Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Deutsch als Rettung
Wie der Schriftsteller Hilaire Mbakop aus Kamerun glücklich nach Weimar fand
Nach 20 Jahren in Amerika ist Mambé soeben gelandet und will die letzten Kilometer nach Hause, in die kamerunische Hauptstadt Yaoundé, per Überlandbus absolvieren. „Hier nagen die meisten Menschen am Hungertuch“, erklärt ihm der Taxifahrer auf der Fahrt zum Reisebüro und schildert die miserablen Verhältnisse im Lande. Dennoch lässt Mambé sich von der fixen Idee nicht abbringen, in der alten Heimat nun bleiben zu wollen.
So beginnt der Roman „Mambés Heimat“, 2007 originalsprachlich auf Deutsch im Athena-verlag, Oberhausen, erschienen. Den Autor Hilaire Mbakop indes trifft man am besten in Weimar, zum Beispiel unterm Blätterdach eines Gartencafés gleich neben dem Schloss. Für Mbakop ist das nur einen Katzensprung weg von seinem Arbeitsplatz: bei der Klassik-stiftung. Da sitzt er schon im taubenblauen Hemd und winkt. Und natürlich erzählt er gern seine eigene Geschichte, von der Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt in die Heimat und dann von seiner abenteuerlichen Flucht, die vorerst recht glücklich in der Klassikstadt endete. Ein bisschen wie bei Friedrich Schiller.
Die Flucht endete in einem Gefängnis im Sudan
„Ich bin Kameruner!“beteuert Mbakop und rollt mit den Augen. Einen Pass kann er zurzeit nicht vorweisen, das ist sein wunder Punkt. Stattdessen zückt er eine sogenannte Fiktionsbescheinigung, mit der die Behörden ihm befristetes Aufenthaltsrecht gewähren. Asyl genießt er nicht, er hat‘s nicht mal beantragt. Und ist doch heilfroh, hier zu sein. Eine Rückkehr nach Kamerun, jetzt würde sie für ihn übel ausgehen. Denn seit fast 40 Jahren wird das Land autokratisch von Paul Biya regiert, die Grundrechte schränkt ein vermeintliches Anti-terror-gesetz ein, und in der Rangliste der Pressefreiheit haben „Reporter ohne Grenzen“Kamerun erst auf Platz 134 gelistet. Und Mbakop hat sich bei den Behörden zuhause ziemlich unbeliebt gemacht.
„Ich bin aus Kamerun geflüchtet“, berichtet der 47-Jährige. Die Familie, Kinder und Freunde hat er zurückgelassen, als er im Frühjahr 2018 die Militärposten an der Grenze zum Tschad mit einer List überwand. Die will er partout nicht verraten, um das Schlupfloch für gleichgesinnte Leidensgenossen nicht zu gefährden. Erst im Sudan wurde er aufgegriffen und in Khartum inhaftiert. Acht Monate lang. Über die Situation im Gefängnis schweigt er sich aus. Keine Hilfe aus der Heimat, den Kontakt zum örtlichen Un-büro ließen die Behörden nicht zu. Bis er auf die Idee kam, die deutsche Botschaft und das Goethe-institut einzuschalten.
Bei deren diplomatischer Befreiungsaktion war die Klassik-stiftung schon mit involviert, so dass die Flucht aus Zentralafrika, dem Herz der Finsternis, nicht zufällig in Ilm-arkadien – Weimar! – ihr vorläufiges Ende nahm. Für jeden promovierten Germanisten, zumal aus dem fernen Ausland, sei das doch ein Traum, meint Mbakop und lacht. – Aber was hat er ausgefressen? Da wird seine Miene augenblicklich wieder stockernst. „Ich wollte eine Art Aufstand organisieren“, verrät er. Und verkündet: „Humanisten
taugen etwas, wenn sie nicht nur große Worte machen, sondern auch zuschlagen. Wenn sie nicht nur reden, sondern auch handeln.“
In einem offenen Brief forderte er den Präsidenten zum Rücktritt auf
Haltung, das ist das einzige, das in seinen Augen etwas zählt. In dürren Worten schildert Hilaire Mbakop, wie er über Monate hinweg mit kritischen Aufsätzen das Regime gegen sich aufgebracht habe und wie die Situation eskalierte, als ihm, dem Germanistik-dozenten an der Universität Yaoundé, ein Minister den Hörsaal für Auftritte vor Studierenden streitig machte. Das wollte sich Mbakop nicht gefallen lassen. „Es gab einen Zusammenstoß“, sagt er lapidar. Die Folge war seine Entlassung.
„Sie waren es nicht gewohnt, dass sich jemand so sträubt gegen das
System“, erklärt der Dissident. Dann skizziert er die Lage im Land: die alles beherrschende Korruption, die Dominanz des Militärs, den Tribalismus, nach dem alle mit einer Herkunft aus der südlichen Stammesgegend des Präsidenten Vorzüge genießen, die Armut und den wachsenden Einfluss Chinas. In einem offenen, online publizierten Brief forderte Hilaire Mbakop sogar Biya zum Rücktritt auf. „Danach“, sagt er, „war es sehr gefährlich für mich geworden.“
Dabei hätte er’s durchaus bequem haben können. Zwar stammt Mbakop aus Bangangté im Westen des Landes, aber Deutsch lernte er, nach der Muttersprache Medumba sowie Französisch und Englisch, schon in der Schule – mit Begeisterung. „Ich habe nach dem Abitur keine Zeit verstreichen lassen, mich an der Universität für Germanistik anzumelden.“Das Master-examen hat er bereits zur Hälfte in Frankfurt am Main, an der Goethe-universität, absolviert: mit einer Arbeit über Goethes „Egmont“und „Götz“. Um anschließend mithilfe eines Stipendiums vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) eine Dissertation über „Kritik und Engagement in den politischen Schriften von Heinrich Mann und André Gide“zu verfertigen. „Beide waren für mich Paradebeispiele für Humanismus“, sagt er.
Trotzdem kehrte er, wie sein Romanheld Mambé, zunächst in die Heimat zurück. Bis dort seines Bleiben nicht länger war. Wie glücklich die Flucht gelungen ist, wird erst allmählich deutlich: Als Mitarbeiter der deutschen Botschaft ihn, wie er erzählt, in Khartum schließlich zum Flughafen fuhren, war sein Pass gerade noch fünf Tage gültig. „Ich habe an Brecht gedacht: Ein guter Pass wird akzeptiert, aber ein guter Mensch nicht unbedingt.“
Mbakop spricht ein langsames, grammatikalisch jedoch perfektes Deutsch. „Deutsch“, sagt er, „ist meine Rettung. Die Rettung, nicht zensiert zu werden.“Er misstraut französischen Verlagen und verfasst alles Belletristische in der fremden Sprache, sogar Gedichte und Märchen. Nur das Publizistische, fast immer online, auf Französisch.
Die Arbeit in der Administration behindert literarische Projekte
„Was ich erreicht habe? – Nichts! Es ist wie eine Wand.“Trotz alledem will sich Mbakop keinesfalls ausbürgern lassen. Er besteht auf einen kamerunischen Pass; dabei hilft ihm auch die Klassik-stiftung. Offiziell arbeitet er nun in deren Pressestelle, ist für Foto- und Drehgenehmigungen zuständig und übersetzt deren Website – ein klarer Fall von Unterforderung im administrativen Geschäft. Er habe sogar schon überlegt, ob er sich, wie seinerzeit Goethe, auf eine „italienische Reise“begeben solle, um mehr Zeit für seine literarischen Projekte zu gewinnen, scherzt er. Das wäre gleich noch eine Flucht...
Doch zuerst muss er seine Verhältnisse klären. Ein gültiger Ausweis muss her. Dann kann er vielleicht für die Familie in der Heimat etwas erreichen. Und leichter, entspannter Bücher publizieren – standesgemäß als Schriftsteller und Intellektueller. Nur eine Rückkehr in die Heimat, die steht, solange sich nichts an den dortigen Verhältnissen ändert, für den Weltbürger Hilaire Mbakop in den Sternen.