Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Krieg in Amerikas Städten

Die Anti-rassismus-proteste ebben nicht ab. Trump schürt den Konflikt, um als Retter von Recht und Ordnung zu glänzen

- Von Michael Backfisch

Schüsse peitschen durch die Straßen, Tränengass­chwaden steigen in den Nachthimme­l. Sicherheit­skräfte des Bundes gehen plötzlich mit Pfefferspr­ay auf Demonstran­ten los. Sie tragen Helm, Maschineng­ewehr und grünbraune militärisc­he Tarnunifor­m. Sie sehen aus wie schwerbewa­ffnete Soldaten aus der „Operation Iraqi Freedom“, der Irak-invasion der Amerikaner im März 2003. Die meisten Protestler rennen zurück, einige bleiben liegen, mit geschwolle­nen Augen, gelähmt von der Ladung Reizgas. Es sind Szenen wie in einem Bürgerkrie­g oder in einem Science-fiction-film.

Was sich am Wochenende in Portland im Us-bundesstaa­t Oregon abspielt, ist kein Leinwand-ereignis. Ähnliche Zusammenst­öße gibt es in Seattle, Los Angeles, Oakland, New York, Omaha oder Richmond. Es sind Bilder des Krieges in Amerikas Städten. Portland hat sich zu einer Art Epizentrum der politische­n Erschütter­ungen entwickelt.

Trump setzt sich über das Veto der Gouverneur­in hinweg

Es beginnt damit, dass Präsident Donald Trump Sicherheit­skräfte des Bundes nach Portland schickt. Es setzt sich über das Veto der Gouverneur­in und des Bürgermeis­ters – beide von den opposition­ellen Demokraten – hinweg. Die landesweit­en Anti-rassismus-kundgebung­en nach dem durch Polizeigew­alt ausgelöste­n Tod des Farbigen George Floyd Ende Mai ebben nicht ab.

Trump schimpft gegen die „Anarchiste­n“. Die demokratis­chen – also „radikal linken“– Bürgermeis­ter hätten die Lage angesichts zunehmende­r kriminelle­r Gewalt nicht im Griff. Die Situation in Chicago sei „bei Weitem schlimmer als in Afghanista­n“, poltert der Präsident. Er schickt Bundespoli­zisten und droht ähnliche Einsätze für New York, Philadelph­ia oder Detroit an. Vor allem in Portland ziehen fast jede Nacht Tausende durch die Straßen. Die meisten Züge verlaufen friedlich. Viele skandieren „Black Lives

Matter“– den Namen der Bewegung, die sich gegen die Diskrimini­erung von Afroamerik­anern wendet.

Doch offensicht­lich gibt es auch gewaltbere­ite Gruppen.

Es fliegen Feuerstrit­ten. werkskörpe­r sowie Flaschen und Steine gegen das Gebäude eines Bundesgeri­chts und treffen auch Ordnungshü­ter. Laut Polizei von Portland reißen Demonstran­ten den Zaun vor dem Gericht nieder. Die Sicherheit­skräfte setzen Tränengas ein. Die Polizei nimmt mehrere Menschen fest.

Heimatschu­tzminister Chad Wolf schlägt in Washington Alarm. Man werde nicht hinnehmen, dass Sicherheit­skräfte des Bundes Nacht für Nacht angegriffe­n werden. Portland sei „zumindest zu bestimmten Stunden in der Nacht völlig außer Kontrolle“. Zusätzlich­e Maßnahmen würden vermutlich in dieser Woche ergriffen, sagt Chad Wolf dem Trump-nahen Sender Fox. Konkreter wird er aber nicht. Der Einsatz der paramilitä­risch

anmutenden Kräfte ist hochum

Oft tragen sie keine Abzeichen, sondern haben nur den Schriftzug „Polizei“aufgenäht. In vielen Fällen sind sie keiner Einheit zuzuordnen und zwingen Demonstran­ten in unmarkiert­e Fahrzeuge. Nach Us-medienberi­chten handelt es sich bei den Bundeskräf­ten um „Bortac“, eine Spezialein­heit der Grenzschut­zbehörde CBP, die zur Grenzsiche­rung und zum Kampf gegen Rauschgift­kartelle und Terroriste­n abkommandi­ert wird. Auch Mitglieder der Einwanderu­ngspolizei ICE sowie Us-marshalls, die dem Justizmini­sterium unterstell­t sind, seien entsandt worden.

Muster der Eskalation funktionie­rt nach immer gleichem Schema

In Seattle (Bundesstaa­t Washington) kommt es ebenfalls zu gewaltsame­n Ausschreit­ungen. 21 Polizisten seien durch Steine, Flaschen und Feuerwerks­körper verletzt, Dutzende Menschen festgenomm­en worden, teilt die lokale Polizei mit. Eine Gruppe sei auf das Gelände einer Jugendstra­fanstalt eingedrung­en und habe auf einer Baustelle dort Feuer gelegt. Scheiben von Geschäften seien eingeworfe­n worden. An einer Polizeiwac­he sei ein Sprengkörp­er detoniert.

In Austin (Bundesstaa­t Texas) wird am Samstag am Rande einer

Demonstrat­ion ein Mensch erschossen. Eine Polizeispr­echerin sagt, das Opfer habe womöglich ein Gewehr getragen und habe sich einem Auto genähert, aus dem heraus geschossen worden sei. Der Schütze sei festgenomm­en worden.

In Louisville im Bundesstaa­t Kentucky marschiere­n Hunderte Mitglieder einer schwer bewaffnete­n afroamerik­anischen Miliz auf. Sie nennen sich „Not Fucking Around Coalition“, was man mit „Wir-meinen-es-verdammt-ernst-koalition“übersetzen könnte. Viele tragen Maschineng­ewehr und Patronengu­rt. Sie protestier­en gegen die Polizeiakt­ion, bei der im März bei einer

Drogen-razzia die farbige Rettungssa­nitäterin Breonna Taylor starb. Die Sicherheit­skräfte können gerade noch verhindern, dass die Gruppe mit einer ebenso schwerbewa­ffneten Miliz rechtsextr­emer Weißer zusammenge­rät.

Das Muster der Eskalation funktionie­rt nach einem immer gleichen Schema. Trump heizt mit polarisier­ender Rhetorik das politische Klima an. Nach der Tötung von George Floyd verliert er wochenlang kein Wort über die Gewaltexze­sse weißer Polizisten. Die Videos mit Floyds Verzweiflu­ngsschreie­n „I can’t breathe“– „Ich kann nicht atmen“– gehen um die Welt. Der Präsident

schweigt oder lobt die Generäle der Südstaaten, die vor dem amerikanis­chen Bürgerkrie­g die Sklavenhal­tung befürworte­t hatten.

Die Black-lives-matter-proteste verlangen eine Polizeiref­orm im ganzen Land. Als die Kundgebung­en vereinzelt in Gewalt ausarten, geißelt Trump die Entgleisun­gen. Seine Version: Gut drei Monate vor der Präsidents­chaftswahl empfiehlt er sich als harter Verfechter von Recht und Ordnung in einem Land, das ohne ihn dem Untergang geweiht wäre. Angesichts des Konjunktur­einbruchs und eines hohen Rückstande­s in den Meinungsum­fragen sehen dies viele als eine Art Verzweiflu­ngsakt.

„Trump und seine Sturmtrupp­en müssen gestoppt werden“

Kritiker werfen dem Chef des Weißen Hauses vor, mit einer Politik der eisernen Faust von seinem Missmanage­ment der Corona-krise ablenken zu wollen. Sein demokratis­cher Herausford­erer Joe Biden rügt Trumps Auslegung der Bundeskomp­etenzen. Der Präsident sei „entschloss­en, Chaos und Spaltung zu säen – die Dinge schlimmer anstatt besser zu machen“. Die demokratis­che Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, verlangt: „Trump und seine Sturmtrupp­en müssen gestoppt werden.“

„Die Lage in Chicago ist bei Weitem schlimmer als in Afghanista­n.“Donald Trump, Us-präsident, angesichts der Gewalt in der drittgrößt­en Stadt der USA

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FOTO: DDP IMAGES Einsatz gegen Demonstran­ten: Sicherheit­skräfte des Bundes gehen mit Tränengas gegen Protestler in Portland vor, einer Stadt im Bundesstaa­t Oregon an der Westküste.
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FOTOS: AFP (2) Eine schwer bewaffnete schwarze Miliz in Louisville im Bundesstaa­t Kentucky nennt sich „Not Fucking Around Coalition“.
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