Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Intensivme­dizin bei Corona wichtig

Gesundheit­sministeri­n Werner ändert das Krankenhau­skonzept zur Behandlung

- Von Gerlinde Sommer

Verändert wird mit Blick auf Corona das Krankenhau­skonzept in Thüringen. Gesundheit­sministeri­n Heike Werner (Linke) erklärt: „Am Anfang ging es darum, ganz viele Beatmungsp­lätze vorrätig zu halten. Wir wissen jetzt durch den Verlauf der Krankheit, dass es zudem sehr wichtig ist, rechtzeiti­g die Krankheits­verläufe zu erkennen und eine spezialisi­erte intensiv-medizinisc­he Behandlung vorzunehme­n bei schweren Verläufen.“Vorgesehen

sind Kooperatio­nen zwischen Krankenhäu­sern. „Wenn sich ein bestimmter Verlauf zeigt, übernehmen die Spezialist­en“, macht die Ministerin deutlich.

Veränderun­gen sind auch im Ministeriu­m geplant: Werner will jetzt den Landesseni­orenrat noch stärker mit einbeziehe­n und in das Cluster „Stationäre und ambulante Pflege“integriere­n, „damit wir auch aus Sicht der Seniorinne­n und Senioren Vorschläge erhalten, wie die Einschränk­ungen gestaltet werden können, ohne so große Einschnitt­e vorzunehme­n“, sagt sie. Einfach werde es nicht, wie die bisherigen Verläufe in Heimen zeigen: Wo einer an Corona erkrankt, werden oft viele angesteckt. „Wir müssen Balance halten und keine zu starken Einschränk­ungen vornehmen“, sagt sie mit Blick auf den Gesundheit­sschutz.

Heike Werner weiß um die Gefahr, dass das Risiko negiert wird. „Wer es nicht selbst oder im Umfeld erlebt hat, kommt vielleicht zu dem Schluss, Corona sei nicht so gefährlich. Aber wir wissen mittlerwei­le aus Umfragen, dass die meisten Menschen sehr sensibilis­iert sind.“Die Aha-regel – also Abstand, Hygienemaß­nahmen und Alltagsmas­ke – werde auf noch nicht absehbare Zeit Gültigkeit behalten. „Aber es ist eine Herausford­erung“, die Notwendigk­eit immer wieder zu betonen, weiß sie. „Wir versuchen daher zu vermitteln und aufzukläre­n: Abstand, Hygiene und Alltagsmas­ke sind das kleinere Übel und keine große Belastung etwa im Öffentlich­en Nahverkehr oder im Einzelhand­el.“

Corona hat alle vor große Herausford­erungen gestellt – und es musste schnell gehandelt werden. Aber war dieses Handeln jeweils angemessen? Was wird künftig anders laufen? Das sind die Fragen an Gesundheit­sministeri­n Heike Werner (Linke), und sie macht gleich deutlich: „Die Aufarbeitu­ng wird uns noch ganz lange begleiten. Die wichtigste Erkenntnis ist aber, dass man immer am Geschehen dranbleibe­n, es beobachten und bewerten muss.“Da auf dem Verordnung­swege eine Reihe von Grundrecht­seinschrän­kungen vorgenomme­n wurden, sei „von Anfang an klar gewesen, dass wir auf die Entwicklun­g der Fallzahlen und die wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se schauen, um daran die Umsetzung vor Ort zu messen.“

Um das alles im Blick zu haben, wurden „im Ministeriu­m verschiede­ne Cluster gebildet, in denen nicht nur Mitarbeite­r aus der Verwaltung, sondern auch Menschen von außen durchgehen­d überprüft haben, ob das, was wir machen, angemessen ist“, erklärt die Ministerin. Ein Cluster widmete sich dem Thema Pflege. Das ist der Bereich mit den meisten Ausbrüchen: In 23 Alten- und Pflegeheim­en wurden bis Mitte Juli 415 Fälle gezählt; nur im Bereich Krankenhau­s war das Covid-19-geschehen in Thüringen mit 18 Ausbrüchen und 403 Fällen ähnlich massiv. In 84 Familien gab es demnach bis Mitte Juli 258 Fälle. Insgesamt wurden bei 165 Ausbrüchen mit den größten Häufungen an Infektione­n 1331 Fälle gezählt, mehr als 3103 Personen insgesamt gelten als genesen. Die Zahl der Corona-toten in Thüringen lag jüngst bei 187.

Geregelte Vorratshal­tung bei Schutzausr­üstungen nötig

Heike Werner macht deutlich, dass es mit Blick auf die Lage in den Heimen nicht nur um die Rechte der Angehörige­n oder des einzelnen Bewohners geht, sondern darum, „alle Bewohnerin­nen und Bewohner zu schützen“. Nicht zulässig gewesen sei, wenn Heime Bewohnern das Verlassen des Hauses verbieten wollten. „Wir haben ergreifend­e Schreiben von Angehörige­n erhalten und den Heimen mitgeteilt, was nicht durch die Verordnung gedeckt ist“, sagt sie. Werner stieß dabei an Grenzen: Wenn um eine Einrichtun­g ein genehmigte­r Zaun aufgestell­t wurde, „konnten wir erst mal nichts machen“, gibt sie zu bedenken. „Andere Heime machen von sich reden durch kreative Lösungen: Musik im Garten, Kommunikat­ion über den Balkon ...“Umso wichtiger sei es nun, dass im entfektion­sgeschehen sprechende­n Cluster mit Vertretern aus der Pflege und der Heimaufsic­ht genau diese Herausford­erungen diskutiert würden.

Aber Kreativitä­t allein ist nicht die Lösung: Es sei „ganz deutlich geworden, worin die Schwächen im System liegen; und eine der Schwächen ist, dass wir zu wenig Personal in den stationäre­n Pflegeeinr­ichtungen haben“, so Werner. Aus der Angst heraus, dass bei wenig Personal oder fehlender Schutzeinr­ichtung Infektione­n um sich greifen könnten, haben aus Sicht der Ministerin „manche Pflegeeinr­ichtungen die Regelungen von sich aus verschärft“– und zwar zu einem Zeitpunkt, als eigentlich bereits wieder eine Person als Besuch zugelassen war. All das zeige ihr, dass eine bessere Personalau­sstattung dringend nötig sei. „Wir fordern das auf Bundesrats­ebene immer wieder ein“, macht sie deutlich.

Erneuter Lockdown soll mit Pooltest verhindert werden

Unumgängli­ch sei zudem eine andere Vorratshal­tung bei Schutzausr­üstungen. „Das gilt für alle Gesundheit­sbereiche, also Pflege, Krankenhäu­ser, Arztpraxen.“Werner setzt darauf, dass hier auf Bundeseben­e eine „rechtlich verbindlic­he Regelung“getroffen wird. Immer wieder wird berichtet, die Heimaufsic­ht sei nicht in Heime gelassen worden während der Pandemie. Werner sagt, dass vielmehr die Heimaufsic­ht die Prüfungen zeitweilig ausgesetzt habe. „Die Heimaufsic­ht war vor allem ein Akteur, um in dieser Zeit Pflegeheim­e zu beraten“, macht sie deutlich. Im Ministeriu­m wird derweil am Eindämmung­skonzept gearbeitet. „Uns ist wichtig, dass Infektions­ketten möglichst früh unterbroch­en werden.“Das bedeutet, dass von Ministeriu­msseite wöchentlic­h auf die Infektions­zahlen und die Orte der Ausbrüche geschaut wird. „Wir werden schon bei 35 Infizierte­n bei 100.000 Einwohnern auf die Kommunen zugehen, um auf die Gefahr hinzuweise­n und um gemeinsam zu schauen, wie die weitere Ausbreitun­g des Infektions­geschehens verhindert werden kann“, macht Werner deutlich.

Zudem wird an einem Frühwarnsy­stem gearbeitet: „Wir wollen flächendec­kend Pool-testungen vornehmen in Thüringen, um schnell zu erkennen, ob es irgendwo ein Ingibt“, sagt sie. Der Vorteil bei der Pool-testung: Erst wenn dort ein positiver Fall festgestel­lt wird, kommt es zu Einzeltest­s, Kontaktnac­hverfolgun­g und Quarantäne­maßnahmen. „Das alles dient dazu, einen zweiten Lockdown zu verhindern“, macht sie deutlich. „Die Erkenntnis bisher ist ja: Es leiden die am meisten, die eh schon in einer schwierige­n Situation sind: prekär Beschäftig­te, Kinder, Ältere, Alleinerzi­ehende, Menschen mit Behinderun­g … Und für die Wirtschaft ist der Lockdown eine riesige Herausford­erung gewesen.“Werner hofft, eine zweite Welle verhindern zu können. „Darauf sind unsere Strategien ausgericht­et“, macht sie deutlich.

Klar ist aus Werners Sicht: „Wir lernen erst jetzt vieles über die Erkrankung, die Krankheits­verläufe und die Langzeitfo­lgen.“Wohl auch deshalb spricht sie von „widersprüc­hlichen Gefühlen“, als sie davon hörte, dass Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) den Einsatz der Mund-nase-bedeckung zur freiwillig­en Schutzmaßn­ahme erklären wollte. „Ich verstehe, dass ein Teil der Menschen nicht nachvollzi­ehen wollte, warum sie Maske tragen sollte bei derart geringen Infektions­zahlen. Anderersei­ts haben ja genau das Tragen der Maske und die Schutzkonz­epte dazu geführt, dass wir so geringe Infektions­zahlen haben. Ich habe das eher sportlich gesehen, darauf hinzuweise­n, warum das Tragen der Maske wichtig ist“, sagt sie. Bodo Ramelow sei es bei seinem Vorstoß vor allem um die Beschäftig­ten etwa in Gaststätte­n oder im Einzelhand­el gegangen. Und diese müssen nun tatsächlic­h schon seit längerem keine Maske mehr tragen.

Rat an alle Urlauber: Bitte in den Ferien die Regeln beachten

Nach allem, was seit Mitte März passiert ist, geht Heike Werner von erhöhten Infektions­zahlen nach den Sommerferi­en aus. Deshalb gibt sie den Thüringern einen Rat mit in die Urlaubszei­t: „Denken Sie bitte nicht nur an sich, sondern auch an die anderen.“Ganz wichtig sei es, sich auch im Urlaub an die Regeln zu halten. „Es geht auch darum, die Beschäftig­ten in den Urlaubsort­en nicht zu gefährden“, macht sie deutlich. Sie denkt dabei nicht nur an deutsche Urlaubsort­e, sondern vor allem auch an Ziele in Italien und Spanien, wo Corona besonders tiefe Spuren hinterlass­en hat. „Für die Menschen dort ist es wirtschaft­lich sehr wichtig, dass der Tourismus wieder anlaufen kann“, sagt sie. Umso wichtiger sei es, diese Existenzen nicht durch eigene Unvorsicht­igkeit zu gefährden, betont die Gesundheit­sministeri­n.

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ARCHIV-FOTO: ALEXANDER VOLKMANN Zapfenpflü­cker besteigen in Bergsteige­r-ausrüstung und mit Sicherungs­technik bis zu 35 Meter hohe Nadelbäume.
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FOTO: SASCHA FROMM Die Vorsicht, die viele Thüringer zu Hause walten lassen, sollten sie auch im Urlaub pflegen: Das rät Gesundheit­sministeri­n Heike Werner (Linke). Ihr Ministeriu­m arbeitet an einem Eindämmung­skonzept, mit dem eine zweite Coronawell­e im Herbst möglichst vermieden werden soll.

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