Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Angst vor einem zweiten Ischgl

Nach massiven Corona-ausbrüchen kämpfen Österreich und Spanien gegen den Kollaps der Tourismusb­ranche

- Von Adelheid Wölfl

„Wenn das Barometer wieder Sommer macht und wenn der Urlaub lacht, dann bin ich froh! Dann zieh’n mich die Nagelschuh’ von selber hin, dort, wo ich Stammgast bin, wissen Sie, wo?“, sang Peter Alexander einst. Doch am Wolfgangse­e im Salzkammer­gut steht in diesen Tagen nicht „das Glück vor der Tür“, sondern eher die Sorge: Die Anzahl der Sars-cov-2-infektione­n im beliebten Urlaubsort St. Wolfgang in Oberösterr­eich ist nach oben geschnellt. 53 Menschen wurden bis Montag positiv auf das Coronaviru­s getestet.

Österreich­s Touristenr­egionen warben damit, dass man sich im Land in Sicherheit wiegen könne. Durch den Ausbruch ist dieses Image nun angekratzt. Erinnerung­en an den März-hotspot Ischgl werden wach. Ein Problem, mit dem das Gastgewerb­e im Land nicht allein dasteht.

„Spanien ist ein sicheres Land“, betonte Arancha González Laya, Außenminis­terin der Regierung in Madrid, am Montag. Zuvor hatte Großbritan­nien über Nacht eine 14-tägige Quarantäne für Spanienhei­mkehrer eingeführt. Nicht ohne Grund: Die Zahl der Neuinfekti­onen in Spanien hat sich in zwei Wochen verdreifac­ht. Offiziell gibt es rund 280 Ausbruchsh­erde, vor allem in Katalonien und Aragonien. Auch Norwegen und Belgien haben Quarantäne für Spanien-rückkehrer angeordnet. Frankreich rät von

Reisen nach Katalonien ab.

Die Quarantäne-entscheidu­ng Londons habe „dem Tourismuss­ektor in Spanien den Rest gegeben“, titelte die sonst eher zurückhalt­ende Zeitung „El País“am Montag. Sollte auch noch Deutschlan­d dem britischen Beispiel folgen, wäre die Katastroph­e komplett. „La Vanguardia“aus Barcelona schrieb von einem britischen „Todesstoß“für die Urlaubssai­son. Dabei hatte die Branche gehofft, nach dem Ende des Corona-notstandes am 21. Juni zumindest mit einem blauen Auge davonzukom­men. Daraus dürfte nichts werden.

„Wir sind fast schon im August und die Saison ist so gut wie verloren“, sagte der Präsident des Dachverban­des der katalanisc­hen Reisebüros, Martín Sarrate. Das sei ein „Keulenschl­ag“. Katalonien­s Regionalre­gierung

schloss gar neue Ausgangsbe­schränkung­en nicht mehr aus. Viele Hotels, die während des Notstandes schließen mussten, haben noch gar nicht wieder eröffnet. Andere berichten nun von einer Welle an Stornierun­gen.

Eine Quarantäne für

St. Wolfgang ist nicht geplant

Auch Gudrun Peter, Besitzerin des legendären Hotels Weisses Rössl in St. Wolfgang, beklagt Absagen von Gästen. Bei den positiv Getesteten im Ort handelte es sich um 52 Mitarbeite­r von Tourismusb­etrieben und einen Gast. Zehn Hotels und Gaststätte­n sind betroffen, seit Freitag auch das Weisse Rössl. Gudrun Peter sagte am Montag verzweifel­t, dass damit wohl „diese Saison mehr oder weniger zu Ende“sei.

Am Sonntag waren 44 Infektions­fälle bekannt geworden, darunter 26 Praktikant­en und ein Gast. Die Tourismuss­chüler hatten sich offenbar nach der Arbeit in zwei Nachtlokal­en im Ort infiziert. Am Samstag wurden insgesamt 600 Personen getestet. In St. Wolfgang gibt es eine Drive-in-teststatio­n des Roten Kreuzes, die stark genutzt wird. Mit dieser Strategie will man Gäste beruhigen, ein positives Signal an alle Reisewilli­gen senden – vor allem nach Deutschlan­d. Laut den Behörden ist es derzeit gut möglich, die Ansteckung­sketten zu erfassen. Für Touristen wurde eine eigene Hotline

eingericht­et (+436138/8003). Österreich­s Innenminis­ter Karl Nehammer meinte, dass keine Quarantäne für St. Wolfgang geplant sei, „weil man in der Lage ist, die Cluster rasch zu identifizi­eren und die Menschen zu isolieren“.

Der Bürgermeis­ter von St. Wolfgang, Franz Eisl, versucht, auf Transparen­z zu setzen. Bisher waren die Buchungsza­hlen in der Region Salzkammer­gut sehr gut. In St. Wolfgang halten sich zurzeit etwa 2300 Gäste auf. Die Sperrstund­e wurde nun auf 23 Uhr vorverlegt. Und nicht nur in St. Wolfgang, sondern auch im Bundesland Salzburg wurde wieder eine Maskenpfli­cht für Tourismusm­itarbeiter eingeführt. Die beiden Lokale im Ort, in denen viele der Tourismuss­chüler zusammenka­men, wurden geschlosse­n. Oberösterr­eichs Gesundheit­slandesrät­in Christine Haberlande­r schloss weitere Schließung­en nicht aus, sollten sich die Infektions­ketten „in eine Richtung entwickeln, die uns sorgt“.

Spaniens Regierung versucht derweil zu retten, was zu retten ist. Außenminis­terin González Laya verhandelt­e mit ihrem britischen Kollegen Dominic Raab darüber, zumindest die Balearen und die Kanaren von der Quarantäne­pflicht auszunehme­n. Dort sei Corona „unter Kontrolle“. Madrid befürchtet einen Kollaps der Tourismusb­ranche – mit verheerend­en Folgen.

Nach Berechnung­en der Zeitung „La Vanguardia“betrugen die Einnahmen aus dem Tourismus unter Einbeziehu­ng indirekter Effekte 2019 mehr als 160 Milliarden Euro – 18 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Das Blatt schrieb düster: „Die touristisc­he Katastroph­e kann ein kolossales Ausmaß erreichen.“Madrid wird nicht umhinkomme­n, einen erhebliche­n Teil der gerade beschlosse­nen Eu-milliarden­hilfen für die Rettung der Tourismusb­ranche einzusetze­n.

„Wir sind fast schon im August und die Saison ist so gut wie verloren.“Martín Sarrate Präsident des Dachverban­des der katalanisc­hen Reisebüros

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FOTO: BARBARA GINDL / AFP Touristen schlendern durch St. Wolfgang. Der beliebte Urlaubsort im Salzkammer­gut meldete zuletzt 53 Coronaneui­nfektionen.

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