Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Macht die katholische Kirche in der Corona-krise eine Rolle rückwärts?
Die Reformbewegung warnt davor, dass der gerade begonnene Prozess ins Stocken geraten könnte
In Krisenzeiten suchen die Menschen nach Trost – auch nach spirituellem. Welche Auswirkungen hat das in Coronazeiten auf die katholische Kirche? Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“warnt davor, dass der gerade begonnene Reformprozess innerhalb der Kirche ins Stocken geraten könnte. „Dieser Reformprozess darf auf keinen Fall zum Stillstand kommen, auch wenn er wegen der Corona-krise zeitlich gestreckt werden wird“, sagt der Sprecher der Bewegung, Christian Weisner.
„Der erneute Versuch der konservativen Minderheit, dem ganzen Reformprozess zu schaden und ihn auszubremsen, ist ein durchschaubares Manöver.“Damit meint er konservative Bischöfe wie Rudolf Voderholzer aus Regensburg, der dem Präsidium des „Synodalen Weges“ausgerechnet zu Pfingsten „autoritäre Alleingänge“vorgeworfen und einen Protestbrief geschrieben hatte. Er sehe „den Reformprozess durch Corona nicht als Ganzes gefährdet“, betont Weisner zwar. „Aber die Beratungen werden aufgrund der Hygienebestimmungen schwieriger.“
Die Erfurter Theologin Julia Knop sieht noch ein anderes Problem: „In der katholischen Kirche sind während des Lockdown Verhaltensweisen und Phänomene aufgetreten, die ich noch nicht mal mehr aus meiner Kindheit kenne“, sagt die Dogmatikerin, die im März einen Blog-beitrag dazu verfasst und dem Phänomen den Titel „Retrokatholizismus“gegeben hat. „Da kamen auch eine Sprache und Mentalität zurück, die ich eigentlich für überwunden hielt.“
Als Beispiele nennt sie junge Priester, die mit einer Monstranz durch leere Straßen ziehen. Oder Bischöfe, die ihr Bistum kurzerhand dem Herzen Mariens und Jesu geweiht haben – mutmaßlich ohne Rücksprache mit den Gläubigen. Auch die Reduzierung auf einen Priester, der im Notfall – während der Pandemie dann über Wochen – ohne seine Gemeinde Gottesdienste feiern könnte oder dies anstelle der Gemeinde sogar tun sollte, sei im Grunde etwas, das mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil als überwunden galt. „Ein Gottesdienst ist keine Solonummer. Er ist Versammlung des Gottesvolks und braucht die Partizipation aller“, so Knop.
Viele jüngere Priester liebäugeln mit traditionalistischen Ideen
Sie sieht diese Entwicklung nicht nur bei Katholiken älteren Semesters – eher im Gegenteil. Viele jüngere Priester liebäugelten mit traditionalistischen Ideen von Kirche, Liturgie und Priestertum. Es gibt allerdings auch Theologen-kollegen, die Knops These für gewagt halten.
Dass die Corona-krise den Synodalen Weg, wie die katholische Kirche ihre Reformbewegung genannt hat, gefährdet, glaubt Knop indes nicht. „Man sieht eher noch schärfer, dass es so nicht weitergehen kann. Corona hat die Krise und den Reformbedarf der Kirche, namentlich des Amtes, umso deutlicher gemacht. Die Pandemie hat aber auch viel Kreativität freigesetzt. Man hat notgedrungen neue Formen kirchlichen Lebens entwickelt und gesehen, dass Kirche auch anders sein kann. Die Erfahrungen dieser Monate können die Kirche nachhaltig verändern – wenn man nicht einfach zum vorherigen Zustand zurückkehrt“, sagt sie.