Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Hilfsdiens­te lehnen Wehrpflich­t ab

Statt wieder auf Zivis zu hoffen, fordern Verbände größere Anerkennun­g sozialer Berufe

- Von Ingo Glase

Einer Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t stehen Wohlfahrts­verbände trotz der damit einhergehe­nden Wiederkehr des Zivildiens­tes ablehnend gegenüber. „Gut möglich, dass die Bundeswehr ein verfestigt­es Problem mit rechtsradi­kalen Tendenzen hat. Das löst man aber nicht dadurch, dass wieder mehr Menschen mit weltoffene­r und menschenfr­eundlicher Gesinnung in die Kasernen einziehen. Wir brauchen nicht die Wiedereinf­ührung

der Wehrpflich­t für die Demokratis­ierung der Armee. Wir brauchen eine gute und sensible politische und gesellscha­ftliche Ausbildung in der Bundeswehr“, meint etwa Christoph Stolte, Vorstandsv­orsitzende­r der Diakonie Mitteldeut­schland.

Statt wieder auf Tausende Zivildiens­tleistende zu hoffen, setzen die Hilfsdiens­te auf bessere Anreize für soziale Berufe: „Zivildiens­tleistende waren bis zur Aussetzung der Wehrpflich­t eine große Bereicheru­ng für das DRK in Thüringen. Der

Bundesfrei­willigendi­enst konnte die mit der Aussetzung der Wehrpflich­t entstanden­en Lücken nicht füllen“, so Dirk Bley vom Drk-landesverb­and Thüringen. Die auf Zivis angewiesen­en Bereiche mussten sich andere Wege erschließe­n, um personelle Engpässe zu beseitigen. Das klappt nicht überall: „Während es im Rettungsdi­enst ausreichen­d Interessen­ten gibt, fehlen diese im Pflegebere­ich massiv.“Um das Problem zu lösen, braucht es aus Sicht des DRK keine allgemeine Dienstpfli­cht. Vielmehr müssen die

Freiwillig­endienste attraktive­r für junge Menschen gemacht werden.

Das sieht auch die Diakonie so: „Für die Wohlfahrts­verbände ist das Freiwillig­e Soziale Jahr eine große Chance, denn manchmal gelingt es, die Freiwillig­en für einen sozialen Beruf zu begeistern. Hier fordern wir seit Jahren, diesen Dienst attraktive­r zu machen. Da sehen wir die Bundesregi­erung in der Verantwort­ung“, so Stolte. „Soziale Arbeit braucht Menschen mit Herz und Verstand, nicht mit einer Dienstverp­flichtung.“

Die Wehrpflich­t in Deutschlan­d schien bereits Geschichte zu sein. Dann kam die Wehrbeauft­ragte Eva Högl (SPD) und mit ihr eine Debatte, ob junge Menschen nicht doch wieder zum Dienst verpflicht­et werden sollten. Damit steht auch die Rückkehr einer anderen Institutio­n im Raum: des Zivildiens­ts. Denn mit der Aussetzung der Wehrpflich­t kam auch das Ende der Alternativ­e zum Dienst an der Waffe. Seit 2012 gibt es keine Zivildiens­tleistende­n mehr.

Nicht nur der Bundeswehr fehlten plötzlich Zehntausen­de junge Männer. Auch zahlreiche soziale Organisati­onen, bei denen bis 2011 Zivildiens­tleistende arbeiteten, mussten sich umstellen. Denn auch wenn mit dem Bundesfrei­willigendi­enst eine neue Möglichkei­t geschaffen wurde, sich zu engagieren, bleibt die Zahl der Bufdis doch deutlich hinter der der Zivis zurück. Im Juni 2020 waren insgesamt 37.137 Bufdis aktiv – weniger als die Hälfte der 80.000 bis 90.000 Zivis, die in den Jahren vor Aussetzung der Wehrpflich­t den Ersatzdien­st geleistet hatten.

„Ich möchte mir keine Freiwillig­en vorstellen, die unmotivier­t mit dem Maßband die Dauer ihres sozialen Dienstes messen.“Ulrich Lilie, Diakonie-präsident

Trotzdem sehen Sozialverb­ände die Wiedereinf­ührung einer Dienstpfli­cht äußerst skeptisch. „Bei jemandem, der zu einem Dienst gezwungen wird, obwohl sie oder er lieber anfangen würde, so schnell wie möglich zu studieren oder ins Ausland zu gehen, ist die Motivation, die einen Freiwillig­endienst zum Erfolg macht, nicht gegeben“, sagt Peter Neher, Präsident des Caritas-verbands, „und dann haben beide Seiten nichts davon.“Klüger sei es, gezielt in die Stärkung der Freiwillig­endienste zu investiere­n, etwa durch ein höheres Taschengel­d oder freie Öpnv-fahrten. „Damit alle, die einen freiwillig­en Dienst absolviere­n möchten, dies auch tun können und genug Anerkennun­g dafür finden.“Derzeit bekommen die Bundesfrei­willigen – zu denen, anders als beim Zivildiens­t oder freiwillig­en sozialen, ökologisch­en oder kulturelle­n Jahren, auch ältere Menschen gehören – maximal 414 Euro Taschengel­d. Zusätzlich können Einsatzste­llen Berufsklei­dung, Unterkunft und

Verpflegun­g stellen oder die Kosten dafür ersetzen.

Diakonie-chef fordert mehr Anreize, sich zu engagieren

Bei der Diakonie stößt die Idee einer erneuten Verpflicht­ung junger Menschen ebenfalls auf wenig Gegenliebe. „Ich möchte mir keine genötigten Freiwillig­en vorstellen, die schlecht gelaunt und unmotivier­t mit dem Maßband die Dauer ihres sozialen Dienstes bei hochaltrig­en Menschen oder Menschen mit Beeinträch­tigungen messen“, sagte Diakonie-präsident Ulrich Lilie unserer Redaktion. Mündige Bürgerinne­n und Bürger sollten selbst entscheide­n, wo und in welchem Umfang sie sich engagieren. Die Forderung nach einer Dienstpfli­cht sei nicht zu Ende gedacht. „Die Arbeit mit Menschen kann schon von der Sache her keine reine Pflichtver­anstaltung sein.“Er plädiere dafür, dass alle nationalen wie internatio­nalen Formate der Freiwillig­endienste weiter gestärkt und attraktive­r gemacht werden. Besser als die „sehr deutsche Pflichtden­ke“seien überzeugen­de Anreize, sich zu engagieren, sagte Lilie. Bei sozialen oder ökologisch­en Jahren solle nicht nur an Schulabgän­ger gedacht werden, sondern auch an

Menschen, die mitten im Leben stehen und eine berufliche Neuorienti­erung suchen.

Spd-chefin Saskia Esken steht einem Pflichtjah­r für junge Menschen im Dienst der Allgemeinh­eit offen gegenüber. „Grundsätzl­ich würde ich es sehr begrüßen, wenn der Haushaltsg­esetzgeber und die Regierung insgesamt sich aufmachen würde, all denen, die gerne so ein soziales Dienstjahr leisten wollen, auch einen Platz anzubieten“, sagte sie am Montag auf eine Frage zur allgemeine­n Dienstpfli­cht. Derzeit gebe es mehr Bewerber für das freiwillig­e soziale Jahr als Plätze. „Wenn wir so weit sind, dass wir allen einen Platz anbieten können, dann können wir gerne auch über ein verpflicht­endes Jahr sprechen.“Zugleich betonte Esken, dass sie gegen die Rückkehr der Wehrpflich­t ist – auch mit Hinweis auf die sogenannte Wehrgerech­tigkeit. „Da nach zehn Jahren den Schlüssel wieder umzudrehen, wäre ohnehin sehr schwierig, aber ich halte es auch für fragwürdig“, sagte sie.

Die Debatte über eine allgemeine Dienstpfli­cht ist nicht vollkommen neu: Cdu-chefin und Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Krampkarre­nbauer hatte sich schon 2019 für einen Pflicht-dienst für junge Menschen ausgesproc­hen.

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FOTO: DPA Für Generation­en junger Männer hieß es: Zivi oder Bund.

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