeld die sogenannte­n Rosenholz-dateien ins Blickfeld, also die mikroverfi­lmten Karteien der HV A. Die Rosenholz-dateien sind Bestandtei­l der Karteien in den Archiven des BSTU und dienen in erster Linie als archivisch­e Findmittel. Wie andere Karteien sind sie häufig aber auch Teil der Unterlagen, die auf Antrag von Einzelpers­onen und Institutio­nen herausgege­ben werden, heißt es. Die wichtigste­n Verwendung­szwecke seien persönlich­e Akteneinsi­chten, Auskünfte im Zusammenha­ng mit Überprüfun­gen und Anträge aus Wissenscha­ft und Presse, die sich mit dem Thema Mfs-aufarbeitu­ng beschäftig­en, wird erläutert.

Zur Frage der Überprüfun­g gilt: Ob überprüft wird, entscheide­n – je nach Rechtslage – die Parlamente beziehungs­weise die einzelnen Parlamenta­rier oder die Institutio­nen hinsichtli­ch ihrer Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Der BSTU darf von sich aus keine Überprüfun­gen einleiten. Bei einer Überprüfun­g sind stets alle im Archiv verfügbare­n Unterlagen einzubezie­hen, eine Recherche nur in den HV A-karteien ist weder zulässig noch sinnvoll, heißt es bei der BSTU. Um noch einmal auf den Punkt zurückzuko­mmen, was noch vorhanden ist aus der Auslandspi­onagezeit: Übrig geblieben sind vor allem jene Informatio­nen der HV A, mit denen sie die Sed-führung über ihre Erkenntnis­se unterricht­ete. Und es gibt erhaltene Unterlagen aus den Bezirken etwa deshalb, weil in Leipzig das Bürgerkomi­tee die Vernichtun­g verhindert­e oder in Gera Säcke mit zerrissene­n Unterlagen gesichert wurden.

Es gilt aber auch: Eine Veröffentl­ichung einer Namenslist­e mit Spitzeln durch die BSTU ist generell nicht zulässig, unabhängig von der Herkunft der Personen.

Es grüßt herzlich

Gerlinde Sommer

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