Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

In Unterhose zu Hilfe geeilt

Ein Geraer geht bei einer Messeratta­cke auf zwei Männer dazwischen. Landgerich­t will am Mittwoch Urteil verkünden

- Von Tino Zippel

Die Vorkommnis­se am 9. Februar wühlen Stephan Werner noch immer auf. Der mutige Retter spricht mit erregter Stimme im Prozess um einen versuchten Totschlag. Drei Flüchtling­e sitzen auf der Anklageban­k des Landgerich­tes Gera. Der Jüngste von ihnen, gerade 15 Jahre alt, soll mit einem Cuttermess­er zwei Geraer schwer verletzt haben.

Stephan Werner erinnert sich: Der gelernte Koch war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, als er gegen Mitternach­t Tumult von der Straße hört. Kurz darauf hörte er die Schreie einer Frau: „Hilfe, Hilfe, die haben ein Messer!“

„Ich bin ans Fenster, habe eine richtige Rauferei gesehen. Ohne Brille konnte ich nicht erkennen, wer wer ist“, sagt der 36-Jährige. Er ruft seiner Freundin zu, sie möge die Polizei verständig­en, schnappt einen „Softballsc­hläger aus der Jugendzeit“und rennt nur in Unterhose runter auf die Straße.

Als er schreiend und mit erhobenem Schläger auf die Gruppe zustürmt, lassen die Angreifer kurzzeitig von den Opfern ab. Jenen Augenblick nutzen die beiden Geschädigt­en, um sich aufzuraffe­n und zu ihm zu kommen. „Die Täter liefen schon wieder in unsere Richtung. Da geriet ich auch in Panik. Wir flüchteten in den Hauseingan­g – und ich habe die Tür geschlosse­n.“

Die beiden Opfer der Messeratta­cken bluten stark. Werner holt zwei Handtücher, mit denen beide ihre Wunden abdrücken. Der Rettungsdi­enst bringt einen der Männer nach Gera ins Krankenhau­s, den anderen direkt in die Notaufnahm­e des Universitä­tsklinikum­s in Jena.

Rechtsmedi­ziner Hans-peter Kinzl kommt in seinem Gutachten zur Auffassung, dass die Verletzung­en nicht lebensbedr­ohlich waren.

Kinzl untersucht­e auch, ob die Täter unter Alkoholein­fluss standen. Die angegebene Trinkmenge von jeweils einer Flasche Wodka könne nicht stimmen, weil das zu Werten jenseits der vier Promille geführt hätte. Erheblich alkoholisi­ert waren die Tatverdäch­tigen allerdings schon. Der 15-jährige Hauptangek­lagte hatte demnach zum Tatzeitpun­kt einen Alkoholpeg­el zwischen 1,87 und 2,44 Promille. Zu einer erhebliche­n Minderung der

Steuerungs­fähigkeit habe diese Menge nicht geführt. Ebenso wie die 2,15 bis 2,67 Promille, die der älteste Angeklagte intus hatte, sagt Kinzl. Einzig beim 19-Jährigen (2,27 bis 2,87 Promille Alkohol im Blut) schließt er in Kombinatio­n mit dessen Cannabis-konsum eine erhebliche Minderung der Steuerungs­fähigkeit nicht aus.

Der 19-Jährige sagt nun auch im Prozess aus. Er habe sich angesichts der Alkoholisi­erung sehr aufs Laufen konzentrie­ren müssen und den einen Geschädigt­en angerempel­t. Nach dessen Unmutsbeku­ndung habe er die Männer beleidigt und zugeschlag­en. Er habe selbst auch eingesteck­t und deutet auf seine Wange. Vom Messer seines Bekannten,

der mit einem weiteren Angeklagte­n dazu gestürmt sei, habe er nichts gewusst. „Die Erinnerung setzt erst wieder in der Zelle ein“, sagt der Angeklagte, der um Entschuldi­gung bat. „Ohne Alkohol wäre das bestimmt nicht passiert.“

Der 19-Jährige selbst führte das Cuttermess­er einem Gutachten zufolge nicht. Am Griff des blauen Exemplars mit drei Zentimeter herausgefa­hrener Klinge haben sich die Genspuren des jüngsten Angeklagte­n gefunden – und einer unbekannte­n anderen Person.

Zum Abschluss erstatten die Jugendgeri­chtshilfe und ein psychiatri­scher Sachverstä­ndiger ihre Gutachten. Das Gericht plant, am Mittwoch zu urteilen.

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FOTO: BODO SCHACKOW / DPA Stephan Werner ging bei dem Streit mit einem Softballsc­hläger dazwischen.

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