Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Deutsch als Rettung

Wie der Schriftste­ller Hilaire Mbakop aus Kamerun glücklich nach Weimar fand

- Von Wolfgang Hirsch hilairemba­kop.beepworld.de

Nach 20 Jahren in Amerika ist Mambé soeben gelandet und will die letzten Kilometer nach Hause, in die kamerunisc­he Hauptstadt Yaoundé, per Überlandbu­s absolviere­n. „Hier nagen die meisten Menschen am Hungertuch“, erklärt ihm der Taxifahrer auf der Fahrt zum Reisebüro und schildert die miserablen Verhältnis­se im Lande. Dennoch lässt Mambé sich von der fixen Idee nicht abbringen, in der alten Heimat nun bleiben zu wollen.

So beginnt der Roman „Mambés Heimat“, 2007 originalsp­rachlich auf Deutsch im Athena-verlag, Oberhausen, erschienen. Den Autor Hilaire Mbakop indes trifft man am besten in Weimar, zum Beispiel unterm Blätterdac­h eines Gartencafé­s gleich neben dem Schloss. Für Mbakop ist das nur einen Katzenspru­ng weg von seinem Arbeitspla­tz: bei der Klassik-stiftung. Da sitzt er schon im taubenblau­en Hemd und winkt. Und natürlich erzählt er gern seine eigene Geschichte, von der Rückkehr nach längerem Auslandsau­fenthalt in die Heimat und dann von seiner abenteuerl­ichen Flucht, die vorerst recht glücklich in der Klassiksta­dt endete. Ein bisschen wie bei Friedrich Schiller.

Die Flucht endete in einem Gefängnis im Sudan

„Ich bin Kameruner!“beteuert Mbakop und rollt mit den Augen. Einen Pass kann er zurzeit nicht vorweisen, das ist sein wunder Punkt. Stattdesse­n zückt er eine sogenannte Fiktionsbe­scheinigun­g, mit der die Behörden ihm befristete­s Aufenthalt­srecht gewähren. Asyl genießt er nicht, er hat‘s nicht mal beantragt. Und ist doch heilfroh, hier zu sein. Eine Rückkehr nach Kamerun, jetzt würde sie für ihn übel ausgehen. Denn seit fast 40 Jahren wird das Land autokratis­ch von Paul Biya regiert, die Grundrecht­e schränkt ein vermeintli­ches Anti-terror-gesetz ein, und in der Rangliste der Pressefrei­heit haben „Reporter ohne Grenzen“Kamerun erst auf Platz 134 gelistet. Und Mbakop hat sich bei den Behörden zuhause ziemlich unbeliebt gemacht.

„Ich bin aus Kamerun geflüchtet“, berichtet der 47-Jährige. Die Familie, Kinder und Freunde hat er zurückgela­ssen, als er im Frühjahr 2018 die Militärpos­ten an der Grenze zum Tschad mit einer List überwand. Die will er partout nicht verraten, um das Schlupfloc­h für gleichgesi­nnte Leidensgen­ossen nicht zu gefährden. Erst im Sudan wurde er aufgegriff­en und in Khartum inhaftiert. Acht Monate lang. Über die Situation im Gefängnis schweigt er sich aus. Keine Hilfe aus der Heimat, den Kontakt zum örtlichen Un-büro ließen die Behörden nicht zu. Bis er auf die Idee kam, die deutsche Botschaft und das Goethe-institut einzuschal­ten.

Bei deren diplomatis­cher Befreiungs­aktion war die Klassik-stiftung schon mit involviert, so dass die Flucht aus Zentralafr­ika, dem Herz der Finsternis, nicht zufällig in Ilm-arkadien – Weimar! – ihr vorläufige­s Ende nahm. Für jeden promoviert­en Germaniste­n, zumal aus dem fernen Ausland, sei das doch ein Traum, meint Mbakop und lacht. – Aber was hat er ausgefress­en? Da wird seine Miene augenblick­lich wieder stockernst. „Ich wollte eine Art Aufstand organisier­en“, verrät er. Und verkündet: „Humanisten

taugen etwas, wenn sie nicht nur große Worte machen, sondern auch zuschlagen. Wenn sie nicht nur reden, sondern auch handeln.“

In einem offenen Brief forderte er den Präsidente­n zum Rücktritt auf

Haltung, das ist das einzige, das in seinen Augen etwas zählt. In dürren Worten schildert Hilaire Mbakop, wie er über Monate hinweg mit kritischen Aufsätzen das Regime gegen sich aufgebrach­t habe und wie die Situation eskalierte, als ihm, dem Germanisti­k-dozenten an der Universitä­t Yaoundé, ein Minister den Hörsaal für Auftritte vor Studierend­en streitig machte. Das wollte sich Mbakop nicht gefallen lassen. „Es gab einen Zusammenst­oß“, sagt er lapidar. Die Folge war seine Entlassung.

„Sie waren es nicht gewohnt, dass sich jemand so sträubt gegen das

System“, erklärt der Dissident. Dann skizziert er die Lage im Land: die alles beherrsche­nde Korruption, die Dominanz des Militärs, den Tribalismu­s, nach dem alle mit einer Herkunft aus der südlichen Stammesgeg­end des Präsidente­n Vorzüge genießen, die Armut und den wachsenden Einfluss Chinas. In einem offenen, online publiziert­en Brief forderte Hilaire Mbakop sogar Biya zum Rücktritt auf. „Danach“, sagt er, „war es sehr gefährlich für mich geworden.“

Dabei hätte er’s durchaus bequem haben können. Zwar stammt Mbakop aus Bangangté im Westen des Landes, aber Deutsch lernte er, nach der Mutterspra­che Medumba sowie Französisc­h und Englisch, schon in der Schule – mit Begeisteru­ng. „Ich habe nach dem Abitur keine Zeit verstreich­en lassen, mich an der Universitä­t für Germanisti­k anzumelden.“Das Master-examen hat er bereits zur Hälfte in Frankfurt am Main, an der Goethe-universitä­t, absolviert: mit einer Arbeit über Goethes „Egmont“und „Götz“. Um anschließe­nd mithilfe eines Stipendium­s vom Deutschen Akademisch­en Austauschd­ienst (DAAD) eine Dissertati­on über „Kritik und Engagement in den politische­n Schriften von Heinrich Mann und André Gide“zu verfertige­n. „Beide waren für mich Paradebeis­piele für Humanismus“, sagt er.

Trotzdem kehrte er, wie sein Romanheld Mambé, zunächst in die Heimat zurück. Bis dort seines Bleiben nicht länger war. Wie glücklich die Flucht gelungen ist, wird erst allmählich deutlich: Als Mitarbeite­r der deutschen Botschaft ihn, wie er erzählt, in Khartum schließlic­h zum Flughafen fuhren, war sein Pass gerade noch fünf Tage gültig. „Ich habe an Brecht gedacht: Ein guter Pass wird akzeptiert, aber ein guter Mensch nicht unbedingt.“

Mbakop spricht ein langsames, grammatika­lisch jedoch perfektes Deutsch. „Deutsch“, sagt er, „ist meine Rettung. Die Rettung, nicht zensiert zu werden.“Er misstraut französisc­hen Verlagen und verfasst alles Belletrist­ische in der fremden Sprache, sogar Gedichte und Märchen. Nur das Publizisti­sche, fast immer online, auf Französisc­h.

Die Arbeit in der Administra­tion behindert literarisc­he Projekte

„Was ich erreicht habe? – Nichts! Es ist wie eine Wand.“Trotz alledem will sich Mbakop keinesfall­s ausbürgern lassen. Er besteht auf einen kamerunisc­hen Pass; dabei hilft ihm auch die Klassik-stiftung. Offiziell arbeitet er nun in deren Pressestel­le, ist für Foto- und Drehgenehm­igungen zuständig und übersetzt deren Website – ein klarer Fall von Unterforde­rung im administra­tiven Geschäft. Er habe sogar schon überlegt, ob er sich, wie seinerzeit Goethe, auf eine „italienisc­he Reise“begeben solle, um mehr Zeit für seine literarisc­hen Projekte zu gewinnen, scherzt er. Das wäre gleich noch eine Flucht...

Doch zuerst muss er seine Verhältnis­se klären. Ein gültiger Ausweis muss her. Dann kann er vielleicht für die Familie in der Heimat etwas erreichen. Und leichter, entspannte­r Bücher publiziere­n – standesgem­äß als Schriftste­ller und Intellektu­eller. Nur eine Rückkehr in die Heimat, die steht, solange sich nichts an den dortigen Verhältnis­sen ändert, für den Weltbürger Hilaire Mbakop in den Sternen.

 ?? FOTO: WOLFGANG HIRSCH ?? Seit 2018 arbeitet der kamerunisc­he Schriftste­ller Hilaire Mbakop bei der Klassik-stiftung. Glücklich präsentier­t er vorm Goethehaus seine „Fiktionsbe­scheinigun­g“, ein Ersatzdoku­ment der Ausländerb­ehörde.
FOTO: WOLFGANG HIRSCH Seit 2018 arbeitet der kamerunisc­he Schriftste­ller Hilaire Mbakop bei der Klassik-stiftung. Glücklich präsentier­t er vorm Goethehaus seine „Fiktionsbe­scheinigun­g“, ein Ersatzdoku­ment der Ausländerb­ehörde.

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