Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Krankenhäuser müssen neu gedacht werden
Der Mühlhäuser Gabriel Dörner forscht zur Zukunft von Kliniken. Neubaupläne im Kreis überraschen ihn wenig
Der Mühlhäuser Gabriel Dörner (25) studierte Visuelle Kommunikation an der Bauhausuniversität Weimar und initiierte als Student das Forschungs- und Gestaltungsprojekt „Ästhetik der heilsamen Orte“, das von Krankenhäusern aus der Region und vom Thüringer Gesundheitsministerium unterstützt wurde.
Wie ordnet sich die Debatte im Unstrut-hainich-kreis in die Thüringer Krankenhaus-landschaft ein?
In vielen Thüringer Städten ist das Phänomen zu beobachten, dass Krankenhäuser sich am Stadtrand befinden, herausgerissen aus dem städtischen Zusammenhang, auf der grünen Wiese neu errichtet wurden als geschlossener und autarker Mikrokosmos – in Gotha, in Weimar, auch in Jena, wo das Krankenhaus aus der Innenstadt wegzog und sich nun in Lobeda befindet. Ich hatte es auch für den Unstruthainich-kreis befürchtet.
Warum ist das für Sie ein Problem?
Der abseitige und schwer zugängliche Standort des Krankenhauses, seine Unverfügbarkeit und Unsichtbarkeit, aber auch dessen innere Gestalt, seine Atmosphäre und Aufenthaltsqualität – all das repräsentiert den Stellenwert von Krankheit in unserer Gesellschaft. Ein Krankenhaus gehört aber in die Mitte der Gesellschaft.
Ein Neubau ist doch auch eine Chance zu moderner Medizin, besseren Heilungschancen? Dagegen kann man doch nichts haben.
Ein Krankenhaus ist mehr als die Ansammlung medizinischer Technik. Aber natürlich: Ein Neubau ist auch eine Chance für einen Bau, in dem man sich zu Hause fühlt. Aber realistisch ist das nicht.
Heutzutage müssen Krankenhäuser ausschließlich wirtschaftlich im Sinne von sparsam erbaut werden. Neubauten sind oft schlichter und sachlicher als die alten Häuser. Krankenhäuser sollen funktionieren wie Industriebetriebe. Das ist politisch so gewollt und nicht vorrangig Schuld der Unternehmensführung. Im Falle des Unstrut-hainich-kreises sind auch der Landkreis und Bad Langensalza als Gesellschafter daran interessiert, dass Geld erwirtschaftet wird. Aber das ist nicht richtig. Mit Gesundheit sollte man kein Geld verdienen. Das ist eine staatliche Aufgabe und die braucht Lenkung. Man muss Krankenhäuser neu denken.
Was bedeutet das?
Es wird immer noch unterschätzt, dass eine bauliche Umgebung, die das Wohlbefinden der Menschen fördert, gesundheitserhaltende und sogar -fördernde Wirkung hat. Diese Erkenntnisse sind schon über 50 Jahre alt und finden dennoch kaum Anwendung im klinischen Bereich.
Was meinen Sie konkret?
Es konnte vielfach nachgewiesen werden, dass beispielsweise eine Raumgestaltung mit natürlichen Materialien wie Holz und Lehm, aber auch die bloße Anwesenheit von naturassoziierten Farben wie Braun und Grün messbare medizinische Effekte hat. Wenn die Kosten-nutzen-analyse für einen Neubau auch solche Faktoren mit einbeziehen würde, würden die Krankenhäuser ganz anders aussehen.
Wer könnte an dem Trend zu immer mehr Effizienz etwas ändern?
Ärzte und Pflegepersonal sind nur das ausführende Glied in einer unübersichtlichen Kette der Akteure im Gesundheitssystem. Da sind die
Entscheidungsträger des Gesundheitssystems, die Manager, Verwalter und Sachbearbeiter in Heilanstalten, Klinikkonzernen,versicherungsgesellschaften. Da sind die politischen Akteure, die den Rahmen für deren Handeln vorgeben. Und da ist schließlich die Zivilgesellschaft. Wir alle sind verantwortlich für das Gesundheitssystem. Pflegenotstand und Fachkräftemangel sind späte Folgen einer langjährigen auf Effizienz, Rationalisierung und Gewinnoptimierung ausgerichteten Wirtschaft.
Was bedeutet das in der Diskussion um den Hufeland-standort?
Man muss die Kosten-nutzenrechnung volkswirtschaftlich denken und bei der Debatte um den Standort Schönstedt/großengottern fragen: Welche Nachteile haben Mühlhausen und Bad Langensalza, die die Krankenhaus-standorte verlieren? Was bedeutet eine weitere Versiegelung von Fläche für die Umwelt? Was der neue Arbeitsort für die Mitarbeiter, was der Standort für Patienten und Kunden? Die Debatte muss in der gesamten Bevölkerung geführt werden. Wir Mühlhäuser und Bad Langensalzaer sollten uns erlauben zu sagen: Das ist unser Krankenhaus.
Wie sieht Ihr Krankenhaus der Zukunft aus?
Ich wünsche mir zunächst, dass unser kleinteiliges und regional ausgerichtetes Versorgungsnetz erhalten bleibt. Eine Republik mit wenigen Superkrankenhäusern, aber auf dem Land schlechtere Erreichbarkeit ist für mich kein vorstellbares Szenario. Auch deshalb ist für mich der Standort Schönstedt/großengottern nicht alternativlos.
Und optisch?
Ginge es nach mir, würden wir für die Krankenhäuser eine ganz neue Architektur entwickeln, sowohl baulich-räumlich als auch für ihre soziale Struktur und Zusammensetzung. Der Mensch und das öffentliche Wohl müssen wieder in den Mittelpunkt gerückt werden – und Krankenhäuser sich zu multifunktionalen Einheiten entwickeln, in denen individuelle Gesundheit auf Augenhöhe, ganzheitlich ausgerichtet und fernab von Konzerninteressen verhandelt wird.
Können Sie sich vorstellen, nach dem Masterstudium ein Krankenhaus zu leiten?
Ich kann mir vorstellen, im Krankenhaus zu arbeiten, Bauprozesse und Umgestaltungen kritisch zu begleiten und zu evaluieren oder politisch aktiv zu werden. Auch Leute mit unserer wissenschaftlichen Ausrichtung gehören in Krankenhäuser, nicht nur die Betriebswirte.