Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Krieg in Amerikas Städten
Die Anti-rassismus-proteste ebben nicht ab. Trump schürt den Konflikt, um als Retter von Recht und Ordnung zu glänzen
Schüsse peitschen durch die Straßen, Tränengasschwaden steigen in den Nachthimmel. Sicherheitskräfte des Bundes gehen plötzlich mit Pfefferspray auf Demonstranten los. Sie tragen Helm, Maschinengewehr und grünbraune militärische Tarnuniform. Sie sehen aus wie schwerbewaffnete Soldaten aus der „Operation Iraqi Freedom“, der Irak-invasion der Amerikaner im März 2003. Die meisten Protestler rennen zurück, einige bleiben liegen, mit geschwollenen Augen, gelähmt von der Ladung Reizgas. Es sind Szenen wie in einem Bürgerkrieg oder in einem Science-fiction-film.
Was sich am Wochenende in Portland im Us-bundesstaat Oregon abspielt, ist kein Leinwand-ereignis. Ähnliche Zusammenstöße gibt es in Seattle, Los Angeles, Oakland, New York, Omaha oder Richmond. Es sind Bilder des Krieges in Amerikas Städten. Portland hat sich zu einer Art Epizentrum der politischen Erschütterungen entwickelt.
Trump setzt sich über das Veto der Gouverneurin hinweg
Es beginnt damit, dass Präsident Donald Trump Sicherheitskräfte des Bundes nach Portland schickt. Es setzt sich über das Veto der Gouverneurin und des Bürgermeisters – beide von den oppositionellen Demokraten – hinweg. Die landesweiten Anti-rassismus-kundgebungen nach dem durch Polizeigewalt ausgelösten Tod des Farbigen George Floyd Ende Mai ebben nicht ab.
Trump schimpft gegen die „Anarchisten“. Die demokratischen – also „radikal linken“– Bürgermeister hätten die Lage angesichts zunehmender krimineller Gewalt nicht im Griff. Die Situation in Chicago sei „bei Weitem schlimmer als in Afghanistan“, poltert der Präsident. Er schickt Bundespolizisten und droht ähnliche Einsätze für New York, Philadelphia oder Detroit an. Vor allem in Portland ziehen fast jede Nacht Tausende durch die Straßen. Die meisten Züge verlaufen friedlich. Viele skandieren „Black Lives
Matter“– den Namen der Bewegung, die sich gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern wendet.
Doch offensichtlich gibt es auch gewaltbereite Gruppen.
Es fliegen Feuerstritten. werkskörper sowie Flaschen und Steine gegen das Gebäude eines Bundesgerichts und treffen auch Ordnungshüter. Laut Polizei von Portland reißen Demonstranten den Zaun vor dem Gericht nieder. Die Sicherheitskräfte setzen Tränengas ein. Die Polizei nimmt mehrere Menschen fest.
Heimatschutzminister Chad Wolf schlägt in Washington Alarm. Man werde nicht hinnehmen, dass Sicherheitskräfte des Bundes Nacht für Nacht angegriffen werden. Portland sei „zumindest zu bestimmten Stunden in der Nacht völlig außer Kontrolle“. Zusätzliche Maßnahmen würden vermutlich in dieser Woche ergriffen, sagt Chad Wolf dem Trump-nahen Sender Fox. Konkreter wird er aber nicht. Der Einsatz der paramilitärisch
anmutenden Kräfte ist hochum
Oft tragen sie keine Abzeichen, sondern haben nur den Schriftzug „Polizei“aufgenäht. In vielen Fällen sind sie keiner Einheit zuzuordnen und zwingen Demonstranten in unmarkierte Fahrzeuge. Nach Us-medienberichten handelt es sich bei den Bundeskräften um „Bortac“, eine Spezialeinheit der Grenzschutzbehörde CBP, die zur Grenzsicherung und zum Kampf gegen Rauschgiftkartelle und Terroristen abkommandiert wird. Auch Mitglieder der Einwanderungspolizei ICE sowie Us-marshalls, die dem Justizministerium unterstellt sind, seien entsandt worden.
Muster der Eskalation funktioniert nach immer gleichem Schema
In Seattle (Bundesstaat Washington) kommt es ebenfalls zu gewaltsamen Ausschreitungen. 21 Polizisten seien durch Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper verletzt, Dutzende Menschen festgenommen worden, teilt die lokale Polizei mit. Eine Gruppe sei auf das Gelände einer Jugendstrafanstalt eingedrungen und habe auf einer Baustelle dort Feuer gelegt. Scheiben von Geschäften seien eingeworfen worden. An einer Polizeiwache sei ein Sprengkörper detoniert.
In Austin (Bundesstaat Texas) wird am Samstag am Rande einer
Demonstration ein Mensch erschossen. Eine Polizeisprecherin sagt, das Opfer habe womöglich ein Gewehr getragen und habe sich einem Auto genähert, aus dem heraus geschossen worden sei. Der Schütze sei festgenommen worden.
In Louisville im Bundesstaat Kentucky marschieren Hunderte Mitglieder einer schwer bewaffneten afroamerikanischen Miliz auf. Sie nennen sich „Not Fucking Around Coalition“, was man mit „Wir-meinen-es-verdammt-ernst-koalition“übersetzen könnte. Viele tragen Maschinengewehr und Patronengurt. Sie protestieren gegen die Polizeiaktion, bei der im März bei einer
Drogen-razzia die farbige Rettungssanitäterin Breonna Taylor starb. Die Sicherheitskräfte können gerade noch verhindern, dass die Gruppe mit einer ebenso schwerbewaffneten Miliz rechtsextremer Weißer zusammengerät.
Das Muster der Eskalation funktioniert nach einem immer gleichen Schema. Trump heizt mit polarisierender Rhetorik das politische Klima an. Nach der Tötung von George Floyd verliert er wochenlang kein Wort über die Gewaltexzesse weißer Polizisten. Die Videos mit Floyds Verzweiflungsschreien „I can’t breathe“– „Ich kann nicht atmen“– gehen um die Welt. Der Präsident
schweigt oder lobt die Generäle der Südstaaten, die vor dem amerikanischen Bürgerkrieg die Sklavenhaltung befürwortet hatten.
Die Black-lives-matter-proteste verlangen eine Polizeireform im ganzen Land. Als die Kundgebungen vereinzelt in Gewalt ausarten, geißelt Trump die Entgleisungen. Seine Version: Gut drei Monate vor der Präsidentschaftswahl empfiehlt er sich als harter Verfechter von Recht und Ordnung in einem Land, das ohne ihn dem Untergang geweiht wäre. Angesichts des Konjunktureinbruchs und eines hohen Rückstandes in den Meinungsumfragen sehen dies viele als eine Art Verzweiflungsakt.
„Trump und seine Sturmtruppen müssen gestoppt werden“
Kritiker werfen dem Chef des Weißen Hauses vor, mit einer Politik der eisernen Faust von seinem Missmanagement der Corona-krise ablenken zu wollen. Sein demokratischer Herausforderer Joe Biden rügt Trumps Auslegung der Bundeskompetenzen. Der Präsident sei „entschlossen, Chaos und Spaltung zu säen – die Dinge schlimmer anstatt besser zu machen“. Die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verlangt: „Trump und seine Sturmtruppen müssen gestoppt werden.“
„Die Lage in Chicago ist bei Weitem schlimmer als in Afghanistan.“Donald Trump, Us-präsident, angesichts der Gewalt in der drittgrößten Stadt der USA